ten, wo sie sich gegen die einzig zugängliche Seite mit einer Mauer befestigt haben. Jn der engen Felsschlucht fand ich große Steinblöcke, die von oben herabgerollt sind; man hat sie ausgehöhlt, zu Wohnungen gemacht, und diese Trüm- mer bilden eine kleine, freilich sehr unregelmäßige Stadt, die sogar ihr Bazar hat. Aber der merkwürdigste Gegen- stand sind die Reste einer Brücke, welche in einem gewalti- gen Bogen von 80 bis 100 Fuß Spannung hier den Ti- gris überschritten hat. Jch weiß nicht, ob man einen so kühnen Bau den alten armenischen Königen, den griechi- schen Kaisern oder wohl eher den Kalifen zuschreiben darf.
Auch unterhalb Hassu-Kejfa ist die Gegend wild und schön. Wir fuhren an einer Höhle vorüber, welche durch Schwefel-Quellen geheizt wird, und erreichten am Morgen des dritten Tages Dschesireh (die "Jnsel"), welche vom Ti- gris und einem Arm desselben rings umschlossen ist. Von dieser Stadt ist, so viel ich weiß, im Alterthume nie die Rede gewesen; die schönen Trümmer einer großen Burg am Ufer des Stromes wurden von den Einwohnern als ein Bau der Genueser betrachtet; doch glaub' ich nicht, daß ihre Factoreien je so weit in das wilde Binnenland Armeniens hineingereicht haben. Eine Brücke führte aus dem Schloß auf das jenseitige Ufer, wo man noch die Fun- damente eines Thurmes erkennt, welcher den Zugang zu derselben sperrte. Die Stadt ist von einer Mauer aus Basalt umschlossen, die Reschid Pascha während mehre- rer Monate bestürmte. Nach der Eroberung ist hier furcht- bar gehauset worden, fast alle Männer wurden niederge- macht, die Weiber und Kinder in Sclaverei fortgeschleppt, weil sie Yeziden oder Teufelsanbeter. Die Stadt selbst ist ein Trümmerhaufen, und in den verödeten Straßen sucht man nur mit Mühe einige wenige Menschenwohnungen auf. Wie seltsam contrastirt mit diesem Bilde der Zerstörung und Armuth der überschwengliche Reichthum der Natur! Jch trat aus der elenden Hütte des Ayans in einen Hof zwischen verfallenen Mauern, und stand plötzlich unter einem
ten, wo ſie ſich gegen die einzig zugaͤngliche Seite mit einer Mauer befeſtigt haben. Jn der engen Felsſchlucht fand ich große Steinbloͤcke, die von oben herabgerollt ſind; man hat ſie ausgehoͤhlt, zu Wohnungen gemacht, und dieſe Truͤm- mer bilden eine kleine, freilich ſehr unregelmaͤßige Stadt, die ſogar ihr Bazar hat. Aber der merkwuͤrdigſte Gegen- ſtand ſind die Reſte einer Bruͤcke, welche in einem gewalti- gen Bogen von 80 bis 100 Fuß Spannung hier den Ti- gris uͤberſchritten hat. Jch weiß nicht, ob man einen ſo kuͤhnen Bau den alten armeniſchen Koͤnigen, den griechi- ſchen Kaiſern oder wohl eher den Kalifen zuſchreiben darf.
Auch unterhalb Haſſu-Kejfa iſt die Gegend wild und ſchoͤn. Wir fuhren an einer Hoͤhle voruͤber, welche durch Schwefel-Quellen geheizt wird, und erreichten am Morgen des dritten Tages Dſcheſireh (die „Jnſel“), welche vom Ti- gris und einem Arm deſſelben rings umſchloſſen iſt. Von dieſer Stadt iſt, ſo viel ich weiß, im Alterthume nie die Rede geweſen; die ſchoͤnen Truͤmmer einer großen Burg am Ufer des Stromes wurden von den Einwohnern als ein Bau der Genueſer betrachtet; doch glaub' ich nicht, daß ihre Factoreien je ſo weit in das wilde Binnenland Armeniens hineingereicht haben. Eine Bruͤcke fuͤhrte aus dem Schloß auf das jenſeitige Ufer, wo man noch die Fun- damente eines Thurmes erkennt, welcher den Zugang zu derſelben ſperrte. Die Stadt iſt von einer Mauer aus Baſalt umſchloſſen, die Reſchid Paſcha waͤhrend mehre- rer Monate beſtuͤrmte. Nach der Eroberung iſt hier furcht- bar gehauſet worden, faſt alle Maͤnner wurden niederge- macht, die Weiber und Kinder in Sclaverei fortgeſchleppt, weil ſie Yeziden oder Teufelsanbeter. Die Stadt ſelbſt iſt ein Truͤmmerhaufen, und in den veroͤdeten Straßen ſucht man nur mit Muͤhe einige wenige Menſchenwohnungen auf. Wie ſeltſam contraſtirt mit dieſem Bilde der Zerſtoͤrung und Armuth der uͤberſchwengliche Reichthum der Natur! Jch trat aus der elenden Huͤtte des Ayans in einen Hof zwiſchen verfallenen Mauern, und ſtand ploͤtzlich unter einem
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ten, wo ſie ſich gegen die einzig zugaͤngliche Seite mit einer
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ich große Steinbloͤcke, die von oben herabgerollt ſind; man
hat ſie ausgehoͤhlt, zu Wohnungen gemacht, und dieſe Truͤm-
mer bilden eine kleine, freilich ſehr unregelmaͤßige Stadt,
die ſogar ihr Bazar hat. Aber der merkwuͤrdigſte Gegen-
ſtand ſind die Reſte einer Bruͤcke, welche in einem gewalti-
gen Bogen von 80 bis 100 Fuß Spannung hier den Ti-
gris uͤberſchritten hat. Jch weiß nicht, ob man einen ſo
kuͤhnen Bau den alten armeniſchen Koͤnigen, den griechi-
ſchen Kaiſern oder wohl eher den Kalifen zuſchreiben darf.
Auch unterhalb Haſſu-Kejfa iſt die Gegend wild und
ſchoͤn. Wir fuhren an einer Hoͤhle voruͤber, welche durch
Schwefel-Quellen geheizt wird, und erreichten am Morgen
des dritten Tages Dſcheſireh (die „Jnſel“), welche vom Ti-
gris und einem Arm deſſelben rings umſchloſſen iſt. Von
dieſer Stadt iſt, ſo viel ich weiß, im Alterthume nie die
Rede geweſen; die ſchoͤnen Truͤmmer einer großen Burg
am Ufer des Stromes wurden von den Einwohnern als
ein Bau der Genueſer betrachtet; doch glaub' ich nicht,
daß ihre Factoreien je ſo weit in das wilde Binnenland
Armeniens hineingereicht haben. Eine Bruͤcke fuͤhrte aus
dem Schloß auf das jenſeitige Ufer, wo man noch die Fun-
damente eines Thurmes erkennt, welcher den Zugang zu
derſelben ſperrte. Die Stadt iſt von einer Mauer aus
Baſalt umſchloſſen, die Reſchid Paſcha waͤhrend mehre-
rer Monate beſtuͤrmte. Nach der Eroberung iſt hier furcht-
bar gehauſet worden, faſt alle Maͤnner wurden niederge-
macht, die Weiber und Kinder in Sclaverei fortgeſchleppt,
weil ſie Yeziden oder Teufelsanbeter. Die Stadt ſelbſt iſt
ein Truͤmmerhaufen, und in den veroͤdeten Straßen ſucht
man nur mit Muͤhe einige wenige Menſchenwohnungen auf.
Wie ſeltſam contraſtirt mit dieſem Bilde der Zerſtoͤrung
und Armuth der uͤberſchwengliche Reichthum der Natur!
Jch trat aus der elenden Huͤtte des Ayans in einen Hof
zwiſchen verfallenen Mauern, und ſtand ploͤtzlich unter einem
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/247>, abgerufen am 24.11.2024.
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