dessen Wände zum großen Theil noch heute mit dem schön- sten Marmor und Jaspis bekleidet sind; die Decken aber sind eingestürzt und die schönen Porzellan-Tafeln mit ver- goldeten Arabesken, welche die Wände schmückten, fast ganz heruntergerissen. Das Gebäude ist so solide und so massiv erbaut, daß es wohl noch Jahrtausende widerstehen kann; es ist aber nicht sehr groß, und es geht hier wie im Se- raj zu Konstantinopel, wo man unter lauter Kiosken ver- geblich nach einem eigentlichen Hauptgebäude sucht. Das Seraj von Adrianopel hat dagegen nicht jenes gefängniß- ähnliche Aussehen, die Sultane, welche es bewohnten, wa- ren dem Moslem noch nicht unsichtbar geworden.
Von den Gebäuden des Harem sind die Mauern aus Fachwerk eingestürzt und die bleiernen Dächer und Kuppeln scheinen schier in der Luft zu schweben. Dieser Theil des Serajs wird gegenwärtig durch Niemand anders, als einen Hirsch bewohnt, der die Besuchenden sehr unfreundlich em- pfängt.
Nicht weit vom Seraj erhebt sich unter Bäumen die schöne Moschee Bajasids, den die Türken Sultan "Blitz" (Jilderim) nennen. Jn einem Winkel als Eckstein neben dem Thor fand ich den Torso eines kolossalen Standbildes im schönsten dunkelrothen weiß gesprenkelten Porphyr ge- arbeitet. Es war Brust und Leib eines Mannes in der römischen Toga; vielleicht war es Kaiser Hadrian, den der "Blitz" dahin geschleudert.
Aber hoch über alle die vielen Moscheen Edrehnehs er- hebt sich die Kuppel Sultan Selims mit den vier schlanken Minarehs. Jch fand den Durchmesser der Wölbung hundert Fuß, also fast so groß, als irgend eine in Konstantinopel, selbst die Aya-Sophia nicht ausgenommen. Zwei hundert und fünf und vierzig Stufen führten mich auf den ober- sten der drei Umgänge oder kranzförmigen Balkone eines der Minarehs. Die Stufen maßen 71/2 Decimalzoll, und da die Spitze des Minarehs den obern Kranz noch um ein Fünftel der ganzen Höhe überragt, wie sich dies aus
deſſen Waͤnde zum großen Theil noch heute mit dem ſchoͤn- ſten Marmor und Jaspis bekleidet ſind; die Decken aber ſind eingeſtuͤrzt und die ſchoͤnen Porzellan-Tafeln mit ver- goldeten Arabesken, welche die Waͤnde ſchmuͤckten, faſt ganz heruntergeriſſen. Das Gebaͤude iſt ſo ſolide und ſo maſſiv erbaut, daß es wohl noch Jahrtauſende widerſtehen kann; es iſt aber nicht ſehr groß, und es geht hier wie im Se- raj zu Konſtantinopel, wo man unter lauter Kiosken ver- geblich nach einem eigentlichen Hauptgebaͤude ſucht. Das Seraj von Adrianopel hat dagegen nicht jenes gefaͤngniß- aͤhnliche Ausſehen, die Sultane, welche es bewohnten, wa- ren dem Moslem noch nicht unſichtbar geworden.
Von den Gebaͤuden des Harem ſind die Mauern aus Fachwerk eingeſtuͤrzt und die bleiernen Daͤcher und Kuppeln ſcheinen ſchier in der Luft zu ſchweben. Dieſer Theil des Serajs wird gegenwaͤrtig durch Niemand anders, als einen Hirſch bewohnt, der die Beſuchenden ſehr unfreundlich em- pfaͤngt.
Nicht weit vom Seraj erhebt ſich unter Baͤumen die ſchoͤne Moſchee Bajaſids, den die Tuͤrken Sultan „Blitz“ (Jilderim) nennen. Jn einem Winkel als Eckſtein neben dem Thor fand ich den Torſo eines koloſſalen Standbildes im ſchoͤnſten dunkelrothen weiß geſprenkelten Porphyr ge- arbeitet. Es war Bruſt und Leib eines Mannes in der roͤmiſchen Toga; vielleicht war es Kaiſer Hadrian, den der „Blitz“ dahin geſchleudert.
Aber hoch uͤber alle die vielen Moſcheen Edrehnehs er- hebt ſich die Kuppel Sultan Selims mit den vier ſchlanken Minarehs. Jch fand den Durchmeſſer der Woͤlbung hundert Fuß, alſo faſt ſo groß, als irgend eine in Konſtantinopel, ſelbſt die Aya-Sophia nicht ausgenommen. Zwei hundert und fuͤnf und vierzig Stufen fuͤhrten mich auf den ober- ſten der drei Umgaͤnge oder kranzfoͤrmigen Balkone eines der Minarehs. Die Stufen maßen 7½ Decimalzoll, und da die Spitze des Minarehs den obern Kranz noch um ein Fuͤnftel der ganzen Hoͤhe uͤberragt, wie ſich dies aus
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deſſen Waͤnde zum großen Theil noch heute mit dem ſchoͤn-
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ſind eingeſtuͤrzt und die ſchoͤnen Porzellan-Tafeln mit ver-
goldeten Arabesken, welche die Waͤnde ſchmuͤckten, faſt ganz
heruntergeriſſen. Das Gebaͤude iſt ſo ſolide und ſo maſſiv
erbaut, daß es wohl noch Jahrtauſende widerſtehen kann;
es iſt aber nicht ſehr groß, und es geht hier wie im Se-
raj zu Konſtantinopel, wo man unter lauter Kiosken ver-
geblich nach einem eigentlichen Hauptgebaͤude ſucht. Das
Seraj von Adrianopel hat dagegen nicht jenes gefaͤngniß-
aͤhnliche Ausſehen, die Sultane, welche es bewohnten, wa-
ren dem Moslem noch nicht unſichtbar geworden.
Von den Gebaͤuden des Harem ſind die Mauern aus
Fachwerk eingeſtuͤrzt und die bleiernen Daͤcher und Kuppeln
ſcheinen ſchier in der Luft zu ſchweben. Dieſer Theil des
Serajs wird gegenwaͤrtig durch Niemand anders, als einen
Hirſch bewohnt, der die Beſuchenden ſehr unfreundlich em-
pfaͤngt.
Nicht weit vom Seraj erhebt ſich unter Baͤumen die
ſchoͤne Moſchee Bajaſids, den die Tuͤrken Sultan „Blitz“
(Jilderim) nennen. Jn einem Winkel als Eckſtein neben
dem Thor fand ich den Torſo eines koloſſalen Standbildes
im ſchoͤnſten dunkelrothen weiß geſprenkelten Porphyr ge-
arbeitet. Es war Bruſt und Leib eines Mannes in der
roͤmiſchen Toga; vielleicht war es Kaiſer Hadrian, den
der „Blitz“ dahin geſchleudert.
Aber hoch uͤber alle die vielen Moſcheen Edrehnehs er-
hebt ſich die Kuppel Sultan Selims mit den vier ſchlanken
Minarehs. Jch fand den Durchmeſſer der Woͤlbung hundert
Fuß, alſo faſt ſo groß, als irgend eine in Konſtantinopel,
ſelbſt die Aya-Sophia nicht ausgenommen. Zwei hundert
und fuͤnf und vierzig Stufen fuͤhrten mich auf den ober-
ſten der drei Umgaͤnge oder kranzfoͤrmigen Balkone eines
der Minarehs. Die Stufen maßen 7½ Decimalzoll, und
da die Spitze des Minarehs den obern Kranz noch um
ein Fuͤnftel der ganzen Hoͤhe uͤberragt, wie ſich dies aus
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/154>, abgerufen am 25.11.2024.
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