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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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Se. Hoheit saßen im Zelt und rauchten, wir Andern kauer-
ten an der Erde herum. Hierauf fand die feierliche Ein-
kleidung von sechzig Notabeln von Schumla statt; der
Großherr setzte sich unter einen prachtvollen Baldachin auf
einen Divan, wir Großen des Reichs standen zu beiden
Seiten. Nun wurden zuerst die Mollahs, einige Ayans
aus der Umgegend, dann die bedeutenden Moslemin und
Rajahs der Stadt, erstere mit dem Zusatz Duwardschinis
"der Gebete für dich macht", einzeln vorgerufen; der Cere-
monienmeister hing ihnen weite Mäntel von verschiedener
Farbe um, der Beglückte küßte das Kleid, berührte dann
mit der Hand die Erde, Brust und Stirn, und verfügte
sich hierauf, stets das Antlitz gegen den Padischah, zurück,
eine Retirade, die nicht ohne etwas Stolpern ablief. Der
Großherr hielt nun durch seinen ersten Sekretair, Wassaf-
Effendi, eine Rede, in welcher er den Versammelten sagte,
daß er selbst gekommen sei, um sich von ihrem Zustande zu
überzeugen, -- daß er ihre Stadt und Festung wieder auf-
zubauen und Ordnung und Wohlstand im Lande selbst zu
befestigen gewilligt sei, -- daß Gesetz und Recht nicht nur
in der Hauptstadt, sondern im ganzen Umfange seines Reichs
gehandhabt werden solle. "Jhr Griechen", sagte er, "ihr
Armenier, ihr Juden seid alle Diener Gottes und meine
Unterthanen so gut, wie die Moslems; ihr seid verschie-
den im Glauben, aber euch Alle schützt das Gesetz und mein
kaiserlicher Wille. Zahlt die Steuern, die ich euch aufer-
lege; die Zwecke, zu denen sie verwendet werden, sind eure
Sicherheit und euer Wohl." Zum Schluß fragte der Sul-
tan, ob Jemand unter den Rajahs Beschwerden habe, und
ob ihre Kirchen Ausbesserung bedürfen.

Obwohl nun viel daran fehlt, daß in der Ausübung
schon überall solche Gerechtigkeit gehandhabt würde, so ist
doch das Princip anerkannt, und das ist immer schon sehr
viel; die Gewalt der Umstände wird das Uebrige thun.

Jn diesem Lande, wo der geringe Mann gewöhnt ist,
Alles umsonst, als Frohndienst für den Mächtigen zu thun,

Se. Hoheit ſaßen im Zelt und rauchten, wir Andern kauer-
ten an der Erde herum. Hierauf fand die feierliche Ein-
kleidung von ſechzig Notabeln von Schumla ſtatt; der
Großherr ſetzte ſich unter einen prachtvollen Baldachin auf
einen Divan, wir Großen des Reichs ſtanden zu beiden
Seiten. Nun wurden zuerſt die Mollahs, einige Ayans
aus der Umgegend, dann die bedeutenden Moslemin und
Rajahs der Stadt, erſtere mit dem Zuſatz Duwardſchinis
„der Gebete fuͤr dich macht“, einzeln vorgerufen; der Cere-
monienmeiſter hing ihnen weite Maͤntel von verſchiedener
Farbe um, der Begluͤckte kuͤßte das Kleid, beruͤhrte dann
mit der Hand die Erde, Bruſt und Stirn, und verfuͤgte
ſich hierauf, ſtets das Antlitz gegen den Padiſchah, zuruͤck,
eine Retirade, die nicht ohne etwas Stolpern ablief. Der
Großherr hielt nun durch ſeinen erſten Sekretair, Waſſaf-
Effendi, eine Rede, in welcher er den Verſammelten ſagte,
daß er ſelbſt gekommen ſei, um ſich von ihrem Zuſtande zu
uͤberzeugen, — daß er ihre Stadt und Feſtung wieder auf-
zubauen und Ordnung und Wohlſtand im Lande ſelbſt zu
befeſtigen gewilligt ſei, — daß Geſetz und Recht nicht nur
in der Hauptſtadt, ſondern im ganzen Umfange ſeines Reichs
gehandhabt werden ſolle. „Jhr Griechen“, ſagte er, „ihr
Armenier, ihr Juden ſeid alle Diener Gottes und meine
Unterthanen ſo gut, wie die Moslems; ihr ſeid verſchie-
den im Glauben, aber euch Alle ſchuͤtzt das Geſetz und mein
kaiſerlicher Wille. Zahlt die Steuern, die ich euch aufer-
lege; die Zwecke, zu denen ſie verwendet werden, ſind eure
Sicherheit und euer Wohl.“ Zum Schluß fragte der Sul-
tan, ob Jemand unter den Rajahs Beſchwerden habe, und
ob ihre Kirchen Ausbeſſerung beduͤrfen.

Obwohl nun viel daran fehlt, daß in der Ausuͤbung
ſchon uͤberall ſolche Gerechtigkeit gehandhabt wuͤrde, ſo iſt
doch das Princip anerkannt, und das iſt immer ſchon ſehr
viel; die Gewalt der Umſtaͤnde wird das Uebrige thun.

Jn dieſem Lande, wo der geringe Mann gewoͤhnt iſt,
Alles umſonſt, als Frohndienſt fuͤr den Maͤchtigen zu thun,

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[131/0141] Se. Hoheit ſaßen im Zelt und rauchten, wir Andern kauer- ten an der Erde herum. Hierauf fand die feierliche Ein- kleidung von ſechzig Notabeln von Schumla ſtatt; der Großherr ſetzte ſich unter einen prachtvollen Baldachin auf einen Divan, wir Großen des Reichs ſtanden zu beiden Seiten. Nun wurden zuerſt die Mollahs, einige Ayans aus der Umgegend, dann die bedeutenden Moslemin und Rajahs der Stadt, erſtere mit dem Zuſatz Duwardſchinis „der Gebete fuͤr dich macht“, einzeln vorgerufen; der Cere- monienmeiſter hing ihnen weite Maͤntel von verſchiedener Farbe um, der Begluͤckte kuͤßte das Kleid, beruͤhrte dann mit der Hand die Erde, Bruſt und Stirn, und verfuͤgte ſich hierauf, ſtets das Antlitz gegen den Padiſchah, zuruͤck, eine Retirade, die nicht ohne etwas Stolpern ablief. Der Großherr hielt nun durch ſeinen erſten Sekretair, Waſſaf- Effendi, eine Rede, in welcher er den Verſammelten ſagte, daß er ſelbſt gekommen ſei, um ſich von ihrem Zuſtande zu uͤberzeugen, — daß er ihre Stadt und Feſtung wieder auf- zubauen und Ordnung und Wohlſtand im Lande ſelbſt zu befeſtigen gewilligt ſei, — daß Geſetz und Recht nicht nur in der Hauptſtadt, ſondern im ganzen Umfange ſeines Reichs gehandhabt werden ſolle. „Jhr Griechen“, ſagte er, „ihr Armenier, ihr Juden ſeid alle Diener Gottes und meine Unterthanen ſo gut, wie die Moslems; ihr ſeid verſchie- den im Glauben, aber euch Alle ſchuͤtzt das Geſetz und mein kaiſerlicher Wille. Zahlt die Steuern, die ich euch aufer- lege; die Zwecke, zu denen ſie verwendet werden, ſind eure Sicherheit und euer Wohl.“ Zum Schluß fragte der Sul- tan, ob Jemand unter den Rajahs Beſchwerden habe, und ob ihre Kirchen Ausbeſſerung beduͤrfen. Obwohl nun viel daran fehlt, daß in der Ausuͤbung ſchon uͤberall ſolche Gerechtigkeit gehandhabt wuͤrde, ſo iſt doch das Princip anerkannt, und das iſt immer ſchon ſehr viel; die Gewalt der Umſtaͤnde wird das Uebrige thun. Jn dieſem Lande, wo der geringe Mann gewoͤhnt iſt, Alles umſonſt, als Frohndienſt fuͤr den Maͤchtigen zu thun,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/141>, abgerufen am 25.11.2024.