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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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ist erstaunt, wenn man durch das 8- bis 9000 Fuß hohen
Gebirge leidliche Wege getroffen, in einer fast ebenen Ge-
gend beinahe keinen Fußsteig zu finden. Der weite Strich
Landes von Marasch ost-nord-östlich über Rumkaleh, Or-
fa, Suverek bis zum Karadscha-Dagh über funfzig Stun-
den weit, bildet eine Ebene, oder doch ein flaches Hügel-
land, auf dem rechten Ufer des Frat, freilich von tiefen
Thälern durchsetzt, auf dem linken aber von keiner Einsen-
kung unterbrochen. Aber dieser ganze Strich ist ein von
Erde fast entblößter Felsboden und dergestalt mit Stein-
trümmern überschüttet, daß man sich außerhalb einiger we-
nigen mühsam gebahnten Saumwege kaum nur zu Fuß, zu
Pferde aber gar nicht fortbewegen kann.

Rumkaleh bietet einen ganz überraschenden Anblick; bei
Regen und Sturm schleppten wir uns den ganzen 4. April
mühsam vorwärts durch die Steinwüste, als plötzlich das
tief in dieser Ebene eingeschnittene Thal des Frat sich vor
uns öffnete. Tief unten windet sich der auf 100 Schritte
verengte Strom, und jenseits erhebt sich die überraschend
stattliche Festung Rumkaleh; noch ehe man sie erreicht, pas-
sirt man durch eine Stadt, die in den Fels geschnitten ist.
Dieser besteht nämlich aus einem Gestein, welches, wie das
von Malta, Anfangs sehr weich, an der Luft erhärtet; diese
Berge sind fast jährlich von Erdbeben heimgesucht.

Bei Rumkaleh ist es schwer zu sagen, wo der Fels
aufhört und wo die Menschenarbeit anfängt. Zunächst hat
man die Bergzunge, welche auf der einen Seite vom Frat,
auf zwei andern von dem tiefen Thal des Marsifan-Bachs
umschlossen ist, in einer Höhe von 40 bis 100 Fuß senk-
recht abgeschnitten; auf dieser Wand erheben sich die Mauern
aus demselben weißlichen Gestein an 60 Fuß hoch, mit
Zinnen, Thürmen und Machicoulis. Durch sechs Thore
hinter einander windet sich der einzige Aufgang, um zu vier-
zig Häusern zu gelangen; alles Andere sind Trümmerhaufen.
Das Ganze sieht aus, wie ein besonders faconnirter Fels,
wie man sich ein großes Stück Kreide zuschneiden könnte.

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iſt erſtaunt, wenn man durch das 8- bis 9000 Fuß hohen
Gebirge leidliche Wege getroffen, in einer faſt ebenen Ge-
gend beinahe keinen Fußſteig zu finden. Der weite Strich
Landes von Maraſch oſt-nord-oͤſtlich uͤber Rumkaleh, Or-
fa, Suverek bis zum Karadſcha-Dagh uͤber funfzig Stun-
den weit, bildet eine Ebene, oder doch ein flaches Huͤgel-
land, auf dem rechten Ufer des Frat, freilich von tiefen
Thaͤlern durchſetzt, auf dem linken aber von keiner Einſen-
kung unterbrochen. Aber dieſer ganze Strich iſt ein von
Erde faſt entbloͤßter Felsboden und dergeſtalt mit Stein-
truͤmmern uͤberſchuͤttet, daß man ſich außerhalb einiger we-
nigen muͤhſam gebahnten Saumwege kaum nur zu Fuß, zu
Pferde aber gar nicht fortbewegen kann.

Rumkaleh bietet einen ganz uͤberraſchenden Anblick; bei
Regen und Sturm ſchleppten wir uns den ganzen 4. April
muͤhſam vorwaͤrts durch die Steinwuͤſte, als ploͤtzlich das
tief in dieſer Ebene eingeſchnittene Thal des Frat ſich vor
uns oͤffnete. Tief unten windet ſich der auf 100 Schritte
verengte Strom, und jenſeits erhebt ſich die uͤberraſchend
ſtattliche Feſtung Rumkaleh; noch ehe man ſie erreicht, paſ-
ſirt man durch eine Stadt, die in den Fels geſchnitten iſt.
Dieſer beſteht naͤmlich aus einem Geſtein, welches, wie das
von Malta, Anfangs ſehr weich, an der Luft erhaͤrtet; dieſe
Berge ſind faſt jaͤhrlich von Erdbeben heimgeſucht.

Bei Rumkaleh iſt es ſchwer zu ſagen, wo der Fels
aufhoͤrt und wo die Menſchenarbeit anfaͤngt. Zunaͤchſt hat
man die Bergzunge, welche auf der einen Seite vom Frat,
auf zwei andern von dem tiefen Thal des Marſifan-Bachs
umſchloſſen iſt, in einer Hoͤhe von 40 bis 100 Fuß ſenk-
recht abgeſchnitten; auf dieſer Wand erheben ſich die Mauern
aus demſelben weißlichen Geſtein an 60 Fuß hoch, mit
Zinnen, Thuͤrmen und Machicoulis. Durch ſechs Thore
hinter einander windet ſich der einzige Aufgang, um zu vier-
zig Haͤuſern zu gelangen; alles Andere ſind Truͤmmerhaufen.
Das Ganze ſieht aus, wie ein beſonders façonnirter Fels,
wie man ſich ein großes Stuͤck Kreide zuſchneiden koͤnnte.

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[225/0235] iſt erſtaunt, wenn man durch das 8- bis 9000 Fuß hohen Gebirge leidliche Wege getroffen, in einer faſt ebenen Ge- gend beinahe keinen Fußſteig zu finden. Der weite Strich Landes von Maraſch oſt-nord-oͤſtlich uͤber Rumkaleh, Or- fa, Suverek bis zum Karadſcha-Dagh uͤber funfzig Stun- den weit, bildet eine Ebene, oder doch ein flaches Huͤgel- land, auf dem rechten Ufer des Frat, freilich von tiefen Thaͤlern durchſetzt, auf dem linken aber von keiner Einſen- kung unterbrochen. Aber dieſer ganze Strich iſt ein von Erde faſt entbloͤßter Felsboden und dergeſtalt mit Stein- truͤmmern uͤberſchuͤttet, daß man ſich außerhalb einiger we- nigen muͤhſam gebahnten Saumwege kaum nur zu Fuß, zu Pferde aber gar nicht fortbewegen kann. Rumkaleh bietet einen ganz uͤberraſchenden Anblick; bei Regen und Sturm ſchleppten wir uns den ganzen 4. April muͤhſam vorwaͤrts durch die Steinwuͤſte, als ploͤtzlich das tief in dieſer Ebene eingeſchnittene Thal des Frat ſich vor uns oͤffnete. Tief unten windet ſich der auf 100 Schritte verengte Strom, und jenſeits erhebt ſich die uͤberraſchend ſtattliche Feſtung Rumkaleh; noch ehe man ſie erreicht, paſ- ſirt man durch eine Stadt, die in den Fels geſchnitten iſt. Dieſer beſteht naͤmlich aus einem Geſtein, welches, wie das von Malta, Anfangs ſehr weich, an der Luft erhaͤrtet; dieſe Berge ſind faſt jaͤhrlich von Erdbeben heimgeſucht. Bei Rumkaleh iſt es ſchwer zu ſagen, wo der Fels aufhoͤrt und wo die Menſchenarbeit anfaͤngt. Zunaͤchſt hat man die Bergzunge, welche auf der einen Seite vom Frat, auf zwei andern von dem tiefen Thal des Marſifan-Bachs umſchloſſen iſt, in einer Hoͤhe von 40 bis 100 Fuß ſenk- recht abgeſchnitten; auf dieſer Wand erheben ſich die Mauern aus demſelben weißlichen Geſtein an 60 Fuß hoch, mit Zinnen, Thuͤrmen und Machicoulis. Durch ſechs Thore hinter einander windet ſich der einzige Aufgang, um zu vier- zig Haͤuſern zu gelangen; alles Andere ſind Truͤmmerhaufen. Das Ganze ſieht aus, wie ein beſonders façonnirter Fels, wie man ſich ein großes Stuͤck Kreide zuſchneiden koͤnnte. 15

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/235>, abgerufen am 25.11.2024.