der Hand dar, und Konstantin, welcher selbst der Gott des Tages war, ließ sich die Attribute des Sonnengottes ge- fallen. -- Alle diese Pracht ist verschwunden, und von dem Forum nur ein kleiner enger Platz übrig, auf welchem die "verbrannte Säule" sich erhebt. Sie besteht nicht mehr aus acht, sondern nur noch aus fünf Porphyrstücken, jedes 10 Fuß hoch, mit einem Capitäl von weißem Marmor, und Zeit und Feuersbrünste haben sie so beschädigt, daß eiserne Reifen um die Steine gelegt werden mußten. Früher bil- dete die Säule Konstantins den höchsten Punkt der Stadt, jetzt sind ihr die Minarehs weit über den Kopf gewachsen. Unter ihrem Fundament soll das alte Palladium der Stadt, die Gebeine des Pelops, begraben sein.
Von den vielen Säulen, welche einst die Bilder heili- ger Männer, mächtiger Kaiser und Kaiserinnen trugen, ste- hen außer dieser Säule des Konstantin nur noch zwei auf- recht, die des Marcian, jetzt "Kis-taschi", der Mädchen- stein genannt, zwischen elenden Hütten, unweit der Moschee des Eroberers Mohammed, und die Gothensäule im Gar- ten des Serajs. Von der einst 120 Fuß hohen Säule des Arcadius auf dem Awret-basari oder Weibermarkt ist nur noch der Sockel vorhanden, in welchen eine türkische Fa- milie sich eingenistet hat. Diese Säule war aus weißem Marmor, 140 Fuß hoch, und eine Wendelstiege führt im Jnnern nach dem Gipfel hinauf. Dorthin brachte man nach der lateinischen Eroberung Murzuflus, den Thronprä- tendenten, und stürzte ihn hinab vor den Augen einer zahl- losen Menge, welche in dieser Hinrichtung eine Prophezei- hung in Erfüllung gehen sah. Der Dichter Tzetzes hat nämlich funfzig Jahre früher den Traum einer Matrone erzählt, welche einen Mann auf der Säule sitzen sah, der die Hände zusammen schlug und laut aufschrie.
Von den altgriechischen Kirchen sind mehrere noch vor- handen, aber in Moscheen umgewandelt; die Türken nen- nen sie Kilisse-Dschami, Kirchen-Moscheen, sie unterscheiden sich leicht von den übrigen durch die engen thurmartigen
der Hand dar, und Konſtantin, welcher ſelbſt der Gott des Tages war, ließ ſich die Attribute des Sonnengottes ge- fallen. — Alle dieſe Pracht iſt verſchwunden, und von dem Forum nur ein kleiner enger Platz uͤbrig, auf welchem die „verbrannte Saͤule“ ſich erhebt. Sie beſteht nicht mehr aus acht, ſondern nur noch aus fuͤnf Porphyrſtuͤcken, jedes 10 Fuß hoch, mit einem Capitaͤl von weißem Marmor, und Zeit und Feuersbruͤnſte haben ſie ſo beſchaͤdigt, daß eiſerne Reifen um die Steine gelegt werden mußten. Fruͤher bil- dete die Saͤule Konſtantins den hoͤchſten Punkt der Stadt, jetzt ſind ihr die Minarehs weit uͤber den Kopf gewachſen. Unter ihrem Fundament ſoll das alte Palladium der Stadt, die Gebeine des Pelops, begraben ſein.
Von den vielen Saͤulen, welche einſt die Bilder heili- ger Maͤnner, maͤchtiger Kaiſer und Kaiſerinnen trugen, ſte- hen außer dieſer Saͤule des Konſtantin nur noch zwei auf- recht, die des Marcian, jetzt „Kis-taſchi“, der Maͤdchen- ſtein genannt, zwiſchen elenden Huͤtten, unweit der Moſchee des Eroberers Mohammed, und die Gothenſaͤule im Gar- ten des Serajs. Von der einſt 120 Fuß hohen Saͤule des Arcadius auf dem Awret-baſari oder Weibermarkt iſt nur noch der Sockel vorhanden, in welchen eine tuͤrkiſche Fa- milie ſich eingeniſtet hat. Dieſe Saͤule war aus weißem Marmor, 140 Fuß hoch, und eine Wendelſtiege fuͤhrt im Jnnern nach dem Gipfel hinauf. Dorthin brachte man nach der lateiniſchen Eroberung Murzuflus, den Thronpraͤ- tendenten, und ſtuͤrzte ihn hinab vor den Augen einer zahl- loſen Menge, welche in dieſer Hinrichtung eine Prophezei- hung in Erfuͤllung gehen ſah. Der Dichter Tzetzes hat naͤmlich funfzig Jahre fruͤher den Traum einer Matrone erzaͤhlt, welche einen Mann auf der Saͤule ſitzen ſah, der die Haͤnde zuſammen ſchlug und laut aufſchrie.
Von den altgriechiſchen Kirchen ſind mehrere noch vor- handen, aber in Moſcheen umgewandelt; die Tuͤrken nen- nen ſie Kiliſſe-Dſchami, Kirchen-Moſcheen, ſie unterſcheiden ſich leicht von den uͤbrigen durch die engen thurmartigen
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der Hand dar, und Konſtantin, welcher ſelbſt der Gott des
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fallen. — Alle dieſe Pracht iſt verſchwunden, und von dem
Forum nur ein kleiner enger Platz uͤbrig, auf welchem die
„verbrannte Saͤule“ ſich erhebt. Sie beſteht nicht mehr
aus acht, ſondern nur noch aus fuͤnf Porphyrſtuͤcken, jedes
10 Fuß hoch, mit einem Capitaͤl von weißem Marmor, und
Zeit und Feuersbruͤnſte haben ſie ſo beſchaͤdigt, daß eiſerne
Reifen um die Steine gelegt werden mußten. Fruͤher bil-
dete die Saͤule Konſtantins den hoͤchſten Punkt der Stadt,
jetzt ſind ihr die Minarehs weit uͤber den Kopf gewachſen.
Unter ihrem Fundament ſoll das alte Palladium der Stadt,
die Gebeine des Pelops, begraben ſein.
Von den vielen Saͤulen, welche einſt die Bilder heili-
ger Maͤnner, maͤchtiger Kaiſer und Kaiſerinnen trugen, ſte-
hen außer dieſer Saͤule des Konſtantin nur noch zwei auf-
recht, die des Marcian, jetzt „Kis-taſchi“, der Maͤdchen-
ſtein genannt, zwiſchen elenden Huͤtten, unweit der Moſchee
des Eroberers Mohammed, und die Gothenſaͤule im Gar-
ten des Serajs. Von der einſt 120 Fuß hohen Saͤule des
Arcadius auf dem Awret-baſari oder Weibermarkt iſt nur
noch der Sockel vorhanden, in welchen eine tuͤrkiſche Fa-
milie ſich eingeniſtet hat. Dieſe Saͤule war aus weißem
Marmor, 140 Fuß hoch, und eine Wendelſtiege fuͤhrt im
Jnnern nach dem Gipfel hinauf. Dorthin brachte man
nach der lateiniſchen Eroberung Murzuflus, den Thronpraͤ-
tendenten, und ſtuͤrzte ihn hinab vor den Augen einer zahl-
loſen Menge, welche in dieſer Hinrichtung eine Prophezei-
hung in Erfuͤllung gehen ſah. Der Dichter Tzetzes hat
naͤmlich funfzig Jahre fruͤher den Traum einer Matrone
erzaͤhlt, welche einen Mann auf der Saͤule ſitzen ſah, der
die Haͤnde zuſammen ſchlug und laut aufſchrie.
Von den altgriechiſchen Kirchen ſind mehrere noch vor-
handen, aber in Moſcheen umgewandelt; die Tuͤrken nen-
nen ſie Kiliſſe-Dſchami, Kirchen-Moſcheen, ſie unterſcheiden
ſich leicht von den uͤbrigen durch die engen thurmartigen
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/193>, abgerufen am 29.11.2024.
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