Beispiele schrecken aber die Araber nicht ab, und so weit ihre Rosse schweifen, kann keine dauernde Niederlassung be- stehen; der ganze Südfuß des Taurus, das alte Osroene, ist bedeckt von Spuren ihrer Zerstörung. Dort kommen köstliche Bäche von den Bergen herab; der Ueberfluß an Wasser vereint sich mit einem glühenden, stets heitern Him- mel und dem fruchtbarsten Boden, um ein Paradies zu schaffen, wenn Menschen es nicht zerstörten. Dort fällt kein Schnee mehr, der Oelbaum, die Weinrebe, der Maul- beer-, Feigen- und Granat-Baum wachsen überall von selbst hervor, wo man nur einen Wasserfaden hinleitet, und Korn, Reis und Baumwolle geben den üppigsten Ertrag. Aber von Karrhä, jetzt Harran, dem Sitz Abrahams, sind nur ein Erdhügel und Mauerreste übrig; Dara, die stolze Schöpfung Justinians, zeigt nur prachtvolle Ruinen, und in Nisibin, welches gänzlich zerstört war, hat erst unlängst Hafiß-Pascha auf uralten Fundamenten eine neue Caval- lerie-Caserne erbaut, unter deren Schutz die Stadt und die naheliegenden Dörfer wieder neu aufblühen. Orfa und Mossul endlich, die einzigen größern Städte, liegen wie vor- geschobene Posten in Mesopotamien.
Die Araber haben bei ihren Raubzügen vor sich die Hoffnung auf Beute, hinter sich die Gewißheit des Rück- zuges; sie allein kennen die Weideplätze und die versteckten Brunnen der Wüste; sie allein können in diesen Regionen leben, und auch sie nur durch die Hülfe des Kameels. Dieses Thier, welches eine Last von 5- bis 600 Pfd. trägt, schafft all ihr Eigenthum, ihre Frauen, Kinder und Greise, ihr Zelt, ihre Lebensmittel und Wasser von einem Ort zum andern; es macht sechs, acht, selbst zehn Tagereisen ohne zu trinken, ja ein fünfter Magen bewahrt seinem Herrn so- gar einen Trunk für den äußersten Fall der Noth; sein Haar dient zur Bekleidung und zu den Zelten; der Urin des Thiers liefert Salz, der Mist dient als Feuerung und erzeugt in Höhlen den Salpeter, aus welchem die Araber ihr Schießpulver selbst verfertigen. Die Milch des Ka-
Beiſpiele ſchrecken aber die Araber nicht ab, und ſo weit ihre Roſſe ſchweifen, kann keine dauernde Niederlaſſung be- ſtehen; der ganze Suͤdfuß des Taurus, das alte Osroene, iſt bedeckt von Spuren ihrer Zerſtoͤrung. Dort kommen koͤſtliche Baͤche von den Bergen herab; der Ueberfluß an Waſſer vereint ſich mit einem gluͤhenden, ſtets heitern Him- mel und dem fruchtbarſten Boden, um ein Paradies zu ſchaffen, wenn Menſchen es nicht zerſtoͤrten. Dort faͤllt kein Schnee mehr, der Oelbaum, die Weinrebe, der Maul- beer-, Feigen- und Granat-Baum wachſen uͤberall von ſelbſt hervor, wo man nur einen Waſſerfaden hinleitet, und Korn, Reis und Baumwolle geben den uͤppigſten Ertrag. Aber von Karrhaͤ, jetzt Harran, dem Sitz Abrahams, ſind nur ein Erdhuͤgel und Mauerreſte uͤbrig; Dara, die ſtolze Schoͤpfung Juſtinians, zeigt nur prachtvolle Ruinen, und in Niſibin, welches gaͤnzlich zerſtoͤrt war, hat erſt unlaͤngſt Hafiß-Paſcha auf uralten Fundamenten eine neue Caval- lerie-Caſerne erbaut, unter deren Schutz die Stadt und die naheliegenden Doͤrfer wieder neu aufbluͤhen. Orfa und Moſſul endlich, die einzigen groͤßern Staͤdte, liegen wie vor- geſchobene Poſten in Meſopotamien.
Die Araber haben bei ihren Raubzuͤgen vor ſich die Hoffnung auf Beute, hinter ſich die Gewißheit des Ruͤck- zuges; ſie allein kennen die Weideplaͤtze und die verſteckten Brunnen der Wuͤſte; ſie allein koͤnnen in dieſen Regionen leben, und auch ſie nur durch die Huͤlfe des Kameels. Dieſes Thier, welches eine Laſt von 5- bis 600 Pfd. traͤgt, ſchafft all ihr Eigenthum, ihre Frauen, Kinder und Greiſe, ihr Zelt, ihre Lebensmittel und Waſſer von einem Ort zum andern; es macht ſechs, acht, ſelbſt zehn Tagereiſen ohne zu trinken, ja ein fuͤnfter Magen bewahrt ſeinem Herrn ſo- gar einen Trunk fuͤr den aͤußerſten Fall der Noth; ſein Haar dient zur Bekleidung und zu den Zelten; der Urin des Thiers liefert Salz, der Miſt dient als Feuerung und erzeugt in Hoͤhlen den Salpeter, aus welchem die Araber ihr Schießpulver ſelbſt verfertigen. Die Milch des Ka-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0256"n="246"/>
Beiſpiele ſchrecken aber die Araber nicht ab, und ſo weit<lb/>
ihre Roſſe ſchweifen, kann keine dauernde Niederlaſſung be-<lb/>ſtehen; der ganze Suͤdfuß des Taurus, das alte Osroene,<lb/>
iſt bedeckt von Spuren ihrer Zerſtoͤrung. Dort kommen<lb/>
koͤſtliche Baͤche von den Bergen herab; der Ueberfluß an<lb/>
Waſſer vereint ſich mit einem gluͤhenden, ſtets heitern Him-<lb/>
mel und dem fruchtbarſten Boden, um ein Paradies zu<lb/>ſchaffen, wenn Menſchen es nicht zerſtoͤrten. Dort faͤllt<lb/>
kein Schnee mehr, der Oelbaum, die Weinrebe, der Maul-<lb/>
beer-, Feigen- und Granat-Baum wachſen uͤberall von<lb/>ſelbſt hervor, wo man nur einen Waſſerfaden hinleitet, und<lb/>
Korn, Reis und Baumwolle geben den uͤppigſten Ertrag.<lb/>
Aber von Karrhaͤ, jetzt Harran, dem Sitz Abrahams, ſind<lb/>
nur ein Erdhuͤgel und Mauerreſte uͤbrig; Dara, die ſtolze<lb/>
Schoͤpfung Juſtinians, zeigt nur prachtvolle Ruinen, und<lb/>
in Niſibin, welches gaͤnzlich zerſtoͤrt war, hat erſt unlaͤngſt<lb/><hirendition="#g">Hafiß-Paſcha</hi> auf uralten Fundamenten eine neue Caval-<lb/>
lerie-Caſerne erbaut, unter deren Schutz die Stadt und die<lb/>
naheliegenden Doͤrfer wieder neu aufbluͤhen. Orfa und<lb/>
Moſſul endlich, die einzigen groͤßern Staͤdte, liegen wie vor-<lb/>
geſchobene Poſten in Meſopotamien.</p><lb/><p>Die Araber haben bei ihren Raubzuͤgen <hirendition="#g">vor</hi>ſich die<lb/>
Hoffnung auf Beute, <hirendition="#g">hinter</hi>ſich die Gewißheit des Ruͤck-<lb/>
zuges; ſie allein kennen die Weideplaͤtze und die verſteckten<lb/>
Brunnen der Wuͤſte; ſie allein koͤnnen in dieſen Regionen<lb/>
leben, und auch ſie nur durch die Huͤlfe des Kameels.<lb/>
Dieſes Thier, welches eine Laſt von 5- bis 600 Pfd. traͤgt,<lb/>ſchafft all ihr Eigenthum, ihre Frauen, Kinder und Greiſe,<lb/>
ihr Zelt, ihre Lebensmittel und Waſſer von einem Ort zum<lb/>
andern; es macht ſechs, acht, ſelbſt zehn Tagereiſen ohne<lb/>
zu trinken, ja ein fuͤnfter Magen bewahrt ſeinem Herrn ſo-<lb/>
gar einen Trunk fuͤr den aͤußerſten Fall der Noth; ſein<lb/>
Haar dient zur Bekleidung und zu den Zelten; der Urin<lb/>
des Thiers liefert Salz, der Miſt dient als Feuerung und<lb/>
erzeugt in Hoͤhlen den Salpeter, aus welchem die Araber<lb/>
ihr Schießpulver ſelbſt verfertigen. Die Milch des Ka-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[246/0256]
Beiſpiele ſchrecken aber die Araber nicht ab, und ſo weit
ihre Roſſe ſchweifen, kann keine dauernde Niederlaſſung be-
ſtehen; der ganze Suͤdfuß des Taurus, das alte Osroene,
iſt bedeckt von Spuren ihrer Zerſtoͤrung. Dort kommen
koͤſtliche Baͤche von den Bergen herab; der Ueberfluß an
Waſſer vereint ſich mit einem gluͤhenden, ſtets heitern Him-
mel und dem fruchtbarſten Boden, um ein Paradies zu
ſchaffen, wenn Menſchen es nicht zerſtoͤrten. Dort faͤllt
kein Schnee mehr, der Oelbaum, die Weinrebe, der Maul-
beer-, Feigen- und Granat-Baum wachſen uͤberall von
ſelbſt hervor, wo man nur einen Waſſerfaden hinleitet, und
Korn, Reis und Baumwolle geben den uͤppigſten Ertrag.
Aber von Karrhaͤ, jetzt Harran, dem Sitz Abrahams, ſind
nur ein Erdhuͤgel und Mauerreſte uͤbrig; Dara, die ſtolze
Schoͤpfung Juſtinians, zeigt nur prachtvolle Ruinen, und
in Niſibin, welches gaͤnzlich zerſtoͤrt war, hat erſt unlaͤngſt
Hafiß-Paſcha auf uralten Fundamenten eine neue Caval-
lerie-Caſerne erbaut, unter deren Schutz die Stadt und die
naheliegenden Doͤrfer wieder neu aufbluͤhen. Orfa und
Moſſul endlich, die einzigen groͤßern Staͤdte, liegen wie vor-
geſchobene Poſten in Meſopotamien.
Die Araber haben bei ihren Raubzuͤgen vor ſich die
Hoffnung auf Beute, hinter ſich die Gewißheit des Ruͤck-
zuges; ſie allein kennen die Weideplaͤtze und die verſteckten
Brunnen der Wuͤſte; ſie allein koͤnnen in dieſen Regionen
leben, und auch ſie nur durch die Huͤlfe des Kameels.
Dieſes Thier, welches eine Laſt von 5- bis 600 Pfd. traͤgt,
ſchafft all ihr Eigenthum, ihre Frauen, Kinder und Greiſe,
ihr Zelt, ihre Lebensmittel und Waſſer von einem Ort zum
andern; es macht ſechs, acht, ſelbſt zehn Tagereiſen ohne
zu trinken, ja ein fuͤnfter Magen bewahrt ſeinem Herrn ſo-
gar einen Trunk fuͤr den aͤußerſten Fall der Noth; ſein
Haar dient zur Bekleidung und zu den Zelten; der Urin
des Thiers liefert Salz, der Miſt dient als Feuerung und
erzeugt in Hoͤhlen den Salpeter, aus welchem die Araber
ihr Schießpulver ſelbſt verfertigen. Die Milch des Ka-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/256>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.