Den 10. N. S. Jch bin von meiner gestrigen Re- cognoscirung zurück; der Pascha hatte einen Kurden-Aga als Führer, zwei Capitains, meinen Aga und zwei Lahumd- schi oder Mineurs zu meiner Begleitung bestimmt, da ich aber noch bei Tage sehen wollte, so ging ich mit den Mi- neurs allein voraus. Jch selbst werde wohl einer der be- sten "Claus" oder Führer in diesen Bergen sein.
Jch habe Dir schon geschrieben, daß die Kurden des Nachts sehr keck zu Werke gehen und sich nach und nach in großer Nähe rings um das Schloß festgesetzt haben. Ein solcher Punkt ist der Gipfel grade hinter dem Schlosse, wel- cher mir der günstigste für die jetzige Unternehmung schien; ohne sonderlich angefochten zu werden, gingen wir westlich unten am Schlosse weg und kletterten in einer Schlucht 6- bis 700 Fuß in grader Linie in die Höhe. Die Sonne war nicht längst erst untergegangen, und ich sah das Schloß in einer Entfernung von 240 Schritten vor mir; von dem Felsen, der mich und funfzig Kurden gänzlich verdeckte, er- streckt sich bis zum Fuße der Festung eine 100 Schritte breite Ebene, nur von wenigen kleinen Unebenheiten unter- brochen. Jenseits erhebt sich dann die unflankirte Mauer ohne Thüren oder Fenster mit Zinnen gekrönt, hinter deren Scharten man die Wachen auf und ab schreiten sah.
Es war indessen unerläßlich, weiter vorzudringen, die Kurden zeigten die größte Bereitwilligkeit, mir beizustehen, und baten nur die Nacht abzuwarten. Aber freilich stieg mit der Nacht auch der Vollmond in seiner südlichen Klar- heit über die Berge empor.
Als es auf dem Schlosse still geworden, schritten wir schnell und gebückt über die Ebene etwa hundert Schritte bis zu einigen Steinhaufen, hinter denen wir niederknieten. Als dies unbemerkt geschehen war, schlichen wir uns, in sofern man mit türkischen Stiefeln schleichen kann, bis zu einem letzten deckenden Steinblock, welcher nur noch 25 oder 30 Schritte vom Fuße der Mauer entfernt war. -- Der Ort wäre vortrefflich geeignet gewesen, den Mineur
Den 10. N. S. Jch bin von meiner geſtrigen Re- cognoſcirung zuruͤck; der Paſcha hatte einen Kurden-Aga als Fuͤhrer, zwei Capitains, meinen Aga und zwei Lahumd- ſchi oder Mineurs zu meiner Begleitung beſtimmt, da ich aber noch bei Tage ſehen wollte, ſo ging ich mit den Mi- neurs allein voraus. Jch ſelbſt werde wohl einer der be- ſten „Claus“ oder Fuͤhrer in dieſen Bergen ſein.
Jch habe Dir ſchon geſchrieben, daß die Kurden des Nachts ſehr keck zu Werke gehen und ſich nach und nach in großer Naͤhe rings um das Schloß feſtgeſetzt haben. Ein ſolcher Punkt iſt der Gipfel grade hinter dem Schloſſe, wel- cher mir der guͤnſtigſte fuͤr die jetzige Unternehmung ſchien; ohne ſonderlich angefochten zu werden, gingen wir weſtlich unten am Schloſſe weg und kletterten in einer Schlucht 6- bis 700 Fuß in grader Linie in die Hoͤhe. Die Sonne war nicht laͤngſt erſt untergegangen, und ich ſah das Schloß in einer Entfernung von 240 Schritten vor mir; von dem Felſen, der mich und funfzig Kurden gaͤnzlich verdeckte, er- ſtreckt ſich bis zum Fuße der Feſtung eine 100 Schritte breite Ebene, nur von wenigen kleinen Unebenheiten unter- brochen. Jenſeits erhebt ſich dann die unflankirte Mauer ohne Thuͤren oder Fenſter mit Zinnen gekroͤnt, hinter deren Scharten man die Wachen auf und ab ſchreiten ſah.
Es war indeſſen unerlaͤßlich, weiter vorzudringen, die Kurden zeigten die groͤßte Bereitwilligkeit, mir beizuſtehen, und baten nur die Nacht abzuwarten. Aber freilich ſtieg mit der Nacht auch der Vollmond in ſeiner ſuͤdlichen Klar- heit uͤber die Berge empor.
Als es auf dem Schloſſe ſtill geworden, ſchritten wir ſchnell und gebuͤckt uͤber die Ebene etwa hundert Schritte bis zu einigen Steinhaufen, hinter denen wir niederknieten. Als dies unbemerkt geſchehen war, ſchlichen wir uns, in ſofern man mit tuͤrkiſchen Stiefeln ſchleichen kann, bis zu einem letzten deckenden Steinblock, welcher nur noch 25 oder 30 Schritte vom Fuße der Mauer entfernt war. — Der Ort waͤre vortrefflich geeignet geweſen, den Mineur
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Den 10. N. S. Jch bin von meiner geſtrigen Re-
cognoſcirung zuruͤck; der Paſcha hatte einen Kurden-Aga
als Fuͤhrer, zwei Capitains, meinen Aga und zwei Lahumd-
ſchi oder Mineurs zu meiner Begleitung beſtimmt, da ich
aber noch bei Tage ſehen wollte, ſo ging ich mit den Mi-
neurs allein voraus. Jch ſelbſt werde wohl einer der be-
ſten „Claus“ oder Fuͤhrer in dieſen Bergen ſein.
Jch habe Dir ſchon geſchrieben, daß die Kurden des
Nachts ſehr keck zu Werke gehen und ſich nach und nach in
großer Naͤhe rings um das Schloß feſtgeſetzt haben. Ein
ſolcher Punkt iſt der Gipfel grade hinter dem Schloſſe, wel-
cher mir der guͤnſtigſte fuͤr die jetzige Unternehmung ſchien;
ohne ſonderlich angefochten zu werden, gingen wir weſtlich
unten am Schloſſe weg und kletterten in einer Schlucht
6- bis 700 Fuß in grader Linie in die Hoͤhe. Die Sonne
war nicht laͤngſt erſt untergegangen, und ich ſah das Schloß
in einer Entfernung von 240 Schritten vor mir; von dem
Felſen, der mich und funfzig Kurden gaͤnzlich verdeckte, er-
ſtreckt ſich bis zum Fuße der Feſtung eine 100 Schritte
breite Ebene, nur von wenigen kleinen Unebenheiten unter-
brochen. Jenſeits erhebt ſich dann die unflankirte Mauer
ohne Thuͤren oder Fenſter mit Zinnen gekroͤnt, hinter deren
Scharten man die Wachen auf und ab ſchreiten ſah.
Es war indeſſen unerlaͤßlich, weiter vorzudringen, die
Kurden zeigten die groͤßte Bereitwilligkeit, mir beizuſtehen,
und baten nur die Nacht abzuwarten. Aber freilich ſtieg
mit der Nacht auch der Vollmond in ſeiner ſuͤdlichen Klar-
heit uͤber die Berge empor.
Als es auf dem Schloſſe ſtill geworden, ſchritten wir
ſchnell und gebuͤckt uͤber die Ebene etwa hundert Schritte
bis zu einigen Steinhaufen, hinter denen wir niederknieten.
Als dies unbemerkt geſchehen war, ſchlichen wir uns, in
ſofern man mit tuͤrkiſchen Stiefeln ſchleichen kann, bis zu
einem letzten deckenden Steinblock, welcher nur noch 25
oder 30 Schritte vom Fuße der Mauer entfernt war. —
Der Ort waͤre vortrefflich geeignet geweſen, den Mineur
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/273>, abgerufen am 24.11.2024.
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