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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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eine Patrouille Jnfanterie, auch wohl, wenn es nöthig, ein
Bataillon mit einigen Geschützen mitgäbe.

Am folgenden Morgen rückten wir früh in das neue
Lager; Alle waren entzückt über eine mächtige Quelle, die
ein silberhelles Bassin bildet, über große Nußbäume, weite
Kornfelder und einen fahrbaren Weg. Das Dorf wurde
sofort in Brand gesteckt, ich suchte vergebens dagegen ein-
zureden: man müsse den Flüchtigen Strenge zeigen, denen,
die blieben, hingegen Pardon schenken, sonst käme man nie
zu Ende. Kaum waren wir angekommen, so erschien der
Befehl des Commandirenden, uns mit ihm zu vereinigen;
mit Zurücklassung der Geschütze, rückte die Jnfanterie so-
gleich in der befohlenen Richtung ab. Unterwegs wurden
wohl ein Dutzend Dörfer angezündet; endlich gelangten wir
in einem tiefen Gebirgsthal an ein großes Dorf, Papur,
dessen Einwohner nicht geflohen; sie standen vielmehr auf
den flachen Dächern ihrer Häuser, feuerten schon aus der
Ferne auf uns und riefen: wir möchten nur näher kommen.
Wir erfuhren, daß Hafiß-Pascha gestern mit Verlust vor
diesem Defilee zurückgeschlagen war. Das Dorf lag etwa
200 Fuß hoch am Fuße einer steilen Felswand; ich schlug
Mahmut-Bey auf Befragen vor, mit Tirailleurs das
Dorf links zu umgehen, wo ein Hügelrücken und Bäume
uns gegen sein Feuer deckten, dann die hintere Felswand zu
ersteigen und so von oben herab das Dorf zu stürmen, wo-
durch den Einwohnern jeder Rückzug abgeschnitten, denn
sonst hatte man sie morgen noch einmal zu bekämpfen. --
Die Tirailleurs gingen unverzagt vor, zwar kam oben vom
hohen Kamme des Gebirgs von den dorthin Geflüchteten
einiges Feuer, es war aber ohne sonderliche Wirkung; bald
standen wir den Einwohnern über den Köpfen; ein Hagel
von Schüssen vertrieb sie von ihren flachen Dächern, und
mit Schrecken sahen sie ihren Rückzug bedroht. Jetzt ging
es mit Allah! Allah! in das Dorf hinab; viele Flüchtlinge
wurden mit dem Bayonnet niedergestoßen, andere entkamen
auf Umwegen.

eine Patrouille Jnfanterie, auch wohl, wenn es noͤthig, ein
Bataillon mit einigen Geſchuͤtzen mitgaͤbe.

Am folgenden Morgen ruͤckten wir fruͤh in das neue
Lager; Alle waren entzuͤckt uͤber eine maͤchtige Quelle, die
ein ſilberhelles Baſſin bildet, uͤber große Nußbaͤume, weite
Kornfelder und einen fahrbaren Weg. Das Dorf wurde
ſofort in Brand geſteckt, ich ſuchte vergebens dagegen ein-
zureden: man muͤſſe den Fluͤchtigen Strenge zeigen, denen,
die blieben, hingegen Pardon ſchenken, ſonſt kaͤme man nie
zu Ende. Kaum waren wir angekommen, ſo erſchien der
Befehl des Commandirenden, uns mit ihm zu vereinigen;
mit Zuruͤcklaſſung der Geſchuͤtze, ruͤckte die Jnfanterie ſo-
gleich in der befohlenen Richtung ab. Unterwegs wurden
wohl ein Dutzend Doͤrfer angezuͤndet; endlich gelangten wir
in einem tiefen Gebirgsthal an ein großes Dorf, Papur,
deſſen Einwohner nicht geflohen; ſie ſtanden vielmehr auf
den flachen Daͤchern ihrer Haͤuſer, feuerten ſchon aus der
Ferne auf uns und riefen: wir moͤchten nur naͤher kommen.
Wir erfuhren, daß Hafiß-Paſcha geſtern mit Verluſt vor
dieſem Defilee zuruͤckgeſchlagen war. Das Dorf lag etwa
200 Fuß hoch am Fuße einer ſteilen Felswand; ich ſchlug
Mahmut-Bey auf Befragen vor, mit Tirailleurs das
Dorf links zu umgehen, wo ein Huͤgelruͤcken und Baͤume
uns gegen ſein Feuer deckten, dann die hintere Felswand zu
erſteigen und ſo von oben herab das Dorf zu ſtuͤrmen, wo-
durch den Einwohnern jeder Ruͤckzug abgeſchnitten, denn
ſonſt hatte man ſie morgen noch einmal zu bekaͤmpfen. —
Die Tirailleurs gingen unverzagt vor, zwar kam oben vom
hohen Kamme des Gebirgs von den dorthin Gefluͤchteten
einiges Feuer, es war aber ohne ſonderliche Wirkung; bald
ſtanden wir den Einwohnern uͤber den Koͤpfen; ein Hagel
von Schuͤſſen vertrieb ſie von ihren flachen Daͤchern, und
mit Schrecken ſahen ſie ihren Ruͤckzug bedroht. Jetzt ging
es mit Allah! Allah! in das Dorf hinab; viele Fluͤchtlinge
wurden mit dem Bayonnet niedergeſtoßen, andere entkamen
auf Umwegen.

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[274/0284] eine Patrouille Jnfanterie, auch wohl, wenn es noͤthig, ein Bataillon mit einigen Geſchuͤtzen mitgaͤbe. Am folgenden Morgen ruͤckten wir fruͤh in das neue Lager; Alle waren entzuͤckt uͤber eine maͤchtige Quelle, die ein ſilberhelles Baſſin bildet, uͤber große Nußbaͤume, weite Kornfelder und einen fahrbaren Weg. Das Dorf wurde ſofort in Brand geſteckt, ich ſuchte vergebens dagegen ein- zureden: man muͤſſe den Fluͤchtigen Strenge zeigen, denen, die blieben, hingegen Pardon ſchenken, ſonſt kaͤme man nie zu Ende. Kaum waren wir angekommen, ſo erſchien der Befehl des Commandirenden, uns mit ihm zu vereinigen; mit Zuruͤcklaſſung der Geſchuͤtze, ruͤckte die Jnfanterie ſo- gleich in der befohlenen Richtung ab. Unterwegs wurden wohl ein Dutzend Doͤrfer angezuͤndet; endlich gelangten wir in einem tiefen Gebirgsthal an ein großes Dorf, Papur, deſſen Einwohner nicht geflohen; ſie ſtanden vielmehr auf den flachen Daͤchern ihrer Haͤuſer, feuerten ſchon aus der Ferne auf uns und riefen: wir moͤchten nur naͤher kommen. Wir erfuhren, daß Hafiß-Paſcha geſtern mit Verluſt vor dieſem Defilee zuruͤckgeſchlagen war. Das Dorf lag etwa 200 Fuß hoch am Fuße einer ſteilen Felswand; ich ſchlug Mahmut-Bey auf Befragen vor, mit Tirailleurs das Dorf links zu umgehen, wo ein Huͤgelruͤcken und Baͤume uns gegen ſein Feuer deckten, dann die hintere Felswand zu erſteigen und ſo von oben herab das Dorf zu ſtuͤrmen, wo- durch den Einwohnern jeder Ruͤckzug abgeſchnitten, denn ſonſt hatte man ſie morgen noch einmal zu bekaͤmpfen. — Die Tirailleurs gingen unverzagt vor, zwar kam oben vom hohen Kamme des Gebirgs von den dorthin Gefluͤchteten einiges Feuer, es war aber ohne ſonderliche Wirkung; bald ſtanden wir den Einwohnern uͤber den Koͤpfen; ein Hagel von Schuͤſſen vertrieb ſie von ihren flachen Daͤchern, und mit Schrecken ſahen ſie ihren Ruͤckzug bedroht. Jetzt ging es mit Allah! Allah! in das Dorf hinab; viele Fluͤchtlinge wurden mit dem Bayonnet niedergeſtoßen, andere entkamen auf Umwegen.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/284>, abgerufen am 24.11.2024.