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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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nungen sind daher meist in den weichen Sandstein einge-
höhlt und liegen auf den Spitzen der Hügel, wo derselbe
zu Tage steht; weil nun aber in der Ebene kein Fels her-
vortritt, war das große Kunststück dort, ein Dach herzu-
stellen. Jn Charmelyk hatte man sich damit geholfen, daß
man aus Stein und Lehm eine Art von Kuppel wölbte,
das Dorf zeigt hunderte solcher dicht an einander gerückter
Backöfen, und jede Wohnung aus mehreren Domen, von
denen einer Stall, einer Harem, einer Selamlik oder Em-
pfangzimmer u. s. w. ist. Man zündete uns ein Feuer aus
Kameelmist und den Wurzeln einer Schierlingspflanze an.

Orfa, das alte Edessa, war Hauptstadt des König-
reichs Osroene, und wurde 216 eine Colonie der Römer,
welche unter Severus dort, und durch die Befestigung von
Nisibis festen Fuß jenseit des Euphrat faßten. Orfa ist
merkwürdig in der Kirchengeschichte durch das berühmte
Bild von Edessa. Erst Jahrhunderte nach dem Tode des
Erlösers verbreitete sich der Bilderdienst in der christlichen
Gemeinschaft, und es war daher nicht leicht, irgend eine
Darstellung der Züge des Heilands als treu und wahr
aufzustellen. Man erinnerte sich jedoch einer syrischen Sage
von der Reise des Königs Abgarus, welcher Christus auf-
suchte, ihm Edessa zum Schutz gegen die Bosheit der Ju-
den anbot, von ihm geheilt und mit dem wunderbaren Ab-
druck seines Gesichts auf Leinwand beschenkt wurde. Die
Armenier des fünften Jahrhunderts verwarfen, mit der An-
betung der Bilder überhaupt, auch diese Erzählung; heute
glauben sie daran, und die Sage lebt noch im Munde des
Volkes. Man zeigte mir eine Quelle, welche in einer Höhle
versteckt eine Viertelstunde östlich der Stadt liegt; der Trä-
ger des Bildes hatte, nach der Erzählung meiner Begleiter,
die Mauern der Stadt fast schon erreicht, als eine Schaar
Reiter ihn an jener Quelle überholte; er verbarg sich in der
Höhle, wurde aber in derselben gesteinigt, und so blieb das
Bild durch Jahrhunderte unbekannt, bis die Mönche es zu
der ihnen gelegenen Zeit ans Licht zogen. Das wunder-

nungen ſind daher meiſt in den weichen Sandſtein einge-
hoͤhlt und liegen auf den Spitzen der Huͤgel, wo derſelbe
zu Tage ſteht; weil nun aber in der Ebene kein Fels her-
vortritt, war das große Kunſtſtuͤck dort, ein Dach herzu-
ſtellen. Jn Charmelyk hatte man ſich damit geholfen, daß
man aus Stein und Lehm eine Art von Kuppel woͤlbte,
das Dorf zeigt hunderte ſolcher dicht an einander geruͤckter
Backoͤfen, und jede Wohnung aus mehreren Domen, von
denen einer Stall, einer Harem, einer Selamlik oder Em-
pfangzimmer u. ſ. w. iſt. Man zuͤndete uns ein Feuer aus
Kameelmiſt und den Wurzeln einer Schierlingspflanze an.

Orfa, das alte Edeſſa, war Hauptſtadt des Koͤnig-
reichs Osroene, und wurde 216 eine Colonie der Roͤmer,
welche unter Severus dort, und durch die Befeſtigung von
Niſibis feſten Fuß jenſeit des Euphrat faßten. Orfa iſt
merkwuͤrdig in der Kirchengeſchichte durch das beruͤhmte
Bild von Edeſſa. Erſt Jahrhunderte nach dem Tode des
Erloͤſers verbreitete ſich der Bilderdienſt in der chriſtlichen
Gemeinſchaft, und es war daher nicht leicht, irgend eine
Darſtellung der Zuͤge des Heilands als treu und wahr
aufzuſtellen. Man erinnerte ſich jedoch einer ſyriſchen Sage
von der Reiſe des Koͤnigs Abgarus, welcher Chriſtus auf-
ſuchte, ihm Edeſſa zum Schutz gegen die Bosheit der Ju-
den anbot, von ihm geheilt und mit dem wunderbaren Ab-
druck ſeines Geſichts auf Leinwand beſchenkt wurde. Die
Armenier des fuͤnften Jahrhunderts verwarfen, mit der An-
betung der Bilder uͤberhaupt, auch dieſe Erzaͤhlung; heute
glauben ſie daran, und die Sage lebt noch im Munde des
Volkes. Man zeigte mir eine Quelle, welche in einer Hoͤhle
verſteckt eine Viertelſtunde oͤſtlich der Stadt liegt; der Traͤ-
ger des Bildes hatte, nach der Erzaͤhlung meiner Begleiter,
die Mauern der Stadt faſt ſchon erreicht, als eine Schaar
Reiter ihn an jener Quelle uͤberholte; er verbarg ſich in der
Hoͤhle, wurde aber in derſelben geſteinigt, und ſo blieb das
Bild durch Jahrhunderte unbekannt, bis die Moͤnche es zu
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[229/0239] nungen ſind daher meiſt in den weichen Sandſtein einge- hoͤhlt und liegen auf den Spitzen der Huͤgel, wo derſelbe zu Tage ſteht; weil nun aber in der Ebene kein Fels her- vortritt, war das große Kunſtſtuͤck dort, ein Dach herzu- ſtellen. Jn Charmelyk hatte man ſich damit geholfen, daß man aus Stein und Lehm eine Art von Kuppel woͤlbte, das Dorf zeigt hunderte ſolcher dicht an einander geruͤckter Backoͤfen, und jede Wohnung aus mehreren Domen, von denen einer Stall, einer Harem, einer Selamlik oder Em- pfangzimmer u. ſ. w. iſt. Man zuͤndete uns ein Feuer aus Kameelmiſt und den Wurzeln einer Schierlingspflanze an. Orfa, das alte Edeſſa, war Hauptſtadt des Koͤnig- reichs Osroene, und wurde 216 eine Colonie der Roͤmer, welche unter Severus dort, und durch die Befeſtigung von Niſibis feſten Fuß jenſeit des Euphrat faßten. Orfa iſt merkwuͤrdig in der Kirchengeſchichte durch das beruͤhmte Bild von Edeſſa. Erſt Jahrhunderte nach dem Tode des Erloͤſers verbreitete ſich der Bilderdienſt in der chriſtlichen Gemeinſchaft, und es war daher nicht leicht, irgend eine Darſtellung der Zuͤge des Heilands als treu und wahr aufzuſtellen. Man erinnerte ſich jedoch einer ſyriſchen Sage von der Reiſe des Koͤnigs Abgarus, welcher Chriſtus auf- ſuchte, ihm Edeſſa zum Schutz gegen die Bosheit der Ju- den anbot, von ihm geheilt und mit dem wunderbaren Ab- druck ſeines Geſichts auf Leinwand beſchenkt wurde. Die Armenier des fuͤnften Jahrhunderts verwarfen, mit der An- betung der Bilder uͤberhaupt, auch dieſe Erzaͤhlung; heute glauben ſie daran, und die Sage lebt noch im Munde des Volkes. Man zeigte mir eine Quelle, welche in einer Hoͤhle verſteckt eine Viertelſtunde oͤſtlich der Stadt liegt; der Traͤ- ger des Bildes hatte, nach der Erzaͤhlung meiner Begleiter, die Mauern der Stadt faſt ſchon erreicht, als eine Schaar Reiter ihn an jener Quelle uͤberholte; er verbarg ſich in der Hoͤhle, wurde aber in derſelben geſteinigt, und ſo blieb das Bild durch Jahrhunderte unbekannt, bis die Moͤnche es zu der ihnen gelegenen Zeit ans Licht zogen. Das wunder-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/239>, abgerufen am 25.11.2024.