So weit das Auge reicht, nichts als unbebaute Flächen und baumlose Hügel, und kaum entdeckst Du einen sandi- gen Saumpfad durch das hohe Heidekraut und Gestripp, dies ist die Campagna des neuen Roms; so ist der Con- trast der See- und Landseite Konstantinopels.
Dicht unter Dir freilich hast Du das Getümmel im goldenen Horn (Chryso-Keras), im Arsenal auf den Schiffs- werften, auf der neuen Brücke und in Galata. Die Man- nigfaltigkeit dieser Aussicht ist so groß, daß man Tausende von Gegenständen achtlos übersieht, vor denen man an einem andern Orte staunend stehen bleiben würde.
Mich interessirt diesmal nichts so sehr, als eine kleine schwarze Rauchwolke am blendenden Horizont des Propon- tis, die immer näher rückt und sich bald in ein breites Dampfschiff verwandelt; die Wellen stiegen schäumend an seiner schwarzen Brust empor und flossen schneeweiß zu bei- den Seiten hinab, weithin einen Silberstreif auf die blaue Fläche zeichnend. Jetzt kämpfte das Pyroskaph mit der starken Strömung an der Spitze des Serajs, aber sieg- reich schoß es hinter den alten Mauern hervor, wendete in den Hafen herum und mit lange anhaltendem Gerassel sank der Anker auf den tiefen Grund herab.
Jch brachte meine Cameraden sogleich nach Bujukdere, wo freundliche Wohnungen für sie bereit standen, und es war ein großes Vergnügen, zu Pferd und im Nachen ihr Führer durch alle diese schönen Umgebungen zu sein, welche ich durch meine Aufnahme schon gründlich studirt hatte.
32. Reise durch Rumelien, Bulgarien und Dobrudscha. Der Trajanswall.
Varna, den 2. November 1837.
Nach kurzem Aufenthalt in Bujukdere wurden meine Cameraden und ich dem Großherrn vorgestellt, welcher uns
So weit das Auge reicht, nichts als unbebaute Flaͤchen und baumloſe Huͤgel, und kaum entdeckſt Du einen ſandi- gen Saumpfad durch das hohe Heidekraut und Geſtripp, dies iſt die Campagna des neuen Roms; ſo iſt der Con- traſt der See- und Landſeite Konſtantinopels.
Dicht unter Dir freilich haſt Du das Getuͤmmel im goldenen Horn (Chryſo-Keras), im Arſenal auf den Schiffs- werften, auf der neuen Bruͤcke und in Galata. Die Man- nigfaltigkeit dieſer Ausſicht iſt ſo groß, daß man Tauſende von Gegenſtaͤnden achtlos uͤberſieht, vor denen man an einem andern Orte ſtaunend ſtehen bleiben wuͤrde.
Mich intereſſirt diesmal nichts ſo ſehr, als eine kleine ſchwarze Rauchwolke am blendenden Horizont des Propon- tis, die immer naͤher ruͤckt und ſich bald in ein breites Dampfſchiff verwandelt; die Wellen ſtiegen ſchaͤumend an ſeiner ſchwarzen Bruſt empor und floſſen ſchneeweiß zu bei- den Seiten hinab, weithin einen Silberſtreif auf die blaue Flaͤche zeichnend. Jetzt kaͤmpfte das Pyroſkaph mit der ſtarken Stroͤmung an der Spitze des Serajs, aber ſieg- reich ſchoß es hinter den alten Mauern hervor, wendete in den Hafen herum und mit lange anhaltendem Geraſſel ſank der Anker auf den tiefen Grund herab.
Jch brachte meine Cameraden ſogleich nach Bujukdere, wo freundliche Wohnungen fuͤr ſie bereit ſtanden, und es war ein großes Vergnuͤgen, zu Pferd und im Nachen ihr Fuͤhrer durch alle dieſe ſchoͤnen Umgebungen zu ſein, welche ich durch meine Aufnahme ſchon gruͤndlich ſtudirt hatte.
32. Reiſe durch Rumelien, Bulgarien und Dobrudſcha. Der Trajanswall.
Varna, den 2. November 1837.
Nach kurzem Aufenthalt in Bujukdere wurden meine Cameraden und ich dem Großherrn vorgeſtellt, welcher uns
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0166"n="156"/>
So weit das Auge reicht, nichts als unbebaute Flaͤchen<lb/>
und baumloſe Huͤgel, und kaum entdeckſt Du einen ſandi-<lb/>
gen Saumpfad durch das hohe Heidekraut und Geſtripp,<lb/>
dies iſt die Campagna des neuen Roms; ſo iſt der Con-<lb/>
traſt der See- und Landſeite Konſtantinopels.</p><lb/><p>Dicht unter Dir freilich haſt Du das Getuͤmmel im<lb/>
goldenen Horn (Chryſo-Keras), im Arſenal auf den Schiffs-<lb/>
werften, auf der neuen Bruͤcke und in Galata. Die Man-<lb/>
nigfaltigkeit dieſer Ausſicht iſt ſo groß, daß man Tauſende<lb/>
von Gegenſtaͤnden achtlos uͤberſieht, vor denen man an einem<lb/>
andern Orte ſtaunend ſtehen bleiben wuͤrde.</p><lb/><p>Mich intereſſirt diesmal nichts ſo ſehr, als eine kleine<lb/>ſchwarze Rauchwolke am blendenden Horizont des Propon-<lb/>
tis, die immer naͤher ruͤckt und ſich bald in ein breites<lb/>
Dampfſchiff verwandelt; die Wellen ſtiegen ſchaͤumend an<lb/>ſeiner ſchwarzen Bruſt empor und floſſen ſchneeweiß zu bei-<lb/>
den Seiten hinab, weithin einen Silberſtreif auf die blaue<lb/>
Flaͤche zeichnend. Jetzt kaͤmpfte das Pyroſkaph mit der<lb/>ſtarken Stroͤmung an der Spitze des Serajs, aber ſieg-<lb/>
reich ſchoß es hinter den alten Mauern hervor, wendete in<lb/>
den Hafen herum und mit lange anhaltendem Geraſſel ſank<lb/>
der Anker auf den tiefen Grund herab.</p><lb/><p>Jch brachte meine Cameraden ſogleich nach Bujukdere,<lb/>
wo freundliche Wohnungen fuͤr ſie bereit ſtanden, und es<lb/>
war ein großes Vergnuͤgen, zu Pferd und im Nachen ihr<lb/>
Fuͤhrer durch alle dieſe ſchoͤnen Umgebungen zu ſein, welche<lb/>
ich durch meine Aufnahme ſchon gruͤndlich ſtudirt hatte.</p></div><lb/><divn="1"><head>32.<lb/><hirendition="#b">Reiſe durch Rumelien, Bulgarien und Dobrudſcha.<lb/>
Der Trajanswall.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Varna, den 2. November 1837.</hi></dateline><lb/><p>Nach kurzem Aufenthalt in Bujukdere wurden meine<lb/>
Cameraden und ich dem Großherrn vorgeſtellt, welcher uns<lb/></p></div></body></text></TEI>
[156/0166]
So weit das Auge reicht, nichts als unbebaute Flaͤchen
und baumloſe Huͤgel, und kaum entdeckſt Du einen ſandi-
gen Saumpfad durch das hohe Heidekraut und Geſtripp,
dies iſt die Campagna des neuen Roms; ſo iſt der Con-
traſt der See- und Landſeite Konſtantinopels.
Dicht unter Dir freilich haſt Du das Getuͤmmel im
goldenen Horn (Chryſo-Keras), im Arſenal auf den Schiffs-
werften, auf der neuen Bruͤcke und in Galata. Die Man-
nigfaltigkeit dieſer Ausſicht iſt ſo groß, daß man Tauſende
von Gegenſtaͤnden achtlos uͤberſieht, vor denen man an einem
andern Orte ſtaunend ſtehen bleiben wuͤrde.
Mich intereſſirt diesmal nichts ſo ſehr, als eine kleine
ſchwarze Rauchwolke am blendenden Horizont des Propon-
tis, die immer naͤher ruͤckt und ſich bald in ein breites
Dampfſchiff verwandelt; die Wellen ſtiegen ſchaͤumend an
ſeiner ſchwarzen Bruſt empor und floſſen ſchneeweiß zu bei-
den Seiten hinab, weithin einen Silberſtreif auf die blaue
Flaͤche zeichnend. Jetzt kaͤmpfte das Pyroſkaph mit der
ſtarken Stroͤmung an der Spitze des Serajs, aber ſieg-
reich ſchoß es hinter den alten Mauern hervor, wendete in
den Hafen herum und mit lange anhaltendem Geraſſel ſank
der Anker auf den tiefen Grund herab.
Jch brachte meine Cameraden ſogleich nach Bujukdere,
wo freundliche Wohnungen fuͤr ſie bereit ſtanden, und es
war ein großes Vergnuͤgen, zu Pferd und im Nachen ihr
Fuͤhrer durch alle dieſe ſchoͤnen Umgebungen zu ſein, welche
ich durch meine Aufnahme ſchon gruͤndlich ſtudirt hatte.
32.
Reiſe durch Rumelien, Bulgarien und Dobrudſcha.
Der Trajanswall.
Varna, den 2. November 1837.
Nach kurzem Aufenthalt in Bujukdere wurden meine
Cameraden und ich dem Großherrn vorgeſtellt, welcher uns
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/166>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.