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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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achtzig Fahrzeuge mit Sturmleitern und Soldaten legten
sich an eben den Theil der Hafenmauer, durch welche die
lateinischen Eroberer eingebrochen waren. Mittlerweile wur-
den auch vier Thürme unweit des Thors des heiligen Ro-
manus an der Landfront niedergeworfen, und während die
Türken sich zu einem allgemeinen Sturme rüsteten, herrschte
in der Stadt Zwietracht, Entmuthigung und Mangel; die
Griechen stritten sich mit der bittersten Feindschaft über ge-
säuertes und ungesäuertes Brot beim Abendmahl, und ver-
scharrten ihre Schätze, damit sie nicht für den Dienst des
Vaterlandes in Anspruch genommen würden.

Der Morgen des 29. Mai 1453 war der drei und
funfzigste Tag der Belagerung und der letzte in der tausend-
jährigen Dauer des Römerreichs. Während zwei Stunden
widerstanden die Griechen dem Angriff eines funfzigmal
überlegenen Feindes; der Sultan, mit einer eisernen Keule
in der Hand, befeuerte und leitete den Kampf; der Janit-
schar Hassan erstieg zuerst die äußere Umwallung, aber von
seinen dreißig Begleitern kamen achtzehn um; der Riese
Hassan wurde von der Mauer herabgestürzt, er erhob sich
noch einmal auf ein Knie, aber ein Hagel von Steinen und
Pfeilen zerschmetterte ihn; nichts desto weniger drangen die
Osmanen nach, verbreiteten sich über die Mauer und be-
setzten mehrere Thürme. -- Wie es scheint, war etwas
früher schon der gleichzeitige Angriff auf der Hafenseite ge-
lungen; Giustiniani war von einem Pfeil an der Hand ver-
wundet, seine Flucht gab den übrigen lateinischen Kriegern
das Beispiel, und der Genueser starb eines ruhmvollen Le-
bens unwerth.

Würdiger endete Konstantin Paläologus. Nachdem
der Kaiser vergeblich gesucht sein entartetes Volk zu kräf-
tiger Vertheidigung zu erwecken, nachdem er alle Gefahren
getheilt und alle Hoffnung verschwunden sah, beschloß er,
den Fall seiner Größe, den Sturz der römischen Herrschaft
und den Untergang des christlichen Glaubens nicht zu über-
leben. "Jst kein Christ da," rief er, "mir das Haupt ab-

achtzig Fahrzeuge mit Sturmleitern und Soldaten legten
ſich an eben den Theil der Hafenmauer, durch welche die
lateiniſchen Eroberer eingebrochen waren. Mittlerweile wur-
den auch vier Thuͤrme unweit des Thors des heiligen Ro-
manus an der Landfront niedergeworfen, und waͤhrend die
Tuͤrken ſich zu einem allgemeinen Sturme ruͤſteten, herrſchte
in der Stadt Zwietracht, Entmuthigung und Mangel; die
Griechen ſtritten ſich mit der bitterſten Feindſchaft uͤber ge-
ſaͤuertes und ungeſaͤuertes Brot beim Abendmahl, und ver-
ſcharrten ihre Schaͤtze, damit ſie nicht fuͤr den Dienſt des
Vaterlandes in Anſpruch genommen wuͤrden.

Der Morgen des 29. Mai 1453 war der drei und
funfzigſte Tag der Belagerung und der letzte in der tauſend-
jaͤhrigen Dauer des Roͤmerreichs. Waͤhrend zwei Stunden
widerſtanden die Griechen dem Angriff eines funfzigmal
uͤberlegenen Feindes; der Sultan, mit einer eiſernen Keule
in der Hand, befeuerte und leitete den Kampf; der Janit-
ſchar Haſſan erſtieg zuerſt die aͤußere Umwallung, aber von
ſeinen dreißig Begleitern kamen achtzehn um; der Rieſe
Haſſan wurde von der Mauer herabgeſtuͤrzt, er erhob ſich
noch einmal auf ein Knie, aber ein Hagel von Steinen und
Pfeilen zerſchmetterte ihn; nichts deſto weniger drangen die
Osmanen nach, verbreiteten ſich uͤber die Mauer und be-
ſetzten mehrere Thuͤrme. — Wie es ſcheint, war etwas
fruͤher ſchon der gleichzeitige Angriff auf der Hafenſeite ge-
lungen; Giuſtiniani war von einem Pfeil an der Hand ver-
wundet, ſeine Flucht gab den uͤbrigen lateiniſchen Kriegern
das Beiſpiel, und der Genueſer ſtarb eines ruhmvollen Le-
bens unwerth.

Wuͤrdiger endete Konſtantin Palaͤologus. Nachdem
der Kaiſer vergeblich geſucht ſein entartetes Volk zu kraͤf-
tiger Vertheidigung zu erwecken, nachdem er alle Gefahren
getheilt und alle Hoffnung verſchwunden ſah, beſchloß er,
den Fall ſeiner Groͤße, den Sturz der roͤmiſchen Herrſchaft
und den Untergang des chriſtlichen Glaubens nicht zu uͤber-
leben. „Jſt kein Chriſt da,“ rief er, „mir das Haupt ab-

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[194/0204] achtzig Fahrzeuge mit Sturmleitern und Soldaten legten ſich an eben den Theil der Hafenmauer, durch welche die lateiniſchen Eroberer eingebrochen waren. Mittlerweile wur- den auch vier Thuͤrme unweit des Thors des heiligen Ro- manus an der Landfront niedergeworfen, und waͤhrend die Tuͤrken ſich zu einem allgemeinen Sturme ruͤſteten, herrſchte in der Stadt Zwietracht, Entmuthigung und Mangel; die Griechen ſtritten ſich mit der bitterſten Feindſchaft uͤber ge- ſaͤuertes und ungeſaͤuertes Brot beim Abendmahl, und ver- ſcharrten ihre Schaͤtze, damit ſie nicht fuͤr den Dienſt des Vaterlandes in Anſpruch genommen wuͤrden. Der Morgen des 29. Mai 1453 war der drei und funfzigſte Tag der Belagerung und der letzte in der tauſend- jaͤhrigen Dauer des Roͤmerreichs. Waͤhrend zwei Stunden widerſtanden die Griechen dem Angriff eines funfzigmal uͤberlegenen Feindes; der Sultan, mit einer eiſernen Keule in der Hand, befeuerte und leitete den Kampf; der Janit- ſchar Haſſan erſtieg zuerſt die aͤußere Umwallung, aber von ſeinen dreißig Begleitern kamen achtzehn um; der Rieſe Haſſan wurde von der Mauer herabgeſtuͤrzt, er erhob ſich noch einmal auf ein Knie, aber ein Hagel von Steinen und Pfeilen zerſchmetterte ihn; nichts deſto weniger drangen die Osmanen nach, verbreiteten ſich uͤber die Mauer und be- ſetzten mehrere Thuͤrme. — Wie es ſcheint, war etwas fruͤher ſchon der gleichzeitige Angriff auf der Hafenſeite ge- lungen; Giuſtiniani war von einem Pfeil an der Hand ver- wundet, ſeine Flucht gab den uͤbrigen lateiniſchen Kriegern das Beiſpiel, und der Genueſer ſtarb eines ruhmvollen Le- bens unwerth. Wuͤrdiger endete Konſtantin Palaͤologus. Nachdem der Kaiſer vergeblich geſucht ſein entartetes Volk zu kraͤf- tiger Vertheidigung zu erwecken, nachdem er alle Gefahren getheilt und alle Hoffnung verſchwunden ſah, beſchloß er, den Fall ſeiner Groͤße, den Sturz der roͤmiſchen Herrſchaft und den Untergang des chriſtlichen Glaubens nicht zu uͤber- leben. „Jſt kein Chriſt da,“ rief er, „mir das Haupt ab-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/204>, abgerufen am 28.11.2024.