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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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man denken kann. Außer der Stadt Suverek habe ich auf
dieser vierzig Stunden weiten Strecke nur vier bewohnte
Dörfer gesehen, alle übrigen sind Steinhaufen, in die nur
des Winters sich Araber einnisten. Brunnen giebt es we-
nige, die Thäler sind ohne Wasser, selbst ohne Spur, daß
je Wasser in denselben gewesen, indeß findet man von Ent-
fernung zu Entfernung Airats, d. h. überwölbte Cisternen,
in welchen im Winter das Wasser von dem nackten Stein-
boden zusammenläuft. Die Airat sind fromme Stiftungen,
und während des Sommers findet man Turkmannen und
Araber mit hunderttausenden Stück Vieh um sie gelagert,
deshalb ist ihr Vorrath im Juni meist schon erschöpft; zu-
weilen liegen sie sehr tief, und lange Stiegen führen hinab
bis an den Spiegel des heiß ersehnten Elements. Sie sind
des Nachts der Aufenthalt von hunderten von wilden Tau-
ben, welche aufgestört mit lautem Geräusch und klappenden
Flügeln den Eintretenden erschrecken.

Die Basalttrümmer sind aus dem einzigen engen Fuß-
pfad mühsam heraus gelesen. So ritt ich denn bis in die
Nacht bei hellem Mondschein durch diese Einöde. Selten
begegnete man einem Trupp Reiter mit ihren langen Lan-
zen und wechselte den Gruß "Selam aleikon!" "Aleikon
selam
!" Hin und wieder sah man eine Kameelheerde, die
ihr Futter mühsam zwischen den Steinen aufsuchte, und die
schwarzen Zelte der Hirten daneben. Der Surudschi sang
dasselbe Lied, dessen Refrain Aman! Aman! (Erbarmen!
Erbarmen!) nach derselben eintönigen Weise, die an der
Donau wie am Euphrat erklingt, und mir war es manch-
mal, als müßte ich aus einem Schlummer erwachen, in
welchem mir geträumt, in Mesopotamien zu sein.

Fast jedes Gebirge ist schön; der Karadscha-Dagh zwi-
schen Frat und Tigris ist das einzige, welches ich bisher
gesehen, das eine Ausnahme macht. Mit einer beständigen
sanften Böschung von nicht über 3 bis 5 Gr. steigt man
während zweier Tagemärsche, und findet sich plötzlich zu sei-
nem Erstaunen im Schnee; man glaubt auf der Ebene zu

man denken kann. Außer der Stadt Suverek habe ich auf
dieſer vierzig Stunden weiten Strecke nur vier bewohnte
Doͤrfer geſehen, alle uͤbrigen ſind Steinhaufen, in die nur
des Winters ſich Araber einniſten. Brunnen giebt es we-
nige, die Thaͤler ſind ohne Waſſer, ſelbſt ohne Spur, daß
je Waſſer in denſelben geweſen, indeß findet man von Ent-
fernung zu Entfernung Airats, d. h. uͤberwoͤlbte Ciſternen,
in welchen im Winter das Waſſer von dem nackten Stein-
boden zuſammenlaͤuft. Die Airat ſind fromme Stiftungen,
und waͤhrend des Sommers findet man Turkmannen und
Araber mit hunderttauſenden Stuͤck Vieh um ſie gelagert,
deshalb iſt ihr Vorrath im Juni meiſt ſchon erſchoͤpft; zu-
weilen liegen ſie ſehr tief, und lange Stiegen fuͤhren hinab
bis an den Spiegel des heiß erſehnten Elements. Sie ſind
des Nachts der Aufenthalt von hunderten von wilden Tau-
ben, welche aufgeſtoͤrt mit lautem Geraͤuſch und klappenden
Fluͤgeln den Eintretenden erſchrecken.

Die Baſalttruͤmmer ſind aus dem einzigen engen Fuß-
pfad muͤhſam heraus geleſen. So ritt ich denn bis in die
Nacht bei hellem Mondſchein durch dieſe Einoͤde. Selten
begegnete man einem Trupp Reiter mit ihren langen Lan-
zen und wechſelte den Gruß „Selam aleikon!“ „Aleikon
selam
!“ Hin und wieder ſah man eine Kameelheerde, die
ihr Futter muͤhſam zwiſchen den Steinen aufſuchte, und die
ſchwarzen Zelte der Hirten daneben. Der Surudſchi ſang
daſſelbe Lied, deſſen Refrain Aman! Aman! (Erbarmen!
Erbarmen!) nach derſelben eintoͤnigen Weiſe, die an der
Donau wie am Euphrat erklingt, und mir war es manch-
mal, als muͤßte ich aus einem Schlummer erwachen, in
welchem mir getraͤumt, in Meſopotamien zu ſein.

Faſt jedes Gebirge iſt ſchoͤn; der Karadſcha-Dagh zwi-
ſchen Frat und Tigris iſt das einzige, welches ich bisher
geſehen, das eine Ausnahme macht. Mit einer beſtaͤndigen
ſanften Boͤſchung von nicht uͤber 3 bis 5 Gr. ſteigt man
waͤhrend zweier Tagemaͤrſche, und findet ſich ploͤtzlich zu ſei-
nem Erſtaunen im Schnee; man glaubt auf der Ebene zu

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[231/0241] man denken kann. Außer der Stadt Suverek habe ich auf dieſer vierzig Stunden weiten Strecke nur vier bewohnte Doͤrfer geſehen, alle uͤbrigen ſind Steinhaufen, in die nur des Winters ſich Araber einniſten. Brunnen giebt es we- nige, die Thaͤler ſind ohne Waſſer, ſelbſt ohne Spur, daß je Waſſer in denſelben geweſen, indeß findet man von Ent- fernung zu Entfernung Airats, d. h. uͤberwoͤlbte Ciſternen, in welchen im Winter das Waſſer von dem nackten Stein- boden zuſammenlaͤuft. Die Airat ſind fromme Stiftungen, und waͤhrend des Sommers findet man Turkmannen und Araber mit hunderttauſenden Stuͤck Vieh um ſie gelagert, deshalb iſt ihr Vorrath im Juni meiſt ſchon erſchoͤpft; zu- weilen liegen ſie ſehr tief, und lange Stiegen fuͤhren hinab bis an den Spiegel des heiß erſehnten Elements. Sie ſind des Nachts der Aufenthalt von hunderten von wilden Tau- ben, welche aufgeſtoͤrt mit lautem Geraͤuſch und klappenden Fluͤgeln den Eintretenden erſchrecken. Die Baſalttruͤmmer ſind aus dem einzigen engen Fuß- pfad muͤhſam heraus geleſen. So ritt ich denn bis in die Nacht bei hellem Mondſchein durch dieſe Einoͤde. Selten begegnete man einem Trupp Reiter mit ihren langen Lan- zen und wechſelte den Gruß „Selam aleikon!“ „Aleikon selam!“ Hin und wieder ſah man eine Kameelheerde, die ihr Futter muͤhſam zwiſchen den Steinen aufſuchte, und die ſchwarzen Zelte der Hirten daneben. Der Surudſchi ſang daſſelbe Lied, deſſen Refrain Aman! Aman! (Erbarmen! Erbarmen!) nach derſelben eintoͤnigen Weiſe, die an der Donau wie am Euphrat erklingt, und mir war es manch- mal, als muͤßte ich aus einem Schlummer erwachen, in welchem mir getraͤumt, in Meſopotamien zu ſein. Faſt jedes Gebirge iſt ſchoͤn; der Karadſcha-Dagh zwi- ſchen Frat und Tigris iſt das einzige, welches ich bisher geſehen, das eine Ausnahme macht. Mit einer beſtaͤndigen ſanften Boͤſchung von nicht uͤber 3 bis 5 Gr. ſteigt man waͤhrend zweier Tagemaͤrſche, und findet ſich ploͤtzlich zu ſei- nem Erſtaunen im Schnee; man glaubt auf der Ebene zu

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/241>, abgerufen am 25.11.2024.