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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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einen kleinen Compaß an dem Knopf ihres Dolches führen,
schließt er einen Augenblick seine Ohren mit den Händen,
und spricht dann mit bewegten Lippen aber lautlos seinen
Vers aus dem Koran; darauf verbeugt er sich, fällt auf
beide Kniee und berührt die Erde mehrmals mit der Stirn.
Hierauf erhebt sich der Moslem, hält beide Hände vor sich,
wie wenn er ein großes Buch trüge, wirft sich abermals
nieder, erhebt sich und fährt endlich mit beiden Händen
über das Gesicht, als ob er es in die alten Falten bringen
und jeden Schein von frommer Schaulegung verwischen
wollte. Er macht eine kleine Verbeugung zu beiden Sei-
ten gegen die zwei Engel, die neben jedem Betenden stehen,
und ist fertig.

Schon gegen Abend hatten wir fast den halben Weg
zurückgelegt, als plötzlich eine kleine Buraska aus Norden
kam. Da ich gar nichts vom Seewesen verstehe, so er-
laube ich mir auch kein Urtheil über das Getümmel von
schreienden Menschen und flatternden Seegeln, doch habe
ich einen starken Verdacht, daß unsere Manöver nicht durch-
aus schulgerecht waren. Sämmtliche Matrosen waren jun-
ges Volk und hatten zum Theil noch nie eine Reise ge-
macht, und selbst der Großadmiral, ein trefflicher, braver
Mann, hat nur insofern seine Carriere in der Marine ge-
macht, als er, bevor er Pascha wurde, ein Kaik im Hafen
von Konstantinopel ruderte.

Bald eilten indeß die Dampfschiffe herbei, nahmen uns
unter beide Arme und brachten uns glücklich in den Hafen
von Varna. Der Moment des Ausschiffens gewährte einen
schönen Anblick. Sobald der Großherr sich in sein Kaik
begeben hatte, feuerte die Batterie der Festung und der
Fregatte; bunte Wimpel wehten von allen Masten, und die
Schiffsmannschaft in ihrer rothen Uniform paradirte auf
den Raaen des Schiffs bis zur schwindelnden Höhe des
Mastes.

Jch bin im erzbischöflichen Pallast einquartiert, worun-
ter Du Dir eine sehr bescheidene Bretterbude vorzustellen

einen kleinen Compaß an dem Knopf ihres Dolches fuͤhren,
ſchließt er einen Augenblick ſeine Ohren mit den Haͤnden,
und ſpricht dann mit bewegten Lippen aber lautlos ſeinen
Vers aus dem Koran; darauf verbeugt er ſich, faͤllt auf
beide Kniee und beruͤhrt die Erde mehrmals mit der Stirn.
Hierauf erhebt ſich der Moslem, haͤlt beide Haͤnde vor ſich,
wie wenn er ein großes Buch truͤge, wirft ſich abermals
nieder, erhebt ſich und faͤhrt endlich mit beiden Haͤnden
uͤber das Geſicht, als ob er es in die alten Falten bringen
und jeden Schein von frommer Schaulegung verwiſchen
wollte. Er macht eine kleine Verbeugung zu beiden Sei-
ten gegen die zwei Engel, die neben jedem Betenden ſtehen,
und iſt fertig.

Schon gegen Abend hatten wir faſt den halben Weg
zuruͤckgelegt, als ploͤtzlich eine kleine Buraska aus Norden
kam. Da ich gar nichts vom Seeweſen verſtehe, ſo er-
laube ich mir auch kein Urtheil uͤber das Getuͤmmel von
ſchreienden Menſchen und flatternden Seegeln, doch habe
ich einen ſtarken Verdacht, daß unſere Manoͤver nicht durch-
aus ſchulgerecht waren. Saͤmmtliche Matroſen waren jun-
ges Volk und hatten zum Theil noch nie eine Reiſe ge-
macht, und ſelbſt der Großadmiral, ein trefflicher, braver
Mann, hat nur inſofern ſeine Carriere in der Marine ge-
macht, als er, bevor er Paſcha wurde, ein Kaik im Hafen
von Konſtantinopel ruderte.

Bald eilten indeß die Dampfſchiffe herbei, nahmen uns
unter beide Arme und brachten uns gluͤcklich in den Hafen
von Varna. Der Moment des Ausſchiffens gewaͤhrte einen
ſchoͤnen Anblick. Sobald der Großherr ſich in ſein Kaik
begeben hatte, feuerte die Batterie der Feſtung und der
Fregatte; bunte Wimpel wehten von allen Maſten, und die
Schiffsmannſchaft in ihrer rothen Uniform paradirte auf
den Raaen des Schiffs bis zur ſchwindelnden Hoͤhe des
Maſtes.

Jch bin im erzbiſchoͤflichen Pallaſt einquartiert, worun-
ter Du Dir eine ſehr beſcheidene Bretterbude vorzuſtellen

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[127/0137] einen kleinen Compaß an dem Knopf ihres Dolches fuͤhren, ſchließt er einen Augenblick ſeine Ohren mit den Haͤnden, und ſpricht dann mit bewegten Lippen aber lautlos ſeinen Vers aus dem Koran; darauf verbeugt er ſich, faͤllt auf beide Kniee und beruͤhrt die Erde mehrmals mit der Stirn. Hierauf erhebt ſich der Moslem, haͤlt beide Haͤnde vor ſich, wie wenn er ein großes Buch truͤge, wirft ſich abermals nieder, erhebt ſich und faͤhrt endlich mit beiden Haͤnden uͤber das Geſicht, als ob er es in die alten Falten bringen und jeden Schein von frommer Schaulegung verwiſchen wollte. Er macht eine kleine Verbeugung zu beiden Sei- ten gegen die zwei Engel, die neben jedem Betenden ſtehen, und iſt fertig. Schon gegen Abend hatten wir faſt den halben Weg zuruͤckgelegt, als ploͤtzlich eine kleine Buraska aus Norden kam. Da ich gar nichts vom Seeweſen verſtehe, ſo er- laube ich mir auch kein Urtheil uͤber das Getuͤmmel von ſchreienden Menſchen und flatternden Seegeln, doch habe ich einen ſtarken Verdacht, daß unſere Manoͤver nicht durch- aus ſchulgerecht waren. Saͤmmtliche Matroſen waren jun- ges Volk und hatten zum Theil noch nie eine Reiſe ge- macht, und ſelbſt der Großadmiral, ein trefflicher, braver Mann, hat nur inſofern ſeine Carriere in der Marine ge- macht, als er, bevor er Paſcha wurde, ein Kaik im Hafen von Konſtantinopel ruderte. Bald eilten indeß die Dampfſchiffe herbei, nahmen uns unter beide Arme und brachten uns gluͤcklich in den Hafen von Varna. Der Moment des Ausſchiffens gewaͤhrte einen ſchoͤnen Anblick. Sobald der Großherr ſich in ſein Kaik begeben hatte, feuerte die Batterie der Feſtung und der Fregatte; bunte Wimpel wehten von allen Maſten, und die Schiffsmannſchaft in ihrer rothen Uniform paradirte auf den Raaen des Schiffs bis zur ſchwindelnden Hoͤhe des Maſtes. Jch bin im erzbiſchoͤflichen Pallaſt einquartiert, worun- ter Du Dir eine ſehr beſcheidene Bretterbude vorzuſtellen

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/137>, abgerufen am 21.11.2024.