Jch hatte die ganze Parthie zu Maulesel mitgemacht, weil ich schon seit einigen Tagen aus Erschöpfung unwohl und zu schwach zum Gehen war. Die Häuser waren voll- gestopft von Sachen, wahrscheinlich aus den nächsten Dör- fern, und die Soldaten kehrten mit Beute beladen aus den- selben zurück; ein Cavallerist bat mich ganz treuherzig, sein Pferd zu halten, was ich that, bis er seine Taschen gefüllt. Aber der Aufenthalt im Dorfe war sehr unfreundlich, da man von oben noch immer schoß; der Kolagassi erhielt ne- ben mir einen Schuß durch die Hand, und ich gab ihm den Maulesel meines Aga's, damit er sich entferne. Man mußte sich dicht an die Mauern pressen; zuletzt hielt nur noch ein Haus, es widerstand vier bis fünf Stunden lang mit der wüthendsten Verzweiflung; der Häuptling des Orts hatte sich mit seiner Fahne hineingeworfen. Für ihn war keine Rettung auf dieser Erde, denn Gnade konnte er nicht hoffen, er wollte daher nur sein Leben theuer verkaufen; durch dieselben Fensteröffnungen schoß man hinein und heraus.
Jch war während dem zu Hafiß-Pascha geritten, welcher das Defilee geöffnet gefunden und dem Kampfe un- ten von einem kleinen Hügel zusah; dorthin brachte man die Trophäen und Gefangenen; Männer und Weiber mit blutenden Wunden, Säuglinge und Kinder jedes Alters, abgeschnittene Köpfe und Ohren, Alles wurde den Ueber- bringern mit einem Geldgeschenke von 50 bis 100 Piastern bezahlt. M. wusch den verwundeten Gefangenen die Wun- den aus und verband sie, so gut es gehen wollte; der schweigende Kummer der Kurden, die laute Verzweiflung der Frauen gewährten einen herzzerreißenden Anblick.
Das Schlimmste ist, wie soll man einen Volkskrieg im Gebirg ohne jene Scheußlichkeiten führen? Unser Verlust ist nicht unbedeutend. Mehmet-Bey und Mehmet-Pa- scha traf ich beim Sturm in der vordersten Reihe der Ti- railleurs; Letzterm wurde das Pferd erschossen. Den fol- genden Tag war Ruhe, dann ging es weiter in die Berge, wo eine unglaubliche Menge Gefangener aller Art einge-
Jch hatte die ganze Parthie zu Mauleſel mitgemacht, weil ich ſchon ſeit einigen Tagen aus Erſchoͤpfung unwohl und zu ſchwach zum Gehen war. Die Haͤuſer waren voll- geſtopft von Sachen, wahrſcheinlich aus den naͤchſten Doͤr- fern, und die Soldaten kehrten mit Beute beladen aus den- ſelben zuruͤck; ein Cavalleriſt bat mich ganz treuherzig, ſein Pferd zu halten, was ich that, bis er ſeine Taſchen gefuͤllt. Aber der Aufenthalt im Dorfe war ſehr unfreundlich, da man von oben noch immer ſchoß; der Kolagaſſi erhielt ne- ben mir einen Schuß durch die Hand, und ich gab ihm den Mauleſel meines Aga's, damit er ſich entferne. Man mußte ſich dicht an die Mauern preſſen; zuletzt hielt nur noch ein Haus, es widerſtand vier bis fuͤnf Stunden lang mit der wuͤthendſten Verzweiflung; der Haͤuptling des Orts hatte ſich mit ſeiner Fahne hineingeworfen. Fuͤr ihn war keine Rettung auf dieſer Erde, denn Gnade konnte er nicht hoffen, er wollte daher nur ſein Leben theuer verkaufen; durch dieſelben Fenſteroͤffnungen ſchoß man hinein und heraus.
Jch war waͤhrend dem zu Hafiß-Paſcha geritten, welcher das Defilee geoͤffnet gefunden und dem Kampfe un- ten von einem kleinen Huͤgel zuſah; dorthin brachte man die Trophaͤen und Gefangenen; Maͤnner und Weiber mit blutenden Wunden, Saͤuglinge und Kinder jedes Alters, abgeſchnittene Koͤpfe und Ohren, Alles wurde den Ueber- bringern mit einem Geldgeſchenke von 50 bis 100 Piaſtern bezahlt. M. wuſch den verwundeten Gefangenen die Wun- den aus und verband ſie, ſo gut es gehen wollte; der ſchweigende Kummer der Kurden, die laute Verzweiflung der Frauen gewaͤhrten einen herzzerreißenden Anblick.
Das Schlimmſte iſt, wie ſoll man einen Volkskrieg im Gebirg ohne jene Scheußlichkeiten fuͤhren? Unſer Verluſt iſt nicht unbedeutend. Mehmet-Bey und Mehmet-Pa- ſcha traf ich beim Sturm in der vorderſten Reihe der Ti- railleurs; Letzterm wurde das Pferd erſchoſſen. Den fol- genden Tag war Ruhe, dann ging es weiter in die Berge, wo eine unglaubliche Menge Gefangener aller Art einge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0285"n="275"/><p>Jch hatte die ganze Parthie zu Mauleſel mitgemacht,<lb/>
weil ich ſchon ſeit einigen Tagen aus Erſchoͤpfung unwohl<lb/>
und zu ſchwach zum Gehen war. Die Haͤuſer waren voll-<lb/>
geſtopft von Sachen, wahrſcheinlich aus den naͤchſten Doͤr-<lb/>
fern, und die Soldaten kehrten mit Beute beladen aus den-<lb/>ſelben zuruͤck; ein Cavalleriſt bat mich ganz treuherzig, ſein<lb/>
Pferd zu halten, was ich that, bis er ſeine Taſchen gefuͤllt.<lb/>
Aber der Aufenthalt im Dorfe war ſehr unfreundlich, da<lb/>
man von oben noch immer ſchoß; der Kolagaſſi erhielt ne-<lb/>
ben mir einen Schuß durch die Hand, und ich gab ihm<lb/>
den Mauleſel meines Aga's, damit er ſich entferne. Man<lb/>
mußte ſich dicht an die Mauern preſſen; zuletzt hielt nur<lb/>
noch ein Haus, es widerſtand vier bis fuͤnf Stunden lang<lb/>
mit der wuͤthendſten Verzweiflung; der Haͤuptling des Orts<lb/>
hatte ſich mit ſeiner Fahne hineingeworfen. Fuͤr ihn war<lb/>
keine Rettung auf dieſer Erde, denn Gnade konnte er nicht<lb/>
hoffen, er wollte daher nur ſein Leben theuer verkaufen; durch<lb/>
dieſelben Fenſteroͤffnungen ſchoß man hinein und heraus.</p><lb/><p>Jch war waͤhrend dem zu <hirendition="#g">Hafiß-Paſcha</hi> geritten,<lb/>
welcher das Defilee geoͤffnet gefunden und dem Kampfe un-<lb/>
ten von einem kleinen Huͤgel zuſah; dorthin brachte man<lb/>
die Trophaͤen und Gefangenen; Maͤnner und Weiber mit<lb/>
blutenden Wunden, Saͤuglinge und Kinder jedes Alters,<lb/>
abgeſchnittene Koͤpfe und Ohren, Alles wurde den Ueber-<lb/>
bringern mit einem Geldgeſchenke von 50 bis 100 Piaſtern<lb/>
bezahlt. M. wuſch den verwundeten Gefangenen die Wun-<lb/>
den aus und verband ſie, ſo gut es gehen wollte; der<lb/>ſchweigende Kummer der Kurden, die laute Verzweiflung<lb/>
der Frauen gewaͤhrten einen herzzerreißenden Anblick.</p><lb/><p>Das Schlimmſte iſt, wie ſoll man einen Volkskrieg im<lb/>
Gebirg ohne jene Scheußlichkeiten fuͤhren? Unſer Verluſt<lb/>
iſt nicht unbedeutend. <hirendition="#g">Mehmet-Bey</hi> und <hirendition="#g">Mehmet-Pa-<lb/>ſcha</hi> traf ich beim Sturm in der vorderſten Reihe der Ti-<lb/>
railleurs; Letzterm wurde das Pferd erſchoſſen. Den fol-<lb/>
genden Tag war Ruhe, dann ging es weiter in die Berge,<lb/>
wo eine unglaubliche Menge Gefangener aller Art einge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[275/0285]
Jch hatte die ganze Parthie zu Mauleſel mitgemacht,
weil ich ſchon ſeit einigen Tagen aus Erſchoͤpfung unwohl
und zu ſchwach zum Gehen war. Die Haͤuſer waren voll-
geſtopft von Sachen, wahrſcheinlich aus den naͤchſten Doͤr-
fern, und die Soldaten kehrten mit Beute beladen aus den-
ſelben zuruͤck; ein Cavalleriſt bat mich ganz treuherzig, ſein
Pferd zu halten, was ich that, bis er ſeine Taſchen gefuͤllt.
Aber der Aufenthalt im Dorfe war ſehr unfreundlich, da
man von oben noch immer ſchoß; der Kolagaſſi erhielt ne-
ben mir einen Schuß durch die Hand, und ich gab ihm
den Mauleſel meines Aga's, damit er ſich entferne. Man
mußte ſich dicht an die Mauern preſſen; zuletzt hielt nur
noch ein Haus, es widerſtand vier bis fuͤnf Stunden lang
mit der wuͤthendſten Verzweiflung; der Haͤuptling des Orts
hatte ſich mit ſeiner Fahne hineingeworfen. Fuͤr ihn war
keine Rettung auf dieſer Erde, denn Gnade konnte er nicht
hoffen, er wollte daher nur ſein Leben theuer verkaufen; durch
dieſelben Fenſteroͤffnungen ſchoß man hinein und heraus.
Jch war waͤhrend dem zu Hafiß-Paſcha geritten,
welcher das Defilee geoͤffnet gefunden und dem Kampfe un-
ten von einem kleinen Huͤgel zuſah; dorthin brachte man
die Trophaͤen und Gefangenen; Maͤnner und Weiber mit
blutenden Wunden, Saͤuglinge und Kinder jedes Alters,
abgeſchnittene Koͤpfe und Ohren, Alles wurde den Ueber-
bringern mit einem Geldgeſchenke von 50 bis 100 Piaſtern
bezahlt. M. wuſch den verwundeten Gefangenen die Wun-
den aus und verband ſie, ſo gut es gehen wollte; der
ſchweigende Kummer der Kurden, die laute Verzweiflung
der Frauen gewaͤhrten einen herzzerreißenden Anblick.
Das Schlimmſte iſt, wie ſoll man einen Volkskrieg im
Gebirg ohne jene Scheußlichkeiten fuͤhren? Unſer Verluſt
iſt nicht unbedeutend. Mehmet-Bey und Mehmet-Pa-
ſcha traf ich beim Sturm in der vorderſten Reihe der Ti-
railleurs; Letzterm wurde das Pferd erſchoſſen. Den fol-
genden Tag war Ruhe, dann ging es weiter in die Berge,
wo eine unglaubliche Menge Gefangener aller Art einge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/285>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.