der Ferne sehr wohl schätzen läßt, so beträgt die ganze Höhe über 200 Fuß, bei einem Durchmesser von unten 11, oben nur 8 Fuß, am Schatten gemessen. Die Minarehs gleichen daher in der That eher Säulen als Thürmen, und doch, so künstlich sind sie erbaut, winden sich in ihrem Jn- nern drei vollkommen bequeme Treppen in einander, so daß drei Menschen zugleich hinauf steigen könnten. Ohne im Ge- ringsten zum Schwindel zu neigen, schien mir der erste Blick von oben herunter schauerlich. Die breite Kuppel, der stei- nerne Vorhof mit der schönen Fontaine in der Mitte, die ausgedehnten Jmarete oder Armenküchen, Medresseen oder Schulen und viele andere mit Bleikuppeln gedeckte Gebäude, welche zur Moschee gehören, das Alles liegt tief und un- mittelbar unter den Füßen des Beschauers. Man glaubt, die entsetzlich schlanke Steinsäule könne umschlagen, wenn man sich dem Rande der Gallerie nähert. Die Kuppel er- hebt sich bis beträchtlich über die halbe Höhe des Mina- rehs, und mag im Jnnern 120 Fuß hoch sein.
Konstantinopel, den 6. Juni 1837.
Heute früh um 9 Uhr kamen wir vor Konstantinopel an, und zogen durch das Thor Topkapu, das Thor der Kanone, vormals des heiligen Romanus, in die Hauptstadt ein. Es ist dasselbe Thor, durch welches Mahomed der Zweite in die Stadt der griechischen Kaiser drang, und vor welchem der letzte Konstantin unter einer nahestehenden Cy- presse fiel. Die Enkel der Eroberer (die, beiläufig gesagt, von dem Allen nicht viel wissen), waren zu Tausenden ge- kommen, um den Großherrn zu empfangen, welcher sich nach dem alten Seraj begab, um im Gemach, wo das Kleid des Propheten aufbewahrt wird, seine Andacht zu verrichten.
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der Ferne ſehr wohl ſchaͤtzen laͤßt, ſo betraͤgt die ganze Hoͤhe uͤber 200 Fuß, bei einem Durchmeſſer von unten 11, oben nur 8 Fuß, am Schatten gemeſſen. Die Minarehs gleichen daher in der That eher Saͤulen als Thuͤrmen, und doch, ſo kuͤnſtlich ſind ſie erbaut, winden ſich in ihrem Jn- nern drei vollkommen bequeme Treppen in einander, ſo daß drei Menſchen zugleich hinauf ſteigen koͤnnten. Ohne im Ge- ringſten zum Schwindel zu neigen, ſchien mir der erſte Blick von oben herunter ſchauerlich. Die breite Kuppel, der ſtei- nerne Vorhof mit der ſchoͤnen Fontaine in der Mitte, die ausgedehnten Jmarete oder Armenkuͤchen, Medreſſeen oder Schulen und viele andere mit Bleikuppeln gedeckte Gebaͤude, welche zur Moſchee gehoͤren, das Alles liegt tief und un- mittelbar unter den Fuͤßen des Beſchauers. Man glaubt, die entſetzlich ſchlanke Steinſaͤule koͤnne umſchlagen, wenn man ſich dem Rande der Gallerie naͤhert. Die Kuppel er- hebt ſich bis betraͤchtlich uͤber die halbe Hoͤhe des Mina- rehs, und mag im Jnnern 120 Fuß hoch ſein.
Konſtantinopel, den 6. Juni 1837.
Heute fruͤh um 9 Uhr kamen wir vor Konſtantinopel an, und zogen durch das Thor Topkapu, das Thor der Kanone, vormals des heiligen Romanus, in die Hauptſtadt ein. Es iſt daſſelbe Thor, durch welches Mahomed der Zweite in die Stadt der griechiſchen Kaiſer drang, und vor welchem der letzte Konſtantin unter einer naheſtehenden Cy- preſſe fiel. Die Enkel der Eroberer (die, beilaͤufig geſagt, von dem Allen nicht viel wiſſen), waren zu Tauſenden ge- kommen, um den Großherrn zu empfangen, welcher ſich nach dem alten Seraj begab, um im Gemach, wo das Kleid des Propheten aufbewahrt wird, ſeine Andacht zu verrichten.
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der Ferne ſehr wohl ſchaͤtzen laͤßt, ſo betraͤgt die ganze
Hoͤhe uͤber 200 Fuß, bei einem Durchmeſſer von unten 11,
oben nur 8 Fuß, am Schatten gemeſſen. Die Minarehs
gleichen daher in der That eher Saͤulen als Thuͤrmen, und
doch, ſo kuͤnſtlich ſind ſie erbaut, winden ſich in ihrem Jn-
nern drei vollkommen bequeme Treppen in einander, ſo daß
drei Menſchen zugleich hinauf ſteigen koͤnnten. Ohne im Ge-
ringſten zum Schwindel zu neigen, ſchien mir der erſte Blick
von oben herunter ſchauerlich. Die breite Kuppel, der ſtei-
nerne Vorhof mit der ſchoͤnen Fontaine in der Mitte, die
ausgedehnten Jmarete oder Armenkuͤchen, Medreſſeen oder
Schulen und viele andere mit Bleikuppeln gedeckte Gebaͤude,
welche zur Moſchee gehoͤren, das Alles liegt tief und un-
mittelbar unter den Fuͤßen des Beſchauers. Man glaubt,
die entſetzlich ſchlanke Steinſaͤule koͤnne umſchlagen, wenn
man ſich dem Rande der Gallerie naͤhert. Die Kuppel er-
hebt ſich bis betraͤchtlich uͤber die halbe Hoͤhe des Mina-
rehs, und mag im Jnnern 120 Fuß hoch ſein.
Konſtantinopel, den 6. Juni 1837.
Heute fruͤh um 9 Uhr kamen wir vor Konſtantinopel
an, und zogen durch das Thor Topkapu, das Thor der
Kanone, vormals des heiligen Romanus, in die Hauptſtadt
ein. Es iſt daſſelbe Thor, durch welches Mahomed der
Zweite in die Stadt der griechiſchen Kaiſer drang, und vor
welchem der letzte Konſtantin unter einer naheſtehenden Cy-
preſſe fiel. Die Enkel der Eroberer (die, beilaͤufig geſagt,
von dem Allen nicht viel wiſſen), waren zu Tauſenden ge-
kommen, um den Großherrn zu empfangen, welcher ſich
nach dem alten Seraj begab, um im Gemach, wo das
Kleid des Propheten aufbewahrt wird, ſeine Andacht zu
verrichten.
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/155>, abgerufen am 25.11.2024.
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