Jn Bukarest erblickt man die elendesten Hütten neben Pallästen im neuesten Styl und alten Kirchen von byzan- tinischer Bauart; die bitterste Armuth zeigt sich neben dem üppigsten Luxus, und Asien und Europa scheinen sich in dieser Stadt zu berühren.
2. Zustand der Wallachei. -- Die Spuren langer Knecht- schaft. -- Consulate. -- Geringe Einwirkung der Re- gierung auf das Land. -- Vergleich mit Serbien.
Die Wallachei ist seit fünf Jahren erst in die Reihe christlicher Länder getreten, und wenn dies zwar unter der Bedingung einer doppelten Abhängigkeit geschah, so hat sie doch das Recht erlangt, ihre innere Verwaltung nach eige- nem Ermessen zu regeln. Mit Erwartung blickt daher Eu- ropa auf die Anfänge eines besseren Zustandes, welcher sich in einem kleinem Zeitraume zwar, aber nach großen Um- wälzungen entwickelt haben möchte.
Die Physiognomie dieses Landes trägt die furchtbar- sten Spuren einer langen Knechtschaft. Zur Hälfte noch in Trümmern und Schutthaufen liegen die Städte ohne Mauern, ohne Thore, denn jede Gegenwehr war bisher Verbrechen gewesen. Nachdem der Widerstand sich so oft fruchtlos gezeigt, nachdem er so oft verderblich geworden war, dachte der Wallache an keine andere Rettung mehr, als an die Flucht. Sobald eine türkische Schaar über die Donau herangezogen kam, entwich wer etwas zu verlieren hatte in die Wälder nach Ungarn oder nach Siebenbürgen. Die Bojaren gingen stets mit diesem Beispiele voran, und in vierzig Jahren hatte die wallachische Bevölkerung sieben- mal die Flucht ergriffen.
Die Ortschaften dieses Landes liegen in Thälern, gleich- sam im Versteck, denn wer zurückblieb, suchte Schutz in seiner Armuth, seinem Elend und in der Verborgenheit.
Jn Bukareſt erblickt man die elendeſten Huͤtten neben Pallaͤſten im neueſten Styl und alten Kirchen von byzan- tiniſcher Bauart; die bitterſte Armuth zeigt ſich neben dem uͤppigſten Luxus, und Aſien und Europa ſcheinen ſich in dieſer Stadt zu beruͤhren.
2. Zuſtand der Wallachei. — Die Spuren langer Knecht- ſchaft. — Conſulate. — Geringe Einwirkung der Re- gierung auf das Land. — Vergleich mit Serbien.
Die Wallachei iſt ſeit fuͤnf Jahren erſt in die Reihe chriſtlicher Laͤnder getreten, und wenn dies zwar unter der Bedingung einer doppelten Abhaͤngigkeit geſchah, ſo hat ſie doch das Recht erlangt, ihre innere Verwaltung nach eige- nem Ermeſſen zu regeln. Mit Erwartung blickt daher Eu- ropa auf die Anfaͤnge eines beſſeren Zuſtandes, welcher ſich in einem kleinem Zeitraume zwar, aber nach großen Um- waͤlzungen entwickelt haben moͤchte.
Die Phyſiognomie dieſes Landes traͤgt die furchtbar- ſten Spuren einer langen Knechtſchaft. Zur Haͤlfte noch in Truͤmmern und Schutthaufen liegen die Staͤdte ohne Mauern, ohne Thore, denn jede Gegenwehr war bisher Verbrechen geweſen. Nachdem der Widerſtand ſich ſo oft fruchtlos gezeigt, nachdem er ſo oft verderblich geworden war, dachte der Wallache an keine andere Rettung mehr, als an die Flucht. Sobald eine tuͤrkiſche Schaar uͤber die Donau herangezogen kam, entwich wer etwas zu verlieren hatte in die Waͤlder nach Ungarn oder nach Siebenbuͤrgen. Die Bojaren gingen ſtets mit dieſem Beiſpiele voran, und in vierzig Jahren hatte die wallachiſche Bevoͤlkerung ſieben- mal die Flucht ergriffen.
Die Ortſchaften dieſes Landes liegen in Thaͤlern, gleich- ſam im Verſteck, denn wer zuruͤckblieb, ſuchte Schutz in ſeiner Armuth, ſeinem Elend und in der Verborgenheit.
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Jn Bukareſt erblickt man die elendeſten Huͤtten neben
Pallaͤſten im neueſten Styl und alten Kirchen von byzan-
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uͤppigſten Luxus, und Aſien und Europa ſcheinen ſich in
dieſer Stadt zu beruͤhren.
2.
Zuſtand der Wallachei. — Die Spuren langer Knecht-
ſchaft. — Conſulate. — Geringe Einwirkung der Re-
gierung auf das Land. — Vergleich mit Serbien.
Die Wallachei iſt ſeit fuͤnf Jahren erſt in die Reihe
chriſtlicher Laͤnder getreten, und wenn dies zwar unter der
Bedingung einer doppelten Abhaͤngigkeit geſchah, ſo hat ſie
doch das Recht erlangt, ihre innere Verwaltung nach eige-
nem Ermeſſen zu regeln. Mit Erwartung blickt daher Eu-
ropa auf die Anfaͤnge eines beſſeren Zuſtandes, welcher ſich
in einem kleinem Zeitraume zwar, aber nach großen Um-
waͤlzungen entwickelt haben moͤchte.
Die Phyſiognomie dieſes Landes traͤgt die furchtbar-
ſten Spuren einer langen Knechtſchaft. Zur Haͤlfte noch
in Truͤmmern und Schutthaufen liegen die Staͤdte ohne
Mauern, ohne Thore, denn jede Gegenwehr war bisher
Verbrechen geweſen. Nachdem der Widerſtand ſich ſo oft
fruchtlos gezeigt, nachdem er ſo oft verderblich geworden
war, dachte der Wallache an keine andere Rettung mehr,
als an die Flucht. Sobald eine tuͤrkiſche Schaar uͤber die
Donau herangezogen kam, entwich wer etwas zu verlieren
hatte in die Waͤlder nach Ungarn oder nach Siebenbuͤrgen.
Die Bojaren gingen ſtets mit dieſem Beiſpiele voran, und
in vierzig Jahren hatte die wallachiſche Bevoͤlkerung ſieben-
mal die Flucht ergriffen.
Die Ortſchaften dieſes Landes liegen in Thaͤlern, gleich-
ſam im Verſteck, denn wer zuruͤckblieb, ſuchte Schutz in
ſeiner Armuth, ſeinem Elend und in der Verborgenheit.
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/14>, abgerufen am 23.11.2024.
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