macht und auf und davon schwamm, der eine Aga stürzte sich sogleich ins Wasser und erreichte es noch glücklich, sonst wären wir im Naturzustande auf der wüsten Jnsel zurückgeblieben.
Nachdem wir uns nothdürftig getrocknet, setzten wir unsere Reise fort, aber neue Regengüsse machten die Arbeit unnütz; die Nacht war so finster, daß wir aus Besorgniß, in neue Strudel zu gerathen, anlegen mußten. Trotz der empfindlichsten Kälte und durchnäßt bis auf die Haut, wagten wir nicht, ein Feuer anzuzünden, weil wir sonst die Araber herbeigelockt hätten; wir zogen unser Floß in aller Stille unter einen Weidenbaum, und erwarteten sehnsüch- tig, daß die Sonne hinter dem persischen Grenzgebirge em- porsteigen möchte, uns zu erwärmen.
Von Dschesireh an tritt der Tigris wieder in die Ebene und entfernt sich von dem hohen prachtvollen Dschüdid- Gebirge, auf dessen leuchtenden Schneegipfeln, nach der Sage des Volks, Noah mit seiner gemischten Gesellschaft debarkirt haben soll. Die Gegend wird nun sehr einför- mig, selten entdeckt man ein Dorf, und die mehrsten der- selben sind unbewohnt und zerstört; man erkennt, daß man in den Bereich der Araber getreten ist; nirgends erblickt man einen Baum, und wo sich ein kleiner Strauch erhal- ten, da ist er "Siareth" oder Heiligthum, und mit zahl- losen Fetzen von Kleidern bedeckt, denn die Kranken glau- ben zu genesen, wenn sie einen Theil ihres Anzugs dem Heiligen weihen.
Auf einem isolirten Berg von bedeutender Erhebung sahen wir schon aus großer Ferne die Trümmer einer al- ten Stadt; wir umschifften diese Höhe an ihrem nördli- chen, östlichen und südlichen Fuß; ich vermuthe, daß dies das alte Bezabde gewesen ist, von welchem berichtet wird, daß es in der Wüste gelegen, auf drei Seiten vom Tigris umflossen war. Sapor belagerte es nach der Einnahme von Amida, machte drei Legionen zu Gefangenen und legte eine persische Besatzung in den Platz.
macht und auf und davon ſchwamm, der eine Aga ſtuͤrzte ſich ſogleich ins Waſſer und erreichte es noch gluͤcklich, ſonſt waͤren wir im Naturzuſtande auf der wuͤſten Jnſel zuruͤckgeblieben.
Nachdem wir uns nothduͤrftig getrocknet, ſetzten wir unſere Reiſe fort, aber neue Regenguͤſſe machten die Arbeit unnuͤtz; die Nacht war ſo finſter, daß wir aus Beſorgniß, in neue Strudel zu gerathen, anlegen mußten. Trotz der empfindlichſten Kaͤlte und durchnaͤßt bis auf die Haut, wagten wir nicht, ein Feuer anzuzuͤnden, weil wir ſonſt die Araber herbeigelockt haͤtten; wir zogen unſer Floß in aller Stille unter einen Weidenbaum, und erwarteten ſehnſuͤch- tig, daß die Sonne hinter dem perſiſchen Grenzgebirge em- porſteigen moͤchte, uns zu erwaͤrmen.
Von Dſcheſireh an tritt der Tigris wieder in die Ebene und entfernt ſich von dem hohen prachtvollen Dſchuͤdid- Gebirge, auf deſſen leuchtenden Schneegipfeln, nach der Sage des Volks, Noah mit ſeiner gemiſchten Geſellſchaft debarkirt haben ſoll. Die Gegend wird nun ſehr einfoͤr- mig, ſelten entdeckt man ein Dorf, und die mehrſten der- ſelben ſind unbewohnt und zerſtoͤrt; man erkennt, daß man in den Bereich der Araber getreten iſt; nirgends erblickt man einen Baum, und wo ſich ein kleiner Strauch erhal- ten, da iſt er „Siareth“ oder Heiligthum, und mit zahl- loſen Fetzen von Kleidern bedeckt, denn die Kranken glau- ben zu geneſen, wenn ſie einen Theil ihres Anzugs dem Heiligen weihen.
Auf einem iſolirten Berg von bedeutender Erhebung ſahen wir ſchon aus großer Ferne die Truͤmmer einer al- ten Stadt; wir umſchifften dieſe Hoͤhe an ihrem noͤrdli- chen, oͤſtlichen und ſuͤdlichen Fuß; ich vermuthe, daß dies das alte Bezabde geweſen iſt, von welchem berichtet wird, daß es in der Wuͤſte gelegen, auf drei Seiten vom Tigris umfloſſen war. Sapor belagerte es nach der Einnahme von Amida, machte drei Legionen zu Gefangenen und legte eine perſiſche Beſatzung in den Platz.
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macht und auf und davon ſchwamm, der eine Aga ſtuͤrzte
ſich ſogleich ins Waſſer und erreichte es noch gluͤcklich,
ſonſt waͤren wir im Naturzuſtande auf der wuͤſten Jnſel
zuruͤckgeblieben.
Nachdem wir uns nothduͤrftig getrocknet, ſetzten wir
unſere Reiſe fort, aber neue Regenguͤſſe machten die Arbeit
unnuͤtz; die Nacht war ſo finſter, daß wir aus Beſorgniß,
in neue Strudel zu gerathen, anlegen mußten. Trotz der
empfindlichſten Kaͤlte und durchnaͤßt bis auf die Haut,
wagten wir nicht, ein Feuer anzuzuͤnden, weil wir ſonſt die
Araber herbeigelockt haͤtten; wir zogen unſer Floß in aller
Stille unter einen Weidenbaum, und erwarteten ſehnſuͤch-
tig, daß die Sonne hinter dem perſiſchen Grenzgebirge em-
porſteigen moͤchte, uns zu erwaͤrmen.
Von Dſcheſireh an tritt der Tigris wieder in die Ebene
und entfernt ſich von dem hohen prachtvollen Dſchuͤdid-
Gebirge, auf deſſen leuchtenden Schneegipfeln, nach der
Sage des Volks, Noah mit ſeiner gemiſchten Geſellſchaft
debarkirt haben ſoll. Die Gegend wird nun ſehr einfoͤr-
mig, ſelten entdeckt man ein Dorf, und die mehrſten der-
ſelben ſind unbewohnt und zerſtoͤrt; man erkennt, daß man
in den Bereich der Araber getreten iſt; nirgends erblickt
man einen Baum, und wo ſich ein kleiner Strauch erhal-
ten, da iſt er „Siareth“ oder Heiligthum, und mit zahl-
loſen Fetzen von Kleidern bedeckt, denn die Kranken glau-
ben zu geneſen, wenn ſie einen Theil ihres Anzugs dem
Heiligen weihen.
Auf einem iſolirten Berg von bedeutender Erhebung
ſahen wir ſchon aus großer Ferne die Truͤmmer einer al-
ten Stadt; wir umſchifften dieſe Hoͤhe an ihrem noͤrdli-
chen, oͤſtlichen und ſuͤdlichen Fuß; ich vermuthe, daß dies
das alte Bezabde geweſen iſt, von welchem berichtet wird,
daß es in der Wuͤſte gelegen, auf drei Seiten vom Tigris
umfloſſen war. Sapor belagerte es nach der Einnahme
von Amida, machte drei Legionen zu Gefangenen und legte
eine perſiſche Beſatzung in den Platz.
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/249>, abgerufen am 24.11.2024.
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