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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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er anderthalb Arschinen tief ist, setzen wir ein Faß Pulver
in das Loch ohne weitere Verdämmung, und, inschallah,
die Bresche ist da; sollte das nicht glücken, so hindert
nichts, die Arbeit fortzusetzen. Der Pascha hat diesen Plan
genehmigt. Heute schießen wir nicht viel, weil unsere Ku-
geln noch von Dschesireh unterwegs sind; wir sind gestern
zu hitzig gewesen.

Abends. Es ist den ganzen Tag parlamentirt wor-
den; Sayd-Bey bietet seinen Sohn als Geißel, will aber
frei abziehen. Jn einer zweiten Sentenz erbietet er sich,
sein Schloß mit Allem, was darin ist, zu geben; der Pa-
scha will aber, er soll selbst kommen. Eben ließ der Pa-
scha mich rufen, um dieser Empfangsscene beizuwohnen.
Der Besuch des Mineurs so unmittelbar unter den Mau-
ern ist im Schlosse nicht verborgen geblieben, und hat dort
die lebhafteste Besorgniß erregt.

Der Pascha empfing seinen bisherigen Feind im gro-
ßen Zelte; die Regiments- und Bataillons-Commandeurs
saßen (oder vielmehr knieten) zu beiden Seiten; vor dem
Zelte standen die Hauptleute. Ein Zug von Kurden be-
wegte sich langsam den steilen Berg herab, und nach einer
halben Stunde stieg der Bey vor unserm Zelte vom Pferde.
Wenn ich bedachte, daß er ein schönes Schloß, in dem er
eben König war, mit einer Menge von Reichthümern aus-
lieferte, und daß er nach allen bisherigen Vorgängen kei-
neswegs ganz sicher sein konnte, ob er seinen Kopf zum
Zelte wieder hinaus tragen werde, so konnte ich nicht um-
hin, die leichte sichere Haltung zu bewundern, mit welcher
er auf den Pascha zuschritt und die Bewegung des Hand-
kusses machte. Der Pascha und wir Alle waren aufgestan-
den; Sayd kam nicht um Gnade flehend, denn diese wird
dem Ueberwundenen nicht gewährt, sondern er bot Ray
oder Freundschaft, die man von dem annimmt, welcher
Feindschaft zu üben noch die Kraft hat. Der Bey ließ
sich zwischen dem Pascha und mir nieder, es wurden Pfei-
fen und Kaffee gereicht, und die Unterhaltung in kurdi-

er anderthalb Arſchinen tief iſt, ſetzen wir ein Faß Pulver
in das Loch ohne weitere Verdaͤmmung, und, inschallah,
die Breſche iſt da; ſollte das nicht gluͤcken, ſo hindert
nichts, die Arbeit fortzuſetzen. Der Paſcha hat dieſen Plan
genehmigt. Heute ſchießen wir nicht viel, weil unſere Ku-
geln noch von Dſcheſireh unterwegs ſind; wir ſind geſtern
zu hitzig geweſen.

Abends. Es iſt den ganzen Tag parlamentirt wor-
den; Sayd-Bey bietet ſeinen Sohn als Geißel, will aber
frei abziehen. Jn einer zweiten Sentenz erbietet er ſich,
ſein Schloß mit Allem, was darin iſt, zu geben; der Pa-
ſcha will aber, er ſoll ſelbſt kommen. Eben ließ der Pa-
ſcha mich rufen, um dieſer Empfangsſcene beizuwohnen.
Der Beſuch des Mineurs ſo unmittelbar unter den Mau-
ern iſt im Schloſſe nicht verborgen geblieben, und hat dort
die lebhafteſte Beſorgniß erregt.

Der Paſcha empfing ſeinen bisherigen Feind im gro-
ßen Zelte; die Regiments- und Bataillons-Commandeurs
ſaßen (oder vielmehr knieten) zu beiden Seiten; vor dem
Zelte ſtanden die Hauptleute. Ein Zug von Kurden be-
wegte ſich langſam den ſteilen Berg herab, und nach einer
halben Stunde ſtieg der Bey vor unſerm Zelte vom Pferde.
Wenn ich bedachte, daß er ein ſchoͤnes Schloß, in dem er
eben Koͤnig war, mit einer Menge von Reichthuͤmern aus-
lieferte, und daß er nach allen bisherigen Vorgaͤngen kei-
neswegs ganz ſicher ſein konnte, ob er ſeinen Kopf zum
Zelte wieder hinaus tragen werde, ſo konnte ich nicht um-
hin, die leichte ſichere Haltung zu bewundern, mit welcher
er auf den Paſcha zuſchritt und die Bewegung des Hand-
kuſſes machte. Der Paſcha und wir Alle waren aufgeſtan-
den; Sayd kam nicht um Gnade flehend, denn dieſe wird
dem Ueberwundenen nicht gewaͤhrt, ſondern er bot Ray
oder Freundſchaft, die man von dem annimmt, welcher
Feindſchaft zu uͤben noch die Kraft hat. Der Bey ließ
ſich zwiſchen dem Paſcha und mir nieder, es wurden Pfei-
fen und Kaffee gereicht, und die Unterhaltung in kurdi-

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[265/0275] er anderthalb Arſchinen tief iſt, ſetzen wir ein Faß Pulver in das Loch ohne weitere Verdaͤmmung, und, inschallah, die Breſche iſt da; ſollte das nicht gluͤcken, ſo hindert nichts, die Arbeit fortzuſetzen. Der Paſcha hat dieſen Plan genehmigt. Heute ſchießen wir nicht viel, weil unſere Ku- geln noch von Dſcheſireh unterwegs ſind; wir ſind geſtern zu hitzig geweſen. Abends. Es iſt den ganzen Tag parlamentirt wor- den; Sayd-Bey bietet ſeinen Sohn als Geißel, will aber frei abziehen. Jn einer zweiten Sentenz erbietet er ſich, ſein Schloß mit Allem, was darin iſt, zu geben; der Pa- ſcha will aber, er ſoll ſelbſt kommen. Eben ließ der Pa- ſcha mich rufen, um dieſer Empfangsſcene beizuwohnen. Der Beſuch des Mineurs ſo unmittelbar unter den Mau- ern iſt im Schloſſe nicht verborgen geblieben, und hat dort die lebhafteſte Beſorgniß erregt. Der Paſcha empfing ſeinen bisherigen Feind im gro- ßen Zelte; die Regiments- und Bataillons-Commandeurs ſaßen (oder vielmehr knieten) zu beiden Seiten; vor dem Zelte ſtanden die Hauptleute. Ein Zug von Kurden be- wegte ſich langſam den ſteilen Berg herab, und nach einer halben Stunde ſtieg der Bey vor unſerm Zelte vom Pferde. Wenn ich bedachte, daß er ein ſchoͤnes Schloß, in dem er eben Koͤnig war, mit einer Menge von Reichthuͤmern aus- lieferte, und daß er nach allen bisherigen Vorgaͤngen kei- neswegs ganz ſicher ſein konnte, ob er ſeinen Kopf zum Zelte wieder hinaus tragen werde, ſo konnte ich nicht um- hin, die leichte ſichere Haltung zu bewundern, mit welcher er auf den Paſcha zuſchritt und die Bewegung des Hand- kuſſes machte. Der Paſcha und wir Alle waren aufgeſtan- den; Sayd kam nicht um Gnade flehend, denn dieſe wird dem Ueberwundenen nicht gewaͤhrt, ſondern er bot Ray oder Freundſchaft, die man von dem annimmt, welcher Feindſchaft zu uͤben noch die Kraft hat. Der Bey ließ ſich zwiſchen dem Paſcha und mir nieder, es wurden Pfei- fen und Kaffee gereicht, und die Unterhaltung in kurdi-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/275>, abgerufen am 27.11.2024.