Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

faltet, und der Erste am Ufer war Dandolo. Bald besetz-
ten die Venetianer fünf und zwanzig Thürme und das Ban-
ner der Republik wehte von den Mauern der Kaiserstadt.

Eine furchtbare Feuersbrunst, als deren Urheber uns
quidam comes teutonicus genannt wird, weckte die Byzan-
tiner aus dem neunhundertjährigen Traum von der Un-
nehmbarkeit ihrer Stadt. So streng sie die Ketzerei der
Lateiner verdammten, so hatten sie doch ihrerseits eine Mo-
schee in Konstantinopel geduldet. Die Ritter erledigten die
Sache, indem sie jenes Bethaus in Brand steckten, aber
die Flammen verbreiteten sich vom Hafen bis zum Pro-
pontis, und verzehrten während acht Tagen zahllose Häu-
ser und prächtige Palläste. Es geht aus diesem Umstande
hervor, daß auch das griechische Byzanz wahrscheinlich fast
ganz aus hölzernen Wohnungen bestand.

Der wechselseitige bittere Haß der Lateiner und Grie-
chen hatte neue Nahrung erhalten, und noch vor Ablauf
des Jahrs sahen jene sich aus der Stadt verdrängt und zu
einer neuen weit schwierigern Belagerung genöthigt, welche
drei Monate dauerte; diesmal geschah der Angriff allein
von der Hafenseite. Der Kaiser hatte sein scharlachrothes
Zelt auf der Höhe aufgepflanzt, wo jetzt die Moschee Se-
lims sich erhebt, und feuerte den Muth der Vertheidiger
an. Einen allgemeinen Sturm der Lateiner schlug er glück-
lich ab, die Angreifer büßten viele Menschen ein, und Vil-
lehardouin selbst meint, daß "multere grant peril". Der
Angriff wurde nichts desto weniger drei Tage hinter ein-
ander an vielen Stellen zugleich erneuert; die Galeeren
"der Kreuzfahrer" und "das Paradies" segelten mit fri-
schem Norwind dicht an das Ufer; die Bischöfe von Troyes
und Soissons führten die Vorhut, vier Thürme wurden
genommen, die Thore gesprengt und eine furchtbare Feuers-
brunst angezündet; da erschienen Abgesandte der Griechen
vor Bonifaz v. Montferrat, welcher die Deutschen befeh-
ligte, und riefen: "Heiliger Markgraf und König, erbarme
dich unser!" Die Palläste Blachernä und Bukoleon wur-

faltet, und der Erſte am Ufer war Dandolo. Bald beſetz-
ten die Venetianer fuͤnf und zwanzig Thuͤrme und das Ban-
ner der Republik wehte von den Mauern der Kaiſerſtadt.

Eine furchtbare Feuersbrunſt, als deren Urheber uns
quidam comes teutonicus genannt wird, weckte die Byzan-
tiner aus dem neunhundertjaͤhrigen Traum von der Un-
nehmbarkeit ihrer Stadt. So ſtreng ſie die Ketzerei der
Lateiner verdammten, ſo hatten ſie doch ihrerſeits eine Mo-
ſchee in Konſtantinopel geduldet. Die Ritter erledigten die
Sache, indem ſie jenes Bethaus in Brand ſteckten, aber
die Flammen verbreiteten ſich vom Hafen bis zum Pro-
pontis, und verzehrten waͤhrend acht Tagen zahlloſe Haͤu-
ſer und praͤchtige Pallaͤſte. Es geht aus dieſem Umſtande
hervor, daß auch das griechiſche Byzanz wahrſcheinlich faſt
ganz aus hoͤlzernen Wohnungen beſtand.

Der wechſelſeitige bittere Haß der Lateiner und Grie-
chen hatte neue Nahrung erhalten, und noch vor Ablauf
des Jahrs ſahen jene ſich aus der Stadt verdraͤngt und zu
einer neuen weit ſchwierigern Belagerung genoͤthigt, welche
drei Monate dauerte; diesmal geſchah der Angriff allein
von der Hafenſeite. Der Kaiſer hatte ſein ſcharlachrothes
Zelt auf der Hoͤhe aufgepflanzt, wo jetzt die Moſchee Se-
lims ſich erhebt, und feuerte den Muth der Vertheidiger
an. Einen allgemeinen Sturm der Lateiner ſchlug er gluͤck-
lich ab, die Angreifer buͤßten viele Menſchen ein, und Vil-
lehardouin ſelbſt meint, daß „multére grant péril“. Der
Angriff wurde nichts deſto weniger drei Tage hinter ein-
ander an vielen Stellen zugleich erneuert; die Galeeren
„der Kreuzfahrer“ und „das Paradies“ ſegelten mit fri-
ſchem Norwind dicht an das Ufer; die Biſchoͤfe von Troyes
und Soiſſons fuͤhrten die Vorhut, vier Thuͤrme wurden
genommen, die Thore geſprengt und eine furchtbare Feuers-
brunſt angezuͤndet; da erſchienen Abgeſandte der Griechen
vor Bonifaz v. Montferrat, welcher die Deutſchen befeh-
ligte, und riefen: „Heiliger Markgraf und Koͤnig, erbarme
dich unſer!“ Die Pallaͤſte Blachernaͤ und Bukoleon wur-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0198" n="188"/>
faltet, und der Er&#x017F;te am Ufer war Dandolo. Bald be&#x017F;etz-<lb/>
ten die Venetianer fu&#x0364;nf und zwanzig Thu&#x0364;rme und das Ban-<lb/>
ner der Republik wehte von den Mauern der Kai&#x017F;er&#x017F;tadt.</p><lb/>
        <p>Eine furchtbare Feuersbrun&#x017F;t, als deren Urheber uns<lb/><hi rendition="#aq">quidam comes teutonicus</hi> genannt wird, weckte die Byzan-<lb/>
tiner aus dem neunhundertja&#x0364;hrigen Traum von der Un-<lb/>
nehmbarkeit ihrer Stadt. So &#x017F;treng &#x017F;ie die Ketzerei der<lb/>
Lateiner verdammten, &#x017F;o hatten &#x017F;ie doch ihrer&#x017F;eits eine Mo-<lb/>
&#x017F;chee in Kon&#x017F;tantinopel geduldet. Die Ritter erledigten die<lb/>
Sache, indem &#x017F;ie jenes Bethaus in Brand &#x017F;teckten, aber<lb/>
die Flammen verbreiteten &#x017F;ich vom Hafen bis zum Pro-<lb/>
pontis, und verzehrten wa&#x0364;hrend acht Tagen zahllo&#x017F;e Ha&#x0364;u-<lb/>
&#x017F;er und pra&#x0364;chtige Palla&#x0364;&#x017F;te. Es geht aus die&#x017F;em Um&#x017F;tande<lb/>
hervor, daß auch das griechi&#x017F;che Byzanz wahr&#x017F;cheinlich fa&#x017F;t<lb/>
ganz aus ho&#x0364;lzernen Wohnungen be&#x017F;tand.</p><lb/>
        <p>Der wech&#x017F;el&#x017F;eitige bittere Haß der Lateiner und Grie-<lb/>
chen hatte neue Nahrung erhalten, und noch vor Ablauf<lb/>
des Jahrs &#x017F;ahen jene &#x017F;ich aus der Stadt verdra&#x0364;ngt und zu<lb/>
einer neuen weit &#x017F;chwierigern Belagerung geno&#x0364;thigt, welche<lb/>
drei Monate dauerte; diesmal ge&#x017F;chah der Angriff allein<lb/>
von der Hafen&#x017F;eite. Der Kai&#x017F;er hatte &#x017F;ein &#x017F;charlachrothes<lb/>
Zelt auf der Ho&#x0364;he aufgepflanzt, wo jetzt die Mo&#x017F;chee Se-<lb/>
lims &#x017F;ich erhebt, und feuerte den Muth der Vertheidiger<lb/>
an. Einen allgemeinen Sturm der Lateiner &#x017F;chlug er glu&#x0364;ck-<lb/>
lich ab, die Angreifer bu&#x0364;ßten viele Men&#x017F;chen ein, und Vil-<lb/>
lehardouin &#x017F;elb&#x017F;t meint, daß &#x201E;<hi rendition="#aq">multére grant péril</hi>&#x201C;. Der<lb/>
Angriff wurde nichts de&#x017F;to weniger drei Tage hinter ein-<lb/>
ander an vielen Stellen zugleich erneuert; die Galeeren<lb/>
&#x201E;der Kreuzfahrer&#x201C; und &#x201E;das Paradies&#x201C; &#x017F;egelten mit fri-<lb/>
&#x017F;chem Norwind dicht an das Ufer; die Bi&#x017F;cho&#x0364;fe von Troyes<lb/>
und Soi&#x017F;&#x017F;ons fu&#x0364;hrten die Vorhut, vier Thu&#x0364;rme wurden<lb/>
genommen, die Thore ge&#x017F;prengt und eine furchtbare Feuers-<lb/>
brun&#x017F;t angezu&#x0364;ndet; da er&#x017F;chienen Abge&#x017F;andte der Griechen<lb/>
vor Bonifaz v. Montferrat, welcher die Deut&#x017F;chen befeh-<lb/>
ligte, und riefen: &#x201E;Heiliger Markgraf und Ko&#x0364;nig, erbarme<lb/>
dich un&#x017F;er!&#x201C; Die Palla&#x0364;&#x017F;te Blacherna&#x0364; und Bukoleon wur-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0198] faltet, und der Erſte am Ufer war Dandolo. Bald beſetz- ten die Venetianer fuͤnf und zwanzig Thuͤrme und das Ban- ner der Republik wehte von den Mauern der Kaiſerſtadt. Eine furchtbare Feuersbrunſt, als deren Urheber uns quidam comes teutonicus genannt wird, weckte die Byzan- tiner aus dem neunhundertjaͤhrigen Traum von der Un- nehmbarkeit ihrer Stadt. So ſtreng ſie die Ketzerei der Lateiner verdammten, ſo hatten ſie doch ihrerſeits eine Mo- ſchee in Konſtantinopel geduldet. Die Ritter erledigten die Sache, indem ſie jenes Bethaus in Brand ſteckten, aber die Flammen verbreiteten ſich vom Hafen bis zum Pro- pontis, und verzehrten waͤhrend acht Tagen zahlloſe Haͤu- ſer und praͤchtige Pallaͤſte. Es geht aus dieſem Umſtande hervor, daß auch das griechiſche Byzanz wahrſcheinlich faſt ganz aus hoͤlzernen Wohnungen beſtand. Der wechſelſeitige bittere Haß der Lateiner und Grie- chen hatte neue Nahrung erhalten, und noch vor Ablauf des Jahrs ſahen jene ſich aus der Stadt verdraͤngt und zu einer neuen weit ſchwierigern Belagerung genoͤthigt, welche drei Monate dauerte; diesmal geſchah der Angriff allein von der Hafenſeite. Der Kaiſer hatte ſein ſcharlachrothes Zelt auf der Hoͤhe aufgepflanzt, wo jetzt die Moſchee Se- lims ſich erhebt, und feuerte den Muth der Vertheidiger an. Einen allgemeinen Sturm der Lateiner ſchlug er gluͤck- lich ab, die Angreifer buͤßten viele Menſchen ein, und Vil- lehardouin ſelbſt meint, daß „multére grant péril“. Der Angriff wurde nichts deſto weniger drei Tage hinter ein- ander an vielen Stellen zugleich erneuert; die Galeeren „der Kreuzfahrer“ und „das Paradies“ ſegelten mit fri- ſchem Norwind dicht an das Ufer; die Biſchoͤfe von Troyes und Soiſſons fuͤhrten die Vorhut, vier Thuͤrme wurden genommen, die Thore geſprengt und eine furchtbare Feuers- brunſt angezuͤndet; da erſchienen Abgeſandte der Griechen vor Bonifaz v. Montferrat, welcher die Deutſchen befeh- ligte, und riefen: „Heiliger Markgraf und Koͤnig, erbarme dich unſer!“ Die Pallaͤſte Blachernaͤ und Bukoleon wur-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/198
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/198>, abgerufen am 29.11.2024.