tene) das Togmasuj, den alten Melas oder Koremos auf, und, indem er um den Fuß einer Anhöhe mit den Ruinen einer alten weit sichtbaren Kirche fließt (die sich vortreff- lich zum trigonometrischen Punkt eignet), wendet er sich ostwärts in die weite Niederung von Js-oglu; unterhalb der oben erwähnten Keil-Jnschrift engt sich der Strom in eine enge Felsspalte zwischen hohen Gebirgen ein, von dort ist er nicht mehr flößbar, er brauset über Steinblöcke und zwischen schroffen schwarzen Felswänden hin, und bil- det, was die Karten die Wasserfälle von Nuchar nennen.
Bei Gerger erst, etwa dreißig Stunden unterhalb, tritt der Strom aus engen senkrechten Sandsteinwänden wieder zu Tage; von hier breitet sich der Euphrat aus und fließt in weiten Windungen am alten Castell Choris vorüber, der berühmten Stadt Samosata zu; dort ist das Thal weit, und der Fluß gleicht der Oder nahe oberhalb Frankfurt. Schöne Ruinen von Wasserleitungen stehen von Allahköpry an fünf Stunden weit bis zur Stadt; sie spannen ihre weiten Bogen über alle die kleinen Nebenthäler und führ- ten früher der Stadt ihr Trinkwasser zu. Heute füllt die türkische Stadt Samsat nicht ein Zwanzigtheil des weiten Umfanges des alten Samosata; seltsam ist es, mitten in Ackerfeldern alte Thürbogen und Säulenschafte stehen zu sehen. Jch fand einen Marmorfries von so schöner Arbeit, wie ich nie gesehen, Laubwerk, Vögel, Stiere, Alles so wohl erhalten, als ob es erst fertig geworden wäre. Auf einem von Menschenhänden aufgeführten Berge, der einst die Akro- polis trug, stehen noch heute schöne Ruinen eines viereckigen Gebäudes. Der Strom fließt nun in einem 800 Schritt breiten Bett, das er jedoch nur selten ausfüllt (und zwar ganz anders, als die Karten angeben) westwärts fort bis Rumkaleh, dem Römerschloß Sigma oder Zeugma; hier erreicht er den westlichsten Punkt seines ganzen Laufs, und war früher von einer Brücke überschritten, was wohl der Grund sein mag, weshalb die Römer hier in einer fast ganz unwegsamen Gegend ihre Colonie gründeten. Man
tene) das Togmaſuj, den alten Melas oder Koremos auf, und, indem er um den Fuß einer Anhoͤhe mit den Ruinen einer alten weit ſichtbaren Kirche fließt (die ſich vortreff- lich zum trigonometriſchen Punkt eignet), wendet er ſich oſtwaͤrts in die weite Niederung von Js-oglu; unterhalb der oben erwaͤhnten Keil-Jnſchrift engt ſich der Strom in eine enge Felsſpalte zwiſchen hohen Gebirgen ein, von dort iſt er nicht mehr floͤßbar, er brauſet uͤber Steinbloͤcke und zwiſchen ſchroffen ſchwarzen Felswaͤnden hin, und bil- det, was die Karten die Waſſerfaͤlle von Nuchar nennen.
Bei Gerger erſt, etwa dreißig Stunden unterhalb, tritt der Strom aus engen ſenkrechten Sandſteinwaͤnden wieder zu Tage; von hier breitet ſich der Euphrat aus und fließt in weiten Windungen am alten Caſtell Choris voruͤber, der beruͤhmten Stadt Samoſata zu; dort iſt das Thal weit, und der Fluß gleicht der Oder nahe oberhalb Frankfurt. Schoͤne Ruinen von Waſſerleitungen ſtehen von Allahkoͤpry an fuͤnf Stunden weit bis zur Stadt; ſie ſpannen ihre weiten Bogen uͤber alle die kleinen Nebenthaͤler und fuͤhr- ten fruͤher der Stadt ihr Trinkwaſſer zu. Heute fuͤllt die tuͤrkiſche Stadt Samſat nicht ein Zwanzigtheil des weiten Umfanges des alten Samoſata; ſeltſam iſt es, mitten in Ackerfeldern alte Thuͤrbogen und Saͤulenſchafte ſtehen zu ſehen. Jch fand einen Marmorfries von ſo ſchoͤner Arbeit, wie ich nie geſehen, Laubwerk, Voͤgel, Stiere, Alles ſo wohl erhalten, als ob es erſt fertig geworden waͤre. Auf einem von Menſchenhaͤnden aufgefuͤhrten Berge, der einſt die Akro- polis trug, ſtehen noch heute ſchoͤne Ruinen eines viereckigen Gebaͤudes. Der Strom fließt nun in einem 800 Schritt breiten Bett, das er jedoch nur ſelten ausfuͤllt (und zwar ganz anders, als die Karten angeben) weſtwaͤrts fort bis Rumkaleh, dem Roͤmerſchloß Sigma oder Zeugma; hier erreicht er den weſtlichſten Punkt ſeines ganzen Laufs, und war fruͤher von einer Bruͤcke uͤberſchritten, was wohl der Grund ſein mag, weshalb die Roͤmer hier in einer faſt ganz unwegſamen Gegend ihre Colonie gruͤndeten. Man
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tene) das Togmaſuj, den alten Melas oder Koremos auf,
und, indem er um den Fuß einer Anhoͤhe mit den Ruinen
einer alten weit ſichtbaren Kirche fließt (die ſich vortreff-
lich zum trigonometriſchen Punkt eignet), wendet er ſich
oſtwaͤrts in die weite Niederung von Js-oglu; unterhalb
der oben erwaͤhnten Keil-Jnſchrift engt ſich der Strom
in eine enge Felsſpalte zwiſchen hohen Gebirgen ein, von
dort iſt er nicht mehr floͤßbar, er brauſet uͤber Steinbloͤcke
und zwiſchen ſchroffen ſchwarzen Felswaͤnden hin, und bil-
det, was die Karten die Waſſerfaͤlle von Nuchar nennen.
Bei Gerger erſt, etwa dreißig Stunden unterhalb, tritt
der Strom aus engen ſenkrechten Sandſteinwaͤnden wieder
zu Tage; von hier breitet ſich der Euphrat aus und fließt
in weiten Windungen am alten Caſtell Choris voruͤber, der
beruͤhmten Stadt Samoſata zu; dort iſt das Thal weit,
und der Fluß gleicht der Oder nahe oberhalb Frankfurt.
Schoͤne Ruinen von Waſſerleitungen ſtehen von Allahkoͤpry
an fuͤnf Stunden weit bis zur Stadt; ſie ſpannen ihre
weiten Bogen uͤber alle die kleinen Nebenthaͤler und fuͤhr-
ten fruͤher der Stadt ihr Trinkwaſſer zu. Heute fuͤllt die
tuͤrkiſche Stadt Samſat nicht ein Zwanzigtheil des weiten
Umfanges des alten Samoſata; ſeltſam iſt es, mitten in
Ackerfeldern alte Thuͤrbogen und Saͤulenſchafte ſtehen zu
ſehen. Jch fand einen Marmorfries von ſo ſchoͤner Arbeit,
wie ich nie geſehen, Laubwerk, Voͤgel, Stiere, Alles ſo wohl
erhalten, als ob es erſt fertig geworden waͤre. Auf einem
von Menſchenhaͤnden aufgefuͤhrten Berge, der einſt die Akro-
polis trug, ſtehen noch heute ſchoͤne Ruinen eines viereckigen
Gebaͤudes. Der Strom fließt nun in einem 800 Schritt
breiten Bett, das er jedoch nur ſelten ausfuͤllt (und zwar
ganz anders, als die Karten angeben) weſtwaͤrts fort bis
Rumkaleh, dem Roͤmerſchloß Sigma oder Zeugma; hier
erreicht er den weſtlichſten Punkt ſeines ganzen Laufs, und
war fruͤher von einer Bruͤcke uͤberſchritten, was wohl der
Grund ſein mag, weshalb die Roͤmer hier in einer faſt
ganz unwegſamen Gegend ihre Colonie gruͤndeten. Man
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/234>, abgerufen am 25.11.2024.
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