erlaubten; oft aber geht es über Geröll und steile Hänge, so daß man nur im Schritt vorwärts kömmt.
36. Amafia. -- Die Felsenkammern.
Sivas, den 10. März 1838.
Unser erster Marsch von Samsun betrug 14 Stunden; es gab mehrere Höhen und Thäler zu überschreiten, die von Schnee eben erst entblößt, doppelt mühsam zu passiren waren; auch kamen wir spät in der Dunkelheit und von Regen durchnäßt in Ladika an. Dieser Ort hat, wie wir am folgenden Morgen von den hohen Schnee-bedeckten Bergen sahen, eine schöne Lage; wir stiegen nach einigen Stunden in ein breites angebautes Thal hinab, dessen Wände sich immer mehr näherten, bis sie dicht zusammen traten und eine tiefe enge Schlucht bildeten. Schroff und fast ganz ohne Vegetation erhoben sich wohl 100 Fuß die Felslehnen zu beiden Seiten, während die enge Sohle des Thals zwei Stunden weit einen fortlaufenden Garten bil- dete, bedeckt mit Häusern und Maulbeerpflanzungen. Jn dem Augenblicke, wo wir über eine kleine Anhöhe hervor- traten, entfaltete sich plötzlich der eigenthümlichste und schönste Anblick, den ich je gesehen -- die uralte Stadt Amasia. Der Zusammenfluß zweier beträchtlichen Gebirgswasser aus ganz entgegen gesetzten Richtungen, welche dann vereint nordostwärts abfließen, bildet einen tiefen Gebirgskessel, in welchem Kuppeln, Minarehs und Wohnungen von 20- bis 30,000 Menschen zusammengedrängt sind. Schöne Gär- ten und Maulbeer-Plantagen, die der rauschende Strom durcheilt, sind ringsum von hohen Felswänden umschlossen, und rechts auf einer hervorragenden Klippe thront ein ur- altes seltsam gestaltetes Castell. Was aber den befrem- dendsten Eindruck hervorbringt, sind die wunderbaren Felsen- kammern, welche in den senkrechten Steinwänden eingemei-
erlaubten; oft aber geht es uͤber Geroͤll und ſteile Haͤnge, ſo daß man nur im Schritt vorwaͤrts koͤmmt.
36. Amafia. — Die Felſenkammern.
Sivas, den 10. Maͤrz 1838.
Unſer erſter Marſch von Samſun betrug 14 Stunden; es gab mehrere Hoͤhen und Thaͤler zu uͤberſchreiten, die von Schnee eben erſt entbloͤßt, doppelt muͤhſam zu paſſiren waren; auch kamen wir ſpaͤt in der Dunkelheit und von Regen durchnaͤßt in Ladika an. Dieſer Ort hat, wie wir am folgenden Morgen von den hohen Schnee-bedeckten Bergen ſahen, eine ſchoͤne Lage; wir ſtiegen nach einigen Stunden in ein breites angebautes Thal hinab, deſſen Waͤnde ſich immer mehr naͤherten, bis ſie dicht zuſammen traten und eine tiefe enge Schlucht bildeten. Schroff und faſt ganz ohne Vegetation erhoben ſich wohl 100 Fuß die Felslehnen zu beiden Seiten, waͤhrend die enge Sohle des Thals zwei Stunden weit einen fortlaufenden Garten bil- dete, bedeckt mit Haͤuſern und Maulbeerpflanzungen. Jn dem Augenblicke, wo wir uͤber eine kleine Anhoͤhe hervor- traten, entfaltete ſich ploͤtzlich der eigenthuͤmlichſte und ſchoͤnſte Anblick, den ich je geſehen — die uralte Stadt Amaſia. Der Zuſammenfluß zweier betraͤchtlichen Gebirgswaſſer aus ganz entgegen geſetzten Richtungen, welche dann vereint nordoſtwaͤrts abfließen, bildet einen tiefen Gebirgskeſſel, in welchem Kuppeln, Minarehs und Wohnungen von 20- bis 30,000 Menſchen zuſammengedraͤngt ſind. Schoͤne Gaͤr- ten und Maulbeer-Plantagen, die der rauſchende Strom durcheilt, ſind ringsum von hohen Felswaͤnden umſchloſſen, und rechts auf einer hervorragenden Klippe thront ein ur- altes ſeltſam geſtaltetes Caſtell. Was aber den befrem- dendſten Eindruck hervorbringt, ſind die wunderbaren Felſen- kammern, welche in den ſenkrechten Steinwaͤnden eingemei-
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erlaubten; oft aber geht es uͤber Geroͤll und ſteile Haͤnge,
ſo daß man nur im Schritt vorwaͤrts koͤmmt.
36.
Amafia. — Die Felſenkammern.
Sivas, den 10. Maͤrz 1838.
Unſer erſter Marſch von Samſun betrug 14 Stunden;
es gab mehrere Hoͤhen und Thaͤler zu uͤberſchreiten, die
von Schnee eben erſt entbloͤßt, doppelt muͤhſam zu paſſiren
waren; auch kamen wir ſpaͤt in der Dunkelheit und von
Regen durchnaͤßt in Ladika an. Dieſer Ort hat, wie wir
am folgenden Morgen von den hohen Schnee-bedeckten
Bergen ſahen, eine ſchoͤne Lage; wir ſtiegen nach einigen
Stunden in ein breites angebautes Thal hinab, deſſen
Waͤnde ſich immer mehr naͤherten, bis ſie dicht zuſammen
traten und eine tiefe enge Schlucht bildeten. Schroff und
faſt ganz ohne Vegetation erhoben ſich wohl 100 Fuß die
Felslehnen zu beiden Seiten, waͤhrend die enge Sohle des
Thals zwei Stunden weit einen fortlaufenden Garten bil-
dete, bedeckt mit Haͤuſern und Maulbeerpflanzungen. Jn
dem Augenblicke, wo wir uͤber eine kleine Anhoͤhe hervor-
traten, entfaltete ſich ploͤtzlich der eigenthuͤmlichſte und ſchoͤnſte
Anblick, den ich je geſehen — die uralte Stadt Amaſia.
Der Zuſammenfluß zweier betraͤchtlichen Gebirgswaſſer aus
ganz entgegen geſetzten Richtungen, welche dann vereint
nordoſtwaͤrts abfließen, bildet einen tiefen Gebirgskeſſel, in
welchem Kuppeln, Minarehs und Wohnungen von 20- bis
30,000 Menſchen zuſammengedraͤngt ſind. Schoͤne Gaͤr-
ten und Maulbeer-Plantagen, die der rauſchende Strom
durcheilt, ſind ringsum von hohen Felswaͤnden umſchloſſen,
und rechts auf einer hervorragenden Klippe thront ein ur-
altes ſeltſam geſtaltetes Caſtell. Was aber den befrem-
dendſten Eindruck hervorbringt, ſind die wunderbaren Felſen-
kammern, welche in den ſenkrechten Steinwaͤnden eingemei-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/213>, abgerufen am 27.11.2024.
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