und wir genöthigt sind, einen Ruhetag zu machen; ich fahre daher in meiner Erzählung fort.
Die acht Weg-Stunden nach Tokat machten wir den 8. im weiten Thale des Tusanly, fast im beständigen Ga- lop; Tokat liegt in einer Schlucht, welche aus hohen Ber- gen hervortritt. Eine scharfe Klippenwand schneidet beide Thäler von einander ab und auf dem letzten schroffen Gi- pfel derselben ist kühn ein altes Schloß erbaut und durch einen unterirdischen Gang mit der Stadt verbunden; diese ist von bedeutender Größe, und kann 30- bis 40,000 Ein- wohner haben. Sie liegt schön, aber doch nicht so schön wie Amasia.
Jch war sehr neugierig, den Betrieb der Kupferschmel- zen in dieser alten Werkstätte der Chalyben oder Chalbäer zu sehen; meine Erwartung aber war zu groß gewesen. Minen sind gar nicht da, oder werden wenigstens nicht betrieben; das Erz wird, nachdem es in Argana von der Erde gereinigt, in Metallkuchen von Kameelen sechs Tage- reisen weit herbei getragen, um vollends geläutert zu wer- den; warum eben hierher, begreife ich nicht. Einen Bach, der durch die Stadt rauscht, hat man nicht zu fassen ver- standen, er bleibt unbenutzt. Zwei Reihen kleiner Oefen, wie Backöfen, unter elenden Holzschuppen, Blasebälge, die von Menschen in Athem erhalten werden, und ein Vorrath von Holzkohlen, das ist der ganze Apparat der berühmten Kupferschmelzen von Tokat.
Hinter Tokat stiegen wir nun westlich in die Höhe, und nach drei Stunden befanden wir uns mitten im schönsten Winter; nur einzelne Fichten schauten aus den weiten Schnee- flächen heraus, und die Wege waren unbeschreiblich schlecht. Die Sonne schoß brennende Strahlen herab und die Au- gen schmerzten so sehr, daß wir den Kopf trotz der Hitze in Tücher und Kappen hüllten. Der Schnee war überall locker, außer in dem betretenen Saumweg; verließ man diesen nur eine Hand breit, so versank das Pferd, blieb man aber im Wege, so mußte das arme Thier schrecklich
und wir genoͤthigt ſind, einen Ruhetag zu machen; ich fahre daher in meiner Erzaͤhlung fort.
Die acht Weg-Stunden nach Tokat machten wir den 8. im weiten Thale des Tuſanly, faſt im beſtaͤndigen Ga- lop; Tokat liegt in einer Schlucht, welche aus hohen Ber- gen hervortritt. Eine ſcharfe Klippenwand ſchneidet beide Thaͤler von einander ab und auf dem letzten ſchroffen Gi- pfel derſelben iſt kuͤhn ein altes Schloß erbaut und durch einen unterirdiſchen Gang mit der Stadt verbunden; dieſe iſt von bedeutender Groͤße, und kann 30- bis 40,000 Ein- wohner haben. Sie liegt ſchoͤn, aber doch nicht ſo ſchoͤn wie Amaſia.
Jch war ſehr neugierig, den Betrieb der Kupferſchmel- zen in dieſer alten Werkſtaͤtte der Chalyben oder Chalbaͤer zu ſehen; meine Erwartung aber war zu groß geweſen. Minen ſind gar nicht da, oder werden wenigſtens nicht betrieben; das Erz wird, nachdem es in Argana von der Erde gereinigt, in Metallkuchen von Kameelen ſechs Tage- reiſen weit herbei getragen, um vollends gelaͤutert zu wer- den; warum eben hierher, begreife ich nicht. Einen Bach, der durch die Stadt rauſcht, hat man nicht zu faſſen ver- ſtanden, er bleibt unbenutzt. Zwei Reihen kleiner Oefen, wie Backoͤfen, unter elenden Holzſchuppen, Blaſebaͤlge, die von Menſchen in Athem erhalten werden, und ein Vorrath von Holzkohlen, das iſt der ganze Apparat der beruͤhmten Kupferſchmelzen von Tokat.
Hinter Tokat ſtiegen wir nun weſtlich in die Hoͤhe, und nach drei Stunden befanden wir uns mitten im ſchoͤnſten Winter; nur einzelne Fichten ſchauten aus den weiten Schnee- flaͤchen heraus, und die Wege waren unbeſchreiblich ſchlecht. Die Sonne ſchoß brennende Strahlen herab und die Au- gen ſchmerzten ſo ſehr, daß wir den Kopf trotz der Hitze in Tuͤcher und Kappen huͤllten. Der Schnee war uͤberall locker, außer in dem betretenen Saumweg; verließ man dieſen nur eine Hand breit, ſo verſank das Pferd, blieb man aber im Wege, ſo mußte das arme Thier ſchrecklich
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und wir genoͤthigt ſind, einen Ruhetag zu machen; ich fahre
daher in meiner Erzaͤhlung fort.
Die acht Weg-Stunden nach Tokat machten wir den
8. im weiten Thale des Tuſanly, faſt im beſtaͤndigen Ga-
lop; Tokat liegt in einer Schlucht, welche aus hohen Ber-
gen hervortritt. Eine ſcharfe Klippenwand ſchneidet beide
Thaͤler von einander ab und auf dem letzten ſchroffen Gi-
pfel derſelben iſt kuͤhn ein altes Schloß erbaut und durch
einen unterirdiſchen Gang mit der Stadt verbunden; dieſe
iſt von bedeutender Groͤße, und kann 30- bis 40,000 Ein-
wohner haben. Sie liegt ſchoͤn, aber doch nicht ſo ſchoͤn
wie Amaſia.
Jch war ſehr neugierig, den Betrieb der Kupferſchmel-
zen in dieſer alten Werkſtaͤtte der Chalyben oder Chalbaͤer
zu ſehen; meine Erwartung aber war zu groß geweſen.
Minen ſind gar nicht da, oder werden wenigſtens nicht
betrieben; das Erz wird, nachdem es in Argana von der
Erde gereinigt, in Metallkuchen von Kameelen ſechs Tage-
reiſen weit herbei getragen, um vollends gelaͤutert zu wer-
den; warum eben hierher, begreife ich nicht. Einen Bach,
der durch die Stadt rauſcht, hat man nicht zu faſſen ver-
ſtanden, er bleibt unbenutzt. Zwei Reihen kleiner Oefen,
wie Backoͤfen, unter elenden Holzſchuppen, Blaſebaͤlge, die
von Menſchen in Athem erhalten werden, und ein Vorrath
von Holzkohlen, das iſt der ganze Apparat der beruͤhmten
Kupferſchmelzen von Tokat.
Hinter Tokat ſtiegen wir nun weſtlich in die Hoͤhe, und
nach drei Stunden befanden wir uns mitten im ſchoͤnſten
Winter; nur einzelne Fichten ſchauten aus den weiten Schnee-
flaͤchen heraus, und die Wege waren unbeſchreiblich ſchlecht.
Die Sonne ſchoß brennende Strahlen herab und die Au-
gen ſchmerzten ſo ſehr, daß wir den Kopf trotz der Hitze
in Tuͤcher und Kappen huͤllten. Der Schnee war uͤberall
locker, außer in dem betretenen Saumweg; verließ man
dieſen nur eine Hand breit, ſo verſank das Pferd, blieb
man aber im Wege, ſo mußte das arme Thier ſchrecklich
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/217>, abgerufen am 27.11.2024.
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