Jch schrieb Dir im vorigen Monat, daß ich vom Groß- herrn den Befehl erhalten, ihn auf einer Reise durch Bul- garien und Rumelien zu begleiten. Heute benutze ich die erste freie Stunde, um Dir einige Nachricht über diese Reise zu geben, und obgleich ich meinen Brief fürerst nicht absenden kann, so will ich doch wenigstens fertig sein, um die erste Gelegenheit zu benutzen, mit der es geschehen kann.
Am 24. April, 101/4 Uhr Vormittags hatte die Eschref Saat oder die glückliche Stunde für den Antritt der Reise Sr. Hoheit des Großherrn geschlagen; die Gelehrten hat- ten diese Stunde richtig genug bestimmt, denn das regnichte Wetter der letzten Tage war durch den heitersten Himmel ersetzt, und der Südwind, den wir für unsere Fregatte nö- thig hatten, blies frisch von den asiatischen Bergen herun- ter. Jch hatte mich schon Abends zuvor an Bord der "Rusrethieh" oder "Siegreichen" begeben, welche den Ka- nal bis Bujukdere hinaufgegangen war. Um nicht als Franke in der Umgebung des Sultans anstößig aufzufal- len, hatte ich die rothe Mütze und einen türkischen Anzug angelegt, welchen der Großherr mir zugeschickt.
Um Mittag sahen wir das grüne Kaik des Sultans mit seinen vierzehn Paar Ruderern schnell wie einen Delphin heranschießen; die Marinesoldaten traten unters Gewehr; die Musik spielte. Die Anker waren fast gelichtet, die See- gel halb entfaltet. Se. Hoheit trugen eine scharlachrothe Husaren-Uniform mit goldenen Schnüren, den rothen Feß, weiße Beinkleider mit Goldtressen, und schwarze Sammet- stiefeln. Sein Gefolge trug blaue Husaren-Uniformen. Man hatte mir meinen Platz in der Parade zwischen den Pascha's und den Obersten angewiesen, wo ich mit den Uebrigen mein Taminah oder den Gruß mit der Hand zur
28. Reiſe des Großherrn.
Varna, den 2. Mai 1837.
Jch ſchrieb Dir im vorigen Monat, daß ich vom Groß- herrn den Befehl erhalten, ihn auf einer Reiſe durch Bul- garien und Rumelien zu begleiten. Heute benutze ich die erſte freie Stunde, um Dir einige Nachricht uͤber dieſe Reiſe zu geben, und obgleich ich meinen Brief fuͤrerſt nicht abſenden kann, ſo will ich doch wenigſtens fertig ſein, um die erſte Gelegenheit zu benutzen, mit der es geſchehen kann.
Am 24. April, 10¼ Uhr Vormittags hatte die Eschref Saat oder die gluͤckliche Stunde fuͤr den Antritt der Reiſe Sr. Hoheit des Großherrn geſchlagen; die Gelehrten hat- ten dieſe Stunde richtig genug beſtimmt, denn das regnichte Wetter der letzten Tage war durch den heiterſten Himmel erſetzt, und der Suͤdwind, den wir fuͤr unſere Fregatte noͤ- thig hatten, blies friſch von den aſiatiſchen Bergen herun- ter. Jch hatte mich ſchon Abends zuvor an Bord der „Rusrethieh“ oder „Siegreichen“ begeben, welche den Ka- nal bis Bujukdere hinaufgegangen war. Um nicht als Franke in der Umgebung des Sultans anſtoͤßig aufzufal- len, hatte ich die rothe Muͤtze und einen tuͤrkiſchen Anzug angelegt, welchen der Großherr mir zugeſchickt.
Um Mittag ſahen wir das gruͤne Kaik des Sultans mit ſeinen vierzehn Paar Ruderern ſchnell wie einen Delphin heranſchießen; die Marineſoldaten traten unters Gewehr; die Muſik ſpielte. Die Anker waren faſt gelichtet, die See- gel halb entfaltet. Se. Hoheit trugen eine ſcharlachrothe Huſaren-Uniform mit goldenen Schnuͤren, den rothen Feß, weiße Beinkleider mit Goldtreſſen, und ſchwarze Sammet- ſtiefeln. Sein Gefolge trug blaue Huſaren-Uniformen. Man hatte mir meinen Platz in der Parade zwiſchen den Paſcha's und den Oberſten angewieſen, wo ich mit den Uebrigen mein Taminah oder den Gruß mit der Hand zur
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28.
Reiſe des Großherrn.
Varna, den 2. Mai 1837.
Jch ſchrieb Dir im vorigen Monat, daß ich vom Groß-
herrn den Befehl erhalten, ihn auf einer Reiſe durch Bul-
garien und Rumelien zu begleiten. Heute benutze ich die
erſte freie Stunde, um Dir einige Nachricht uͤber dieſe
Reiſe zu geben, und obgleich ich meinen Brief fuͤrerſt nicht
abſenden kann, ſo will ich doch wenigſtens fertig ſein, um
die erſte Gelegenheit zu benutzen, mit der es geſchehen kann.
Am 24. April, 10¼ Uhr Vormittags hatte die Eschref
Saat oder die gluͤckliche Stunde fuͤr den Antritt der Reiſe
Sr. Hoheit des Großherrn geſchlagen; die Gelehrten hat-
ten dieſe Stunde richtig genug beſtimmt, denn das regnichte
Wetter der letzten Tage war durch den heiterſten Himmel
erſetzt, und der Suͤdwind, den wir fuͤr unſere Fregatte noͤ-
thig hatten, blies friſch von den aſiatiſchen Bergen herun-
ter. Jch hatte mich ſchon Abends zuvor an Bord der
„Rusrethieh“ oder „Siegreichen“ begeben, welche den Ka-
nal bis Bujukdere hinaufgegangen war. Um nicht als
Franke in der Umgebung des Sultans anſtoͤßig aufzufal-
len, hatte ich die rothe Muͤtze und einen tuͤrkiſchen Anzug
angelegt, welchen der Großherr mir zugeſchickt.
Um Mittag ſahen wir das gruͤne Kaik des Sultans
mit ſeinen vierzehn Paar Ruderern ſchnell wie einen Delphin
heranſchießen; die Marineſoldaten traten unters Gewehr;
die Muſik ſpielte. Die Anker waren faſt gelichtet, die See-
gel halb entfaltet. Se. Hoheit trugen eine ſcharlachrothe
Huſaren-Uniform mit goldenen Schnuͤren, den rothen Feß,
weiße Beinkleider mit Goldtreſſen, und ſchwarze Sammet-
ſtiefeln. Sein Gefolge trug blaue Huſaren-Uniformen.
Man hatte mir meinen Platz in der Parade zwiſchen den
Paſcha's und den Oberſten angewieſen, wo ich mit den
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/135>, abgerufen am 21.11.2024.
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