Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

anzusetzen, wenn man sich einige Wochen Zeit lassen wollte.
Unter unserm Mineur mußt Du Dir aber einen ehrlichen
Steinarbeiter denken, einen armen Rajah, den man zwingt,
sein friedliches Handwerk zu diesen kriegerischen Zwecken
zu üben.

Der Mann war willig, gegen eine Belohnung mit
einem Kurden bis an die Mauer selbst vorzudringen; laut-
los krochen sie, als eben eine Wolke den Mond verdunkelte,
vorwärts, und wir blickten ihnen mit gespannter Aufmerk-
samkeit nach, nur die Köpfe über den Stein erhebend.
Wahrscheinlich befanden wir uns schon unter dem Schuß
der Scharten, und dreißig Gewehre lagen in Anschlag,
falls sich ein Arm über die Zinne biegen sollte. -- Es
dauerte etwa zehn Minuten, als unsere Leute mit dem Be-
richt zurückkehrten, daß sie überall Fels und nirgend Erd-
reich oder die kleinste Höhle am Fuße der Mauer gefun-
den, welche einen Mann decken könnte.

Arbeiten konnte man in dieser Nacht nicht mehr, und
gesehen hatten wir. Wir traten daher so behutsam, wie
wir gekommen, den Rückzug an; aber kaum hatten wir
zwanzig Schritte gemacht und waren ins Freie getreten,
so blitzte es von den Zinnen und die Kugeln pfiffen uns
um die Ohren. Wir, ohne sonderlich zu verweilen, stolper-
ten über Geröll und Steine fort und befanden uns bald
in Sicherheit; stiegen ins Thal hinab, und das Tirailleur-
Gefecht, welches sich jetzt entzündet hatte, spielte bald hoch
über unsern Köpfen.

Jch habe nun dem Pascha vorgeschlagen, heute Abend
eine einfache Vorrichtung in Anwendung zu bringen, näm-
lich ein tragbares Dach aus starken Bohlen, welches dem
Mineur Schutz für den ersten Augenblick der Arbeit ge-
währt. Ein Kurde hatte sich erboten, dasselbe gegen die
Mauer zu legen, der Lahomdschi setzt sich darunter und
hundert Kurden liegen bereit, auf Alles zu feuern, was sich
hinter den Zinnen blicken läßt. Der Mineur arbeitet nicht
in den Fels, sondern gleich in die Mauer hinein; sobald

anzuſetzen, wenn man ſich einige Wochen Zeit laſſen wollte.
Unter unſerm Mineur mußt Du Dir aber einen ehrlichen
Steinarbeiter denken, einen armen Rajah, den man zwingt,
ſein friedliches Handwerk zu dieſen kriegeriſchen Zwecken
zu uͤben.

Der Mann war willig, gegen eine Belohnung mit
einem Kurden bis an die Mauer ſelbſt vorzudringen; laut-
los krochen ſie, als eben eine Wolke den Mond verdunkelte,
vorwaͤrts, und wir blickten ihnen mit geſpannter Aufmerk-
ſamkeit nach, nur die Koͤpfe uͤber den Stein erhebend.
Wahrſcheinlich befanden wir uns ſchon unter dem Schuß
der Scharten, und dreißig Gewehre lagen in Anſchlag,
falls ſich ein Arm uͤber die Zinne biegen ſollte. — Es
dauerte etwa zehn Minuten, als unſere Leute mit dem Be-
richt zuruͤckkehrten, daß ſie uͤberall Fels und nirgend Erd-
reich oder die kleinſte Hoͤhle am Fuße der Mauer gefun-
den, welche einen Mann decken koͤnnte.

Arbeiten konnte man in dieſer Nacht nicht mehr, und
geſehen hatten wir. Wir traten daher ſo behutſam, wie
wir gekommen, den Ruͤckzug an; aber kaum hatten wir
zwanzig Schritte gemacht und waren ins Freie getreten,
ſo blitzte es von den Zinnen und die Kugeln pfiffen uns
um die Ohren. Wir, ohne ſonderlich zu verweilen, ſtolper-
ten uͤber Geroͤll und Steine fort und befanden uns bald
in Sicherheit; ſtiegen ins Thal hinab, und das Tirailleur-
Gefecht, welches ſich jetzt entzuͤndet hatte, ſpielte bald hoch
uͤber unſern Koͤpfen.

Jch habe nun dem Paſcha vorgeſchlagen, heute Abend
eine einfache Vorrichtung in Anwendung zu bringen, naͤm-
lich ein tragbares Dach aus ſtarken Bohlen, welches dem
Mineur Schutz fuͤr den erſten Augenblick der Arbeit ge-
waͤhrt. Ein Kurde hatte ſich erboten, daſſelbe gegen die
Mauer zu legen, der Lahomdſchi ſetzt ſich darunter und
hundert Kurden liegen bereit, auf Alles zu feuern, was ſich
hinter den Zinnen blicken laͤßt. Der Mineur arbeitet nicht
in den Fels, ſondern gleich in die Mauer hinein; ſobald

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0274" n="264"/>
anzu&#x017F;etzen, wenn man &#x017F;ich einige Wochen Zeit la&#x017F;&#x017F;en wollte.<lb/>
Unter un&#x017F;erm Mineur mußt Du Dir aber einen ehrlichen<lb/>
Steinarbeiter denken, einen armen Rajah, den man zwingt,<lb/>
&#x017F;ein friedliches Handwerk zu die&#x017F;en kriegeri&#x017F;chen Zwecken<lb/>
zu u&#x0364;ben.</p><lb/>
          <p>Der Mann war willig, gegen eine Belohnung mit<lb/>
einem Kurden bis an die Mauer &#x017F;elb&#x017F;t vorzudringen; laut-<lb/>
los krochen &#x017F;ie, als eben eine Wolke den Mond verdunkelte,<lb/>
vorwa&#x0364;rts, und wir blickten ihnen mit ge&#x017F;pannter Aufmerk-<lb/>
&#x017F;amkeit nach, nur die Ko&#x0364;pfe u&#x0364;ber den Stein erhebend.<lb/>
Wahr&#x017F;cheinlich befanden wir uns &#x017F;chon unter dem Schuß<lb/>
der Scharten, und dreißig Gewehre lagen in An&#x017F;chlag,<lb/>
falls &#x017F;ich ein Arm u&#x0364;ber die Zinne biegen &#x017F;ollte. &#x2014; Es<lb/>
dauerte etwa zehn Minuten, als un&#x017F;ere Leute mit dem Be-<lb/>
richt zuru&#x0364;ckkehrten, daß &#x017F;ie u&#x0364;berall Fels und nirgend Erd-<lb/>
reich oder die klein&#x017F;te Ho&#x0364;hle am Fuße der Mauer gefun-<lb/>
den, welche einen Mann decken ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
          <p>Arbeiten konnte man in die&#x017F;er Nacht nicht mehr, und<lb/>
ge&#x017F;ehen hatten wir. Wir traten daher &#x017F;o behut&#x017F;am, wie<lb/>
wir gekommen, den Ru&#x0364;ckzug an; aber kaum hatten wir<lb/>
zwanzig Schritte gemacht und waren ins Freie getreten,<lb/>
&#x017F;o blitzte es von den Zinnen und die Kugeln pfiffen uns<lb/>
um die Ohren. Wir, ohne &#x017F;onderlich zu verweilen, &#x017F;tolper-<lb/>
ten u&#x0364;ber Gero&#x0364;ll und Steine fort und befanden uns bald<lb/>
in Sicherheit; &#x017F;tiegen ins Thal hinab, und das Tirailleur-<lb/>
Gefecht, welches &#x017F;ich jetzt entzu&#x0364;ndet hatte, &#x017F;pielte bald hoch<lb/>
u&#x0364;ber un&#x017F;ern Ko&#x0364;pfen.</p><lb/>
          <p>Jch habe nun dem Pa&#x017F;cha vorge&#x017F;chlagen, heute Abend<lb/>
eine einfache Vorrichtung in Anwendung zu bringen, na&#x0364;m-<lb/>
lich ein tragbares Dach aus &#x017F;tarken Bohlen, welches dem<lb/>
Mineur Schutz fu&#x0364;r den er&#x017F;ten Augenblick der Arbeit ge-<lb/>
wa&#x0364;hrt. Ein Kurde hatte &#x017F;ich erboten, da&#x017F;&#x017F;elbe gegen die<lb/>
Mauer zu legen, der Lahomd&#x017F;chi &#x017F;etzt &#x017F;ich darunter und<lb/>
hundert Kurden liegen bereit, auf Alles zu feuern, was &#x017F;ich<lb/>
hinter den Zinnen blicken la&#x0364;ßt. Der Mineur arbeitet nicht<lb/>
in den Fels, &#x017F;ondern gleich in die Mauer hinein; &#x017F;obald<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0274] anzuſetzen, wenn man ſich einige Wochen Zeit laſſen wollte. Unter unſerm Mineur mußt Du Dir aber einen ehrlichen Steinarbeiter denken, einen armen Rajah, den man zwingt, ſein friedliches Handwerk zu dieſen kriegeriſchen Zwecken zu uͤben. Der Mann war willig, gegen eine Belohnung mit einem Kurden bis an die Mauer ſelbſt vorzudringen; laut- los krochen ſie, als eben eine Wolke den Mond verdunkelte, vorwaͤrts, und wir blickten ihnen mit geſpannter Aufmerk- ſamkeit nach, nur die Koͤpfe uͤber den Stein erhebend. Wahrſcheinlich befanden wir uns ſchon unter dem Schuß der Scharten, und dreißig Gewehre lagen in Anſchlag, falls ſich ein Arm uͤber die Zinne biegen ſollte. — Es dauerte etwa zehn Minuten, als unſere Leute mit dem Be- richt zuruͤckkehrten, daß ſie uͤberall Fels und nirgend Erd- reich oder die kleinſte Hoͤhle am Fuße der Mauer gefun- den, welche einen Mann decken koͤnnte. Arbeiten konnte man in dieſer Nacht nicht mehr, und geſehen hatten wir. Wir traten daher ſo behutſam, wie wir gekommen, den Ruͤckzug an; aber kaum hatten wir zwanzig Schritte gemacht und waren ins Freie getreten, ſo blitzte es von den Zinnen und die Kugeln pfiffen uns um die Ohren. Wir, ohne ſonderlich zu verweilen, ſtolper- ten uͤber Geroͤll und Steine fort und befanden uns bald in Sicherheit; ſtiegen ins Thal hinab, und das Tirailleur- Gefecht, welches ſich jetzt entzuͤndet hatte, ſpielte bald hoch uͤber unſern Koͤpfen. Jch habe nun dem Paſcha vorgeſchlagen, heute Abend eine einfache Vorrichtung in Anwendung zu bringen, naͤm- lich ein tragbares Dach aus ſtarken Bohlen, welches dem Mineur Schutz fuͤr den erſten Augenblick der Arbeit ge- waͤhrt. Ein Kurde hatte ſich erboten, daſſelbe gegen die Mauer zu legen, der Lahomdſchi ſetzt ſich darunter und hundert Kurden liegen bereit, auf Alles zu feuern, was ſich hinter den Zinnen blicken laͤßt. Der Mineur arbeitet nicht in den Fels, ſondern gleich in die Mauer hinein; ſobald

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/274
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/274>, abgerufen am 24.11.2024.