unter die weite Hauptkuppel tritt und einen Raum von 115 Fuß im Durchmesser ganz frei, ohne Säulen und Stützen vor sich sieht, über dem 180 Fuß hoch eine stei- nerne Wölbung in der Luft zu schweben scheint, dann staunt man über die Kühnheit des Gedankens, über die Größe der Ausführung eines solchen Baues. Die Sophia ist drei- mal so hoch, als der Tempel Salomonis war, und ihre ganze Länge und Breite beträgt (die Halbdome mitgerech- net) 250 Fuß; die drei Seiten nämlich, links, rechts und vor dem Eintretenden sind in drei niedrigere, aber immer noch über 100 Fuß hohe Halbkuppeln von 50 Fuß im Halb- messer erweitert, welche unten wieder in kleinere Halbkreise ausschweifen. Das Ueberraschende ist die große Freiheit des Raums, 8000 Quadratfuß von einer einzigen Wölbung überspannt. Unsere christlichen Kathedralen gleichen einem Wald mit schlanken Stämmen und breiten Blätterkronen, diese Dome sind dem Firmament selbst nachgeahmt.
Die breiten Halbkuppeln an den Seiten enthalten zwei geräumige Tribünen, getragen durch die acht Riesensäulen, welche Konstantin aus Ephesus, Athen und Rom zusam- menbrachte. Die Tempel Europa's, Asiens und Afrika's wurden geplündert, um diese christliche Kirche zu schmük- ken, und Du findest auf der zweiten Tribüne einen Wald von Säulen aus Porphyr Gjallo antico, Granit, Jaspis und Marmor. Die an der westlichen Seite weichen auf eine sehr bedenkliche Weise von dem Senkrechten ab, und zeigen, daß hier die Hauptmauern sich bedeutend gesenkt haben müssen. Eine akustische Merkwürdigkeit überraschte mich in den Nebenkuppeln; da sie parabolisch gewölbt sind, so hört man das leiseste Geräusch, welches an der gegen- über stehenden Seite verursacht wird. Es macht einen schauerlichen Eindruck, die bekannte Stimme eines Freun- des in unmittelbarster Nähe aus der Mauer flüstern zu hören, den man mit den Augen vergebens sucht.
Das Licht fällt hauptsächlich durch eine Reihe von Fenstern, welche den Fuß der Kuppel umgeben. Längs
unter die weite Hauptkuppel tritt und einen Raum von 115 Fuß im Durchmeſſer ganz frei, ohne Saͤulen und Stuͤtzen vor ſich ſieht, uͤber dem 180 Fuß hoch eine ſtei- nerne Woͤlbung in der Luft zu ſchweben ſcheint, dann ſtaunt man uͤber die Kuͤhnheit des Gedankens, uͤber die Groͤße der Ausfuͤhrung eines ſolchen Baues. Die Sophia iſt drei- mal ſo hoch, als der Tempel Salomonis war, und ihre ganze Laͤnge und Breite betraͤgt (die Halbdome mitgerech- net) 250 Fuß; die drei Seiten naͤmlich, links, rechts und vor dem Eintretenden ſind in drei niedrigere, aber immer noch uͤber 100 Fuß hohe Halbkuppeln von 50 Fuß im Halb- meſſer erweitert, welche unten wieder in kleinere Halbkreiſe ausſchweifen. Das Ueberraſchende iſt die große Freiheit des Raums, 8000 Quadratfuß von einer einzigen Woͤlbung uͤberſpannt. Unſere chriſtlichen Kathedralen gleichen einem Wald mit ſchlanken Staͤmmen und breiten Blaͤtterkronen, dieſe Dome ſind dem Firmament ſelbſt nachgeahmt.
Die breiten Halbkuppeln an den Seiten enthalten zwei geraͤumige Tribuͤnen, getragen durch die acht Rieſenſaͤulen, welche Konſtantin aus Epheſus, Athen und Rom zuſam- menbrachte. Die Tempel Europa's, Aſiens und Afrika's wurden gepluͤndert, um dieſe chriſtliche Kirche zu ſchmuͤk- ken, und Du findeſt auf der zweiten Tribuͤne einen Wald von Saͤulen aus Porphyr Gjallo antico, Granit, Jaspis und Marmor. Die an der weſtlichen Seite weichen auf eine ſehr bedenkliche Weiſe von dem Senkrechten ab, und zeigen, daß hier die Hauptmauern ſich bedeutend geſenkt haben muͤſſen. Eine akuſtiſche Merkwuͤrdigkeit uͤberraſchte mich in den Nebenkuppeln; da ſie paraboliſch gewoͤlbt ſind, ſo hoͤrt man das leiſeſte Geraͤuſch, welches an der gegen- uͤber ſtehenden Seite verurſacht wird. Es macht einen ſchauerlichen Eindruck, die bekannte Stimme eines Freun- des in unmittelbarſter Naͤhe aus der Mauer fluͤſtern zu hoͤren, den man mit den Augen vergebens ſucht.
Das Licht faͤllt hauptſaͤchlich durch eine Reihe von Fenſtern, welche den Fuß der Kuppel umgeben. Laͤngs
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unter die weite Hauptkuppel tritt und einen Raum von
115 Fuß im Durchmeſſer ganz frei, ohne Saͤulen und
Stuͤtzen vor ſich ſieht, uͤber dem 180 Fuß hoch eine ſtei-
nerne Woͤlbung in der Luft zu ſchweben ſcheint, dann ſtaunt
man uͤber die Kuͤhnheit des Gedankens, uͤber die Groͤße
der Ausfuͤhrung eines ſolchen Baues. Die Sophia iſt drei-
mal ſo hoch, als der Tempel Salomonis war, und ihre
ganze Laͤnge und Breite betraͤgt (die Halbdome mitgerech-
net) 250 Fuß; die drei Seiten naͤmlich, links, rechts und
vor dem Eintretenden ſind in drei niedrigere, aber immer
noch uͤber 100 Fuß hohe Halbkuppeln von 50 Fuß im Halb-
meſſer erweitert, welche unten wieder in kleinere Halbkreiſe
ausſchweifen. Das Ueberraſchende iſt die große Freiheit
des Raums, 8000 Quadratfuß von einer einzigen Woͤlbung
uͤberſpannt. Unſere chriſtlichen Kathedralen gleichen einem
Wald mit ſchlanken Staͤmmen und breiten Blaͤtterkronen,
dieſe Dome ſind dem Firmament ſelbſt nachgeahmt.
Die breiten Halbkuppeln an den Seiten enthalten zwei
geraͤumige Tribuͤnen, getragen durch die acht Rieſenſaͤulen,
welche Konſtantin aus Epheſus, Athen und Rom zuſam-
menbrachte. Die Tempel Europa's, Aſiens und Afrika's
wurden gepluͤndert, um dieſe chriſtliche Kirche zu ſchmuͤk-
ken, und Du findeſt auf der zweiten Tribuͤne einen Wald
von Saͤulen aus Porphyr Gjallo antico, Granit, Jaspis
und Marmor. Die an der weſtlichen Seite weichen auf
eine ſehr bedenkliche Weiſe von dem Senkrechten ab, und
zeigen, daß hier die Hauptmauern ſich bedeutend geſenkt
haben muͤſſen. Eine akuſtiſche Merkwuͤrdigkeit uͤberraſchte
mich in den Nebenkuppeln; da ſie paraboliſch gewoͤlbt ſind,
ſo hoͤrt man das leiſeſte Geraͤuſch, welches an der gegen-
uͤber ſtehenden Seite verurſacht wird. Es macht einen
ſchauerlichen Eindruck, die bekannte Stimme eines Freun-
des in unmittelbarſter Naͤhe aus der Mauer fluͤſtern zu
hoͤren, den man mit den Augen vergebens ſucht.
Das Licht faͤllt hauptſaͤchlich durch eine Reihe von
Fenſtern, welche den Fuß der Kuppel umgeben. Laͤngs
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/185>, abgerufen am 28.11.2024.
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