freilich dem Padischah wenig gelegen sein, sie war aber einer der Centralpunkte des Widerstandes gegen die Pforte. Wie wichtig die Unterwerfung Sayd-Bey's in dieser Be- ziehung ist, wollen Sie daraus entnehmen, daß man jetzt ungesäumt zur Aushebung von zwei completten Rediff-Ba- taillonen schreitet.
46. Zug gegen die Kurden.
Karsann-Dagh, den 4. Juni 1838.
Der Widerstand der Kurden war mit dem Fall Sayds nicht so allgemein beseitigt, wie wir gehofft hatten; es be- findet sich zwischen Musch und Hasu ein Hochgebirge, wel- ches bisher allen türkischen Armeen, selbst der Reschid- Pascha's, unzugänglich gewesen. Dort erheben sich schroffe Kegel und Rücken, von welchen der Schnee noch heute 1- bis 2000 Fuß tief hinab reicht, und die zu den höchsten Bergen ganz Kleinasiens gezählt werden. Diese Gegend wird collectiv Karsann genannt, und ist mit reichen Dorf- schaften, Feldern, Bäumen und Bächen ausgestattet; keine der Ortschaften zahlt den Salian, keiner der Einwohner läßt sich zum Militairdienst zwingen.
Um nun das Karsann-Gebirge der Pforte zu unter- werfen, wurde eine sehr bedeutende Rüstung unternommen; denn nicht nur, daß mein Mehmed-Pascha mit seinem Corps durch das Herz von Kurdistan selbst heranzog, son- dern es brach auch der Commandirende selbst von Diar- bekir mit dem 19ten Jnfanterie-Regimente, zwei Cavallerie- Regimentern der Garde (nach Abzug des Commando's, welches wir bei uns hatten), einigen hundert Sipahi's, mehreren hundert Jrregulairen und drei Geschützen, über- haupt 3000 Mann auf. Entboten war ferner der Schir- van-Bey, welcher östlich von Karsann sitzt, mit seinen ir- regulairen Kurden, der Pascha von Musch, der aber selbst
freilich dem Padiſchah wenig gelegen ſein, ſie war aber einer der Centralpunkte des Widerſtandes gegen die Pforte. Wie wichtig die Unterwerfung Sayd-Bey's in dieſer Be- ziehung iſt, wollen Sie daraus entnehmen, daß man jetzt ungeſaͤumt zur Aushebung von zwei completten Rediff-Ba- taillonen ſchreitet.
46. Zug gegen die Kurden.
Karſann-Dagh, den 4. Juni 1838.
Der Widerſtand der Kurden war mit dem Fall Sayds nicht ſo allgemein beſeitigt, wie wir gehofft hatten; es be- findet ſich zwiſchen Muſch und Haſu ein Hochgebirge, wel- ches bisher allen tuͤrkiſchen Armeen, ſelbſt der Reſchid- Paſcha's, unzugaͤnglich geweſen. Dort erheben ſich ſchroffe Kegel und Ruͤcken, von welchen der Schnee noch heute 1- bis 2000 Fuß tief hinab reicht, und die zu den hoͤchſten Bergen ganz Kleinaſiens gezaͤhlt werden. Dieſe Gegend wird collectiv Karſann genannt, und iſt mit reichen Dorf- ſchaften, Feldern, Baͤumen und Baͤchen ausgeſtattet; keine der Ortſchaften zahlt den Salian, keiner der Einwohner laͤßt ſich zum Militairdienſt zwingen.
Um nun das Karſann-Gebirge der Pforte zu unter- werfen, wurde eine ſehr bedeutende Ruͤſtung unternommen; denn nicht nur, daß mein Mehmed-Paſcha mit ſeinem Corps durch das Herz von Kurdiſtan ſelbſt heranzog, ſon- dern es brach auch der Commandirende ſelbſt von Diar- bekir mit dem 19ten Jnfanterie-Regimente, zwei Cavallerie- Regimentern der Garde (nach Abzug des Commando's, welches wir bei uns hatten), einigen hundert Sipahi's, mehreren hundert Jrregulairen und drei Geſchuͤtzen, uͤber- haupt 3000 Mann auf. Entboten war ferner der Schir- van-Bey, welcher oͤſtlich von Karſann ſitzt, mit ſeinen ir- regulairen Kurden, der Paſcha von Muſch, der aber ſelbſt
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freilich dem Padiſchah wenig gelegen ſein, ſie war aber
einer der Centralpunkte des Widerſtandes gegen die Pforte.
Wie wichtig die Unterwerfung Sayd-Bey's in dieſer Be-
ziehung iſt, wollen Sie daraus entnehmen, daß man jetzt
ungeſaͤumt zur Aushebung von zwei completten Rediff-Ba-
taillonen ſchreitet.
46.
Zug gegen die Kurden.
Karſann-Dagh, den 4. Juni 1838.
Der Widerſtand der Kurden war mit dem Fall Sayds
nicht ſo allgemein beſeitigt, wie wir gehofft hatten; es be-
findet ſich zwiſchen Muſch und Haſu ein Hochgebirge, wel-
ches bisher allen tuͤrkiſchen Armeen, ſelbſt der Reſchid-
Paſcha's, unzugaͤnglich geweſen. Dort erheben ſich ſchroffe
Kegel und Ruͤcken, von welchen der Schnee noch heute 1-
bis 2000 Fuß tief hinab reicht, und die zu den hoͤchſten
Bergen ganz Kleinaſiens gezaͤhlt werden. Dieſe Gegend
wird collectiv Karſann genannt, und iſt mit reichen Dorf-
ſchaften, Feldern, Baͤumen und Baͤchen ausgeſtattet; keine
der Ortſchaften zahlt den Salian, keiner der Einwohner
laͤßt ſich zum Militairdienſt zwingen.
Um nun das Karſann-Gebirge der Pforte zu unter-
werfen, wurde eine ſehr bedeutende Ruͤſtung unternommen;
denn nicht nur, daß mein Mehmed-Paſcha mit ſeinem
Corps durch das Herz von Kurdiſtan ſelbſt heranzog, ſon-
dern es brach auch der Commandirende ſelbſt von Diar-
bekir mit dem 19ten Jnfanterie-Regimente, zwei Cavallerie-
Regimentern der Garde (nach Abzug des Commando's,
welches wir bei uns hatten), einigen hundert Sipahi's,
mehreren hundert Jrregulairen und drei Geſchuͤtzen, uͤber-
haupt 3000 Mann auf. Entboten war ferner der Schir-
van-Bey, welcher oͤſtlich von Karſann ſitzt, mit ſeinen ir-
regulairen Kurden, der Paſcha von Muſch, der aber ſelbſt
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/281>, abgerufen am 24.11.2024.
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