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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Diejenigen Araber, welche eine höhere Stufe der Aus-
bildung erreicht, welche sich angesiedelt und dem Ackerbau,
dem Handel oder Gewerbfleiß oblagen, eben diese sanken
von nun an unter den Druck der Gewaltherrschaft. Es
bedurfte des künstlichen Getriebes einer europäisirten Re-
gierung und des Beistandes der Franken, es bedurfte der
Einführung von Volkszählungen und Steuern, von Zöllen
und Monopolen, von stehenden Heeren und Conscription,
verbunden mit dem Aemterhandel, den Steuerpachtungen,
den Frohnen und den Lastern des Orients; es bedurfte vor
Allem eines so mächtigen Geistes, eines so kräftigen Wil-
lens und so seltenen Glückes wie das Mehmet Ali's,
um die vielleicht noch nie und nirgend erreichte Höhe der
Tyrannei zu verwirklichen, unter welcher heute die Fellahs
in Aegypten und die Araber in Syrien feufzen, um ein
ganzes Land in eine Domaine, ein ganzes Volk in leibeigene
Sclaven zu verwandeln.

Aber der bei weitem größere Theil der arabischen Na-
tion war seinen alten Gebräuchen treu geblieben, und der
Despotismus konnte sich seiner nicht bemächtigen. Die
Ausdehnung der Wüsten Asiens und Afrika's, ihr glühen-
der Himmel, ihr wasserarmer Boden und die Armuth der
Bewohner waren zu allen Zeiten der Schutz der Araber ge-
wesen. Die Herrschaft der Perser, der Römer und Grie-
chen hat nur theilweise, vorübergehend, oft nur dem Na-
men nach bestanden, und noch heute führt der Beduine das-
selbe Leben der Entbehrung, der Mühe und Unabhängigkeit
wie seine Vorväter, noch heute durchstreift er eben die
Steppen und tränkt seine Heerde an eben den Brunnen,
wie zu Moses und Mahomets Zeit.

Die ältesten Beschreibungen der Araber passen noch
vollkommen auf die Beduinen unserer Zeit; noch jetzt tren-
nen unauslöschliche Fehden die einzelnen Stämme, der Be-
sitz eines Weideplatzes oder eines Brunnens entscheidet über
das Wohl zahlreicher Familien, und Blutrache und Gast-
freundschaft sind noch immer die Laster und Tugenden die-

Diejenigen Araber, welche eine hoͤhere Stufe der Aus-
bildung erreicht, welche ſich angeſiedelt und dem Ackerbau,
dem Handel oder Gewerbfleiß oblagen, eben dieſe ſanken
von nun an unter den Druck der Gewaltherrſchaft. Es
bedurfte des kuͤnſtlichen Getriebes einer europaͤiſirten Re-
gierung und des Beiſtandes der Franken, es bedurfte der
Einfuͤhrung von Volkszaͤhlungen und Steuern, von Zoͤllen
und Monopolen, von ſtehenden Heeren und Conſcription,
verbunden mit dem Aemterhandel, den Steuerpachtungen,
den Frohnen und den Laſtern des Orients; es bedurfte vor
Allem eines ſo maͤchtigen Geiſtes, eines ſo kraͤftigen Wil-
lens und ſo ſeltenen Gluͤckes wie das Mehmet Ali's,
um die vielleicht noch nie und nirgend erreichte Hoͤhe der
Tyrannei zu verwirklichen, unter welcher heute die Fellahs
in Aegypten und die Araber in Syrien feufzen, um ein
ganzes Land in eine Domaine, ein ganzes Volk in leibeigene
Sclaven zu verwandeln.

Aber der bei weitem groͤßere Theil der arabiſchen Na-
tion war ſeinen alten Gebraͤuchen treu geblieben, und der
Despotismus konnte ſich ſeiner nicht bemaͤchtigen. Die
Ausdehnung der Wuͤſten Aſiens und Afrika's, ihr gluͤhen-
der Himmel, ihr waſſerarmer Boden und die Armuth der
Bewohner waren zu allen Zeiten der Schutz der Araber ge-
weſen. Die Herrſchaft der Perſer, der Roͤmer und Grie-
chen hat nur theilweiſe, voruͤbergehend, oft nur dem Na-
men nach beſtanden, und noch heute fuͤhrt der Beduine daſ-
ſelbe Leben der Entbehrung, der Muͤhe und Unabhaͤngigkeit
wie ſeine Vorvaͤter, noch heute durchſtreift er eben die
Steppen und traͤnkt ſeine Heerde an eben den Brunnen,
wie zu Moſes und Mahomets Zeit.

Die aͤlteſten Beſchreibungen der Araber paſſen noch
vollkommen auf die Beduinen unſerer Zeit; noch jetzt tren-
nen unausloͤſchliche Fehden die einzelnen Staͤmme, der Be-
ſitz eines Weideplatzes oder eines Brunnens entſcheidet uͤber
das Wohl zahlreicher Familien, und Blutrache und Gaſt-
freundſchaft ſind noch immer die Laſter und Tugenden die-

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[244/0254] Diejenigen Araber, welche eine hoͤhere Stufe der Aus- bildung erreicht, welche ſich angeſiedelt und dem Ackerbau, dem Handel oder Gewerbfleiß oblagen, eben dieſe ſanken von nun an unter den Druck der Gewaltherrſchaft. Es bedurfte des kuͤnſtlichen Getriebes einer europaͤiſirten Re- gierung und des Beiſtandes der Franken, es bedurfte der Einfuͤhrung von Volkszaͤhlungen und Steuern, von Zoͤllen und Monopolen, von ſtehenden Heeren und Conſcription, verbunden mit dem Aemterhandel, den Steuerpachtungen, den Frohnen und den Laſtern des Orients; es bedurfte vor Allem eines ſo maͤchtigen Geiſtes, eines ſo kraͤftigen Wil- lens und ſo ſeltenen Gluͤckes wie das Mehmet Ali's, um die vielleicht noch nie und nirgend erreichte Hoͤhe der Tyrannei zu verwirklichen, unter welcher heute die Fellahs in Aegypten und die Araber in Syrien feufzen, um ein ganzes Land in eine Domaine, ein ganzes Volk in leibeigene Sclaven zu verwandeln. Aber der bei weitem groͤßere Theil der arabiſchen Na- tion war ſeinen alten Gebraͤuchen treu geblieben, und der Despotismus konnte ſich ſeiner nicht bemaͤchtigen. Die Ausdehnung der Wuͤſten Aſiens und Afrika's, ihr gluͤhen- der Himmel, ihr waſſerarmer Boden und die Armuth der Bewohner waren zu allen Zeiten der Schutz der Araber ge- weſen. Die Herrſchaft der Perſer, der Roͤmer und Grie- chen hat nur theilweiſe, voruͤbergehend, oft nur dem Na- men nach beſtanden, und noch heute fuͤhrt der Beduine daſ- ſelbe Leben der Entbehrung, der Muͤhe und Unabhaͤngigkeit wie ſeine Vorvaͤter, noch heute durchſtreift er eben die Steppen und traͤnkt ſeine Heerde an eben den Brunnen, wie zu Moſes und Mahomets Zeit. Die aͤlteſten Beſchreibungen der Araber paſſen noch vollkommen auf die Beduinen unſerer Zeit; noch jetzt tren- nen unausloͤſchliche Fehden die einzelnen Staͤmme, der Be- ſitz eines Weideplatzes oder eines Brunnens entſcheidet uͤber das Wohl zahlreicher Familien, und Blutrache und Gaſt- freundſchaft ſind noch immer die Laſter und Tugenden die-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/254>, abgerufen am 28.11.2024.