des Großen an jener Küste gründete und der er die gefeier- ten Namen seines Gebieters und Troja's beilegte. Aus den Ruinen jener Stadt wurde eine der größten Moscheen Konstantinopels erbaut, und noch jetzt bedecken Granitsäu- len alle Begräbnißplätze der umliegenden Dörfer. Hoch- ragende Bögen, riesenhafte Säulenschafte und Fundamente von ungeheurer Ausdehnung fesseln den Blick des Reisen- den, welcher die Palamut-Waldungen durchstreift oder an den Küsten von Alexandra Troas vorüber seegelt. Diesmal richtete ich meine Schritte nach einem Ort, an welchem die ältesten geschichtlichen Erinnerungen haften, wo aber wahr- scheinlich die Zeit jede Spur von Menschenwerk zerstört hat, nach Jlium! Es ist gewiß merkwürdig, daß man dessen ungeachtet mit hoher Wahrscheinlichkeit den Schauplatz einer Begebenheit nachweisen kann, von der ein blinder Greis vor Jahrtausenden erzählte, daß sie Jahrhunderte vor ihm sich zugetragen. Aber die Natur ist unverändert geblieben; noch sprudeln die beiden Quellen, die eine wärmer, die an- dere kälter, in welchen die troischen Frauen die "leuchten- den Gewänder" wuschen; immer noch fließt der Simois vom Jda, dem "quelligen Nährer des Wild's" herab, und vereint die wirbelnden Wasser mit den Fluten des sanf- teren Halbbruders, des Scamander; die Wellen brausen noch heute am Cap Sigäum, und an der "rauh umstarr- ten Jmbros". Die weiße Spitze des Jda, von welcher Zeus dem Treiben der Götter und Menschen zusah, ist sichtbar an allen Punkten der Ebene, und keinen erhabe- nern Sitz konnte der Erderschütterer Poseidon finden, als "da er saß, Anstaunend den Kampf und die Waffenentscheidung, Hoch auf dem obersten Gipfel des grün umwaldeten Samos- Thrakios. Dort erschien mit allen Höh'n ihm der Jda, Auch erschien ihm Priamos Stadt, und der Danaer Schiffe Dort entstiegen dem Meer" etc.
des Großen an jener Kuͤſte gruͤndete und der er die gefeier- ten Namen ſeines Gebieters und Troja's beilegte. Aus den Ruinen jener Stadt wurde eine der groͤßten Moſcheen Konſtantinopels erbaut, und noch jetzt bedecken Granitſaͤu- len alle Begraͤbnißplaͤtze der umliegenden Doͤrfer. Hoch- ragende Boͤgen, rieſenhafte Saͤulenſchafte und Fundamente von ungeheurer Ausdehnung feſſeln den Blick des Reiſen- den, welcher die Palamut-Waldungen durchſtreift oder an den Kuͤſten von Alexandra Troas voruͤber ſeegelt. Diesmal richtete ich meine Schritte nach einem Ort, an welchem die aͤlteſten geſchichtlichen Erinnerungen haften, wo aber wahr- ſcheinlich die Zeit jede Spur von Menſchenwerk zerſtoͤrt hat, nach Jlium! Es iſt gewiß merkwuͤrdig, daß man deſſen ungeachtet mit hoher Wahrſcheinlichkeit den Schauplatz einer Begebenheit nachweiſen kann, von der ein blinder Greis vor Jahrtauſenden erzaͤhlte, daß ſie Jahrhunderte vor ihm ſich zugetragen. Aber die Natur iſt unveraͤndert geblieben; noch ſprudeln die beiden Quellen, die eine waͤrmer, die an- dere kaͤlter, in welchen die troiſchen Frauen die „leuchten- den Gewaͤnder“ wuſchen; immer noch fließt der Simois vom Jda, dem „quelligen Naͤhrer des Wild's“ herab, und vereint die wirbelnden Waſſer mit den Fluten des ſanf- teren Halbbruders, des Scamander; die Wellen brauſen noch heute am Cap Sigaͤum, und an der „rauh umſtarr- ten Jmbros“. Die weiße Spitze des Jda, von welcher Zeus dem Treiben der Goͤtter und Menſchen zuſah, iſt ſichtbar an allen Punkten der Ebene, und keinen erhabe- nern Sitz konnte der Erderſchuͤtterer Poſeidon finden, als „da er ſaß, Anſtaunend den Kampf und die Waffenentſcheidung, Hoch auf dem oberſten Gipfel des gruͤn umwaldeten Samos- Thrakios. Dort erſchien mit allen Hoͤh'n ihm der Jda, Auch erſchien ihm Priamos Stadt, und der Danaer Schiffe Dort entſtiegen dem Meer“ ꝛc.
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des Großen an jener Kuͤſte gruͤndete und der er die gefeier-
ten Namen ſeines Gebieters und Troja's beilegte. Aus
den Ruinen jener Stadt wurde eine der groͤßten Moſcheen
Konſtantinopels erbaut, und noch jetzt bedecken Granitſaͤu-
len alle Begraͤbnißplaͤtze der umliegenden Doͤrfer. Hoch-
ragende Boͤgen, rieſenhafte Saͤulenſchafte und Fundamente
von ungeheurer Ausdehnung feſſeln den Blick des Reiſen-
den, welcher die Palamut-Waldungen durchſtreift oder an
den Kuͤſten von Alexandra Troas voruͤber ſeegelt. Diesmal
richtete ich meine Schritte nach einem Ort, an welchem die
aͤlteſten geſchichtlichen Erinnerungen haften, wo aber wahr-
ſcheinlich die Zeit jede Spur von Menſchenwerk zerſtoͤrt hat,
nach Jlium! Es iſt gewiß merkwuͤrdig, daß man deſſen
ungeachtet mit hoher Wahrſcheinlichkeit den Schauplatz einer
Begebenheit nachweiſen kann, von der ein blinder Greis
vor Jahrtauſenden erzaͤhlte, daß ſie Jahrhunderte vor ihm
ſich zugetragen. Aber die Natur iſt unveraͤndert geblieben;
noch ſprudeln die beiden Quellen, die eine waͤrmer, die an-
dere kaͤlter, in welchen die troiſchen Frauen die „leuchten-
den Gewaͤnder“ wuſchen; immer noch fließt der Simois
vom Jda, dem „quelligen Naͤhrer des Wild's“ herab, und
vereint die wirbelnden Waſſer mit den Fluten des ſanf-
teren Halbbruders, des Scamander; die Wellen brauſen
noch heute am Cap Sigaͤum, und an der „rauh umſtarr-
ten Jmbros“. Die weiße Spitze des Jda, von welcher
Zeus dem Treiben der Goͤtter und Menſchen zuſah, iſt
ſichtbar an allen Punkten der Ebene, und keinen erhabe-
nern Sitz konnte der Erderſchuͤtterer Poſeidon finden, als
„da er ſaß,
Anſtaunend den Kampf und die Waffenentſcheidung,
Hoch auf dem oberſten Gipfel des gruͤn umwaldeten Samos-
Thrakios. Dort erſchien mit allen Hoͤh'n ihm der Jda,
Auch erſchien ihm Priamos Stadt, und der Danaer Schiffe
Dort entſtiegen dem Meer“ ꝛc.
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/178>, abgerufen am 27.11.2024.
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