Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

der Ferne sehr wohl schätzen läßt, so beträgt die ganze
Höhe über 200 Fuß, bei einem Durchmesser von unten 11,
oben nur 8 Fuß, am Schatten gemessen. Die Minarehs
gleichen daher in der That eher Säulen als Thürmen, und
doch, so künstlich sind sie erbaut, winden sich in ihrem Jn-
nern drei vollkommen bequeme Treppen in einander, so daß
drei Menschen zugleich hinauf steigen könnten. Ohne im Ge-
ringsten zum Schwindel zu neigen, schien mir der erste Blick
von oben herunter schauerlich. Die breite Kuppel, der stei-
nerne Vorhof mit der schönen Fontaine in der Mitte, die
ausgedehnten Jmarete oder Armenküchen, Medresseen oder
Schulen und viele andere mit Bleikuppeln gedeckte Gebäude,
welche zur Moschee gehören, das Alles liegt tief und un-
mittelbar unter den Füßen des Beschauers. Man glaubt,
die entsetzlich schlanke Steinsäule könne umschlagen, wenn
man sich dem Rande der Gallerie nähert. Die Kuppel er-
hebt sich bis beträchtlich über die halbe Höhe des Mina-
rehs, und mag im Jnnern 120 Fuß hoch sein.


Heute früh um 9 Uhr kamen wir vor Konstantinopel
an, und zogen durch das Thor Topkapu, das Thor der
Kanone, vormals des heiligen Romanus, in die Hauptstadt
ein. Es ist dasselbe Thor, durch welches Mahomed der
Zweite in die Stadt der griechischen Kaiser drang, und vor
welchem der letzte Konstantin unter einer nahestehenden Cy-
presse fiel. Die Enkel der Eroberer (die, beiläufig gesagt,
von dem Allen nicht viel wissen), waren zu Tausenden ge-
kommen, um den Großherrn zu empfangen, welcher sich
nach dem alten Seraj begab, um im Gemach, wo das
Kleid des Propheten aufbewahrt wird, seine Andacht zu
verrichten.

10

der Ferne ſehr wohl ſchaͤtzen laͤßt, ſo betraͤgt die ganze
Hoͤhe uͤber 200 Fuß, bei einem Durchmeſſer von unten 11,
oben nur 8 Fuß, am Schatten gemeſſen. Die Minarehs
gleichen daher in der That eher Saͤulen als Thuͤrmen, und
doch, ſo kuͤnſtlich ſind ſie erbaut, winden ſich in ihrem Jn-
nern drei vollkommen bequeme Treppen in einander, ſo daß
drei Menſchen zugleich hinauf ſteigen koͤnnten. Ohne im Ge-
ringſten zum Schwindel zu neigen, ſchien mir der erſte Blick
von oben herunter ſchauerlich. Die breite Kuppel, der ſtei-
nerne Vorhof mit der ſchoͤnen Fontaine in der Mitte, die
ausgedehnten Jmarete oder Armenkuͤchen, Medreſſeen oder
Schulen und viele andere mit Bleikuppeln gedeckte Gebaͤude,
welche zur Moſchee gehoͤren, das Alles liegt tief und un-
mittelbar unter den Fuͤßen des Beſchauers. Man glaubt,
die entſetzlich ſchlanke Steinſaͤule koͤnne umſchlagen, wenn
man ſich dem Rande der Gallerie naͤhert. Die Kuppel er-
hebt ſich bis betraͤchtlich uͤber die halbe Hoͤhe des Mina-
rehs, und mag im Jnnern 120 Fuß hoch ſein.


Heute fruͤh um 9 Uhr kamen wir vor Konſtantinopel
an, und zogen durch das Thor Topkapu, das Thor der
Kanone, vormals des heiligen Romanus, in die Hauptſtadt
ein. Es iſt daſſelbe Thor, durch welches Mahomed der
Zweite in die Stadt der griechiſchen Kaiſer drang, und vor
welchem der letzte Konſtantin unter einer naheſtehenden Cy-
preſſe fiel. Die Enkel der Eroberer (die, beilaͤufig geſagt,
von dem Allen nicht viel wiſſen), waren zu Tauſenden ge-
kommen, um den Großherrn zu empfangen, welcher ſich
nach dem alten Seraj begab, um im Gemach, wo das
Kleid des Propheten aufbewahrt wird, ſeine Andacht zu
verrichten.

10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="145"/>
der Ferne &#x017F;ehr wohl &#x017F;cha&#x0364;tzen la&#x0364;ßt, &#x017F;o betra&#x0364;gt die ganze<lb/>
Ho&#x0364;he u&#x0364;ber 200 Fuß, bei einem Durchme&#x017F;&#x017F;er von unten 11,<lb/>
oben nur 8 Fuß, am Schatten geme&#x017F;&#x017F;en. Die Minarehs<lb/>
gleichen daher in der That eher Sa&#x0364;ulen als Thu&#x0364;rmen, und<lb/>
doch, &#x017F;o ku&#x0364;n&#x017F;tlich &#x017F;ind &#x017F;ie erbaut, winden &#x017F;ich in ihrem Jn-<lb/>
nern drei vollkommen bequeme Treppen in einander, &#x017F;o daß<lb/>
drei Men&#x017F;chen zugleich hinauf &#x017F;teigen ko&#x0364;nnten. Ohne im Ge-<lb/>
ring&#x017F;ten zum Schwindel zu neigen, &#x017F;chien mir der er&#x017F;te Blick<lb/>
von oben herunter &#x017F;chauerlich. Die breite Kuppel, der &#x017F;tei-<lb/>
nerne Vorhof mit der &#x017F;cho&#x0364;nen Fontaine in der Mitte, die<lb/>
ausgedehnten Jmarete oder Armenku&#x0364;chen, Medre&#x017F;&#x017F;een oder<lb/>
Schulen und viele andere mit Bleikuppeln gedeckte Geba&#x0364;ude,<lb/>
welche zur Mo&#x017F;chee geho&#x0364;ren, das Alles liegt tief und un-<lb/>
mittelbar unter den Fu&#x0364;ßen des Be&#x017F;chauers. Man glaubt,<lb/>
die ent&#x017F;etzlich &#x017F;chlanke Stein&#x017F;a&#x0364;ule ko&#x0364;nne um&#x017F;chlagen, wenn<lb/>
man &#x017F;ich dem Rande der Gallerie na&#x0364;hert. Die Kuppel er-<lb/>
hebt &#x017F;ich bis betra&#x0364;chtlich u&#x0364;ber die halbe Ho&#x0364;he des Mina-<lb/>
rehs, und mag im Jnnern 120 Fuß hoch &#x017F;ein.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#et">Kon&#x017F;tantinopel, den 6. Juni 1837.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Heute fru&#x0364;h um 9 Uhr kamen wir vor Kon&#x017F;tantinopel<lb/>
an, und zogen durch das Thor Topkapu, das Thor der<lb/>
Kanone, vormals des heiligen Romanus, in die Haupt&#x017F;tadt<lb/>
ein. Es i&#x017F;t da&#x017F;&#x017F;elbe Thor, durch welches Mahomed der<lb/>
Zweite in die Stadt der griechi&#x017F;chen Kai&#x017F;er drang, und vor<lb/>
welchem der letzte Kon&#x017F;tantin unter einer nahe&#x017F;tehenden Cy-<lb/>
pre&#x017F;&#x017F;e fiel. Die Enkel der Eroberer (die, beila&#x0364;ufig ge&#x017F;agt,<lb/>
von dem Allen nicht viel wi&#x017F;&#x017F;en), waren zu Tau&#x017F;enden ge-<lb/>
kommen, um den Großherrn zu empfangen, welcher &#x017F;ich<lb/>
nach dem alten Seraj begab, um im Gemach, wo das<lb/>
Kleid des Propheten aufbewahrt wird, &#x017F;eine Andacht zu<lb/>
verrichten.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="sig">10</fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0155] der Ferne ſehr wohl ſchaͤtzen laͤßt, ſo betraͤgt die ganze Hoͤhe uͤber 200 Fuß, bei einem Durchmeſſer von unten 11, oben nur 8 Fuß, am Schatten gemeſſen. Die Minarehs gleichen daher in der That eher Saͤulen als Thuͤrmen, und doch, ſo kuͤnſtlich ſind ſie erbaut, winden ſich in ihrem Jn- nern drei vollkommen bequeme Treppen in einander, ſo daß drei Menſchen zugleich hinauf ſteigen koͤnnten. Ohne im Ge- ringſten zum Schwindel zu neigen, ſchien mir der erſte Blick von oben herunter ſchauerlich. Die breite Kuppel, der ſtei- nerne Vorhof mit der ſchoͤnen Fontaine in der Mitte, die ausgedehnten Jmarete oder Armenkuͤchen, Medreſſeen oder Schulen und viele andere mit Bleikuppeln gedeckte Gebaͤude, welche zur Moſchee gehoͤren, das Alles liegt tief und un- mittelbar unter den Fuͤßen des Beſchauers. Man glaubt, die entſetzlich ſchlanke Steinſaͤule koͤnne umſchlagen, wenn man ſich dem Rande der Gallerie naͤhert. Die Kuppel er- hebt ſich bis betraͤchtlich uͤber die halbe Hoͤhe des Mina- rehs, und mag im Jnnern 120 Fuß hoch ſein. Konſtantinopel, den 6. Juni 1837. Heute fruͤh um 9 Uhr kamen wir vor Konſtantinopel an, und zogen durch das Thor Topkapu, das Thor der Kanone, vormals des heiligen Romanus, in die Hauptſtadt ein. Es iſt daſſelbe Thor, durch welches Mahomed der Zweite in die Stadt der griechiſchen Kaiſer drang, und vor welchem der letzte Konſtantin unter einer naheſtehenden Cy- preſſe fiel. Die Enkel der Eroberer (die, beilaͤufig geſagt, von dem Allen nicht viel wiſſen), waren zu Tauſenden ge- kommen, um den Großherrn zu empfangen, welcher ſich nach dem alten Seraj begab, um im Gemach, wo das Kleid des Propheten aufbewahrt wird, ſeine Andacht zu verrichten. 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/155
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/155>, abgerufen am 25.11.2024.