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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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schlage, verkenne ich keinesweges die großen Schwierigkei-
ten, die ihrer Ausführung da entgegenstehen, wo Religion
und Sitte jeder Neuerung und jeder Einmischung in häus-
liche Angelegenheiten so sehr widerstreben. Auch kann man
dabei nur mit großer Vorsicht und allmählig fortschreitend
zu Werke gehen. Ein erster Versuch müßte zu Konstanti-
nopel selbst, unter den Augen der Regierung, zu einer Zeit
gemacht werden, wo man von der Pest sagt, daß sie auf-
gehört habe, obwohl sie eigentlich nur im Verborgenen fort-
besteht.

Man müßte damit anfangen, Spitäler für die Kran-
ken, und Wohnungen für die Familien einzurichten, deren
einzelne Glieder angesteckt und wo deshalb fernere Erkran-
kungen wahrscheinlich geworden sind. Die ungeheueren
Kasernen von Daud-Pascha und Ramis-Tschiftlik, welche
jetzt leer stehen, könnten viele Tausende dieser Unglücklichen
aufnehmen, welche jetzt unter Zelten und Schuppen mit
Kälte und Nahrungssorgen kämpfen. Jhr Elend, indem
es den Keim der Krankheit fortpflanzt und ihre Verhee-
rungen vermehrt, verleitet die Familien, lieber die Pestfälle
zu verheimlichen, als sich so großen Entbehrungen auszu-
setzen.

Es ist höchst wichtig, der Bevölkerung die Wohlthaten
der neuen Jnstitutionen recht anschaulich zu machen. Zu
Anfang kann man es Jedem freistellen, ob er den Beistand
benutzen will, welchen die Regierung ihm bietet. Aber die
Familie, welche der Behörde einen Pestfall anzeigt, muß
sogleich aufgenommen, verpflegt und ernährt, ihre Woh-
nung und ihre Kleider gereinigt werden, ohne daß ihr Ko-
sten daraus erwachsen. Die Unbemittelten müßten, nach-
dem die gesetzlich festzustellende Reinigungszeit beendet, mit
einer kleinen Unterstützung entlassen werden. Solche Vor-
theile werden bald, wenigstens einem Theile, der Bevölke-
rung die Augen öffnen, und nun kann man befehlen, daß
jeder Hausvater bei Strafe einen Pestfall in seiner Familie
oder in seiner Nachbarschaft der Behörde anzeigen muß.

ſchlage, verkenne ich keinesweges die großen Schwierigkei-
ten, die ihrer Ausfuͤhrung da entgegenſtehen, wo Religion
und Sitte jeder Neuerung und jeder Einmiſchung in haͤus-
liche Angelegenheiten ſo ſehr widerſtreben. Auch kann man
dabei nur mit großer Vorſicht und allmaͤhlig fortſchreitend
zu Werke gehen. Ein erſter Verſuch muͤßte zu Konſtanti-
nopel ſelbſt, unter den Augen der Regierung, zu einer Zeit
gemacht werden, wo man von der Peſt ſagt, daß ſie auf-
gehoͤrt habe, obwohl ſie eigentlich nur im Verborgenen fort-
beſteht.

Man muͤßte damit anfangen, Spitaͤler fuͤr die Kran-
ken, und Wohnungen fuͤr die Familien einzurichten, deren
einzelne Glieder angeſteckt und wo deshalb fernere Erkran-
kungen wahrſcheinlich geworden ſind. Die ungeheueren
Kaſernen von Daud-Paſcha und Ramis-Tſchiftlik, welche
jetzt leer ſtehen, koͤnnten viele Tauſende dieſer Ungluͤcklichen
aufnehmen, welche jetzt unter Zelten und Schuppen mit
Kaͤlte und Nahrungsſorgen kaͤmpfen. Jhr Elend, indem
es den Keim der Krankheit fortpflanzt und ihre Verhee-
rungen vermehrt, verleitet die Familien, lieber die Peſtfaͤlle
zu verheimlichen, als ſich ſo großen Entbehrungen auszu-
ſetzen.

Es iſt hoͤchſt wichtig, der Bevoͤlkerung die Wohlthaten
der neuen Jnſtitutionen recht anſchaulich zu machen. Zu
Anfang kann man es Jedem freiſtellen, ob er den Beiſtand
benutzen will, welchen die Regierung ihm bietet. Aber die
Familie, welche der Behoͤrde einen Peſtfall anzeigt, muß
ſogleich aufgenommen, verpflegt und ernaͤhrt, ihre Woh-
nung und ihre Kleider gereinigt werden, ohne daß ihr Ko-
ſten daraus erwachſen. Die Unbemittelten muͤßten, nach-
dem die geſetzlich feſtzuſtellende Reinigungszeit beendet, mit
einer kleinen Unterſtuͤtzung entlaſſen werden. Solche Vor-
theile werden bald, wenigſtens einem Theile, der Bevoͤlke-
rung die Augen oͤffnen, und nun kann man befehlen, daß
jeder Hausvater bei Strafe einen Peſtfall in ſeiner Familie
oder in ſeiner Nachbarſchaft der Behoͤrde anzeigen muß.

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[122/0132] ſchlage, verkenne ich keinesweges die großen Schwierigkei- ten, die ihrer Ausfuͤhrung da entgegenſtehen, wo Religion und Sitte jeder Neuerung und jeder Einmiſchung in haͤus- liche Angelegenheiten ſo ſehr widerſtreben. Auch kann man dabei nur mit großer Vorſicht und allmaͤhlig fortſchreitend zu Werke gehen. Ein erſter Verſuch muͤßte zu Konſtanti- nopel ſelbſt, unter den Augen der Regierung, zu einer Zeit gemacht werden, wo man von der Peſt ſagt, daß ſie auf- gehoͤrt habe, obwohl ſie eigentlich nur im Verborgenen fort- beſteht. Man muͤßte damit anfangen, Spitaͤler fuͤr die Kran- ken, und Wohnungen fuͤr die Familien einzurichten, deren einzelne Glieder angeſteckt und wo deshalb fernere Erkran- kungen wahrſcheinlich geworden ſind. Die ungeheueren Kaſernen von Daud-Paſcha und Ramis-Tſchiftlik, welche jetzt leer ſtehen, koͤnnten viele Tauſende dieſer Ungluͤcklichen aufnehmen, welche jetzt unter Zelten und Schuppen mit Kaͤlte und Nahrungsſorgen kaͤmpfen. Jhr Elend, indem es den Keim der Krankheit fortpflanzt und ihre Verhee- rungen vermehrt, verleitet die Familien, lieber die Peſtfaͤlle zu verheimlichen, als ſich ſo großen Entbehrungen auszu- ſetzen. Es iſt hoͤchſt wichtig, der Bevoͤlkerung die Wohlthaten der neuen Jnſtitutionen recht anſchaulich zu machen. Zu Anfang kann man es Jedem freiſtellen, ob er den Beiſtand benutzen will, welchen die Regierung ihm bietet. Aber die Familie, welche der Behoͤrde einen Peſtfall anzeigt, muß ſogleich aufgenommen, verpflegt und ernaͤhrt, ihre Woh- nung und ihre Kleider gereinigt werden, ohne daß ihr Ko- ſten daraus erwachſen. Die Unbemittelten muͤßten, nach- dem die geſetzlich feſtzuſtellende Reinigungszeit beendet, mit einer kleinen Unterſtuͤtzung entlaſſen werden. Solche Vor- theile werden bald, wenigſtens einem Theile, der Bevoͤlke- rung die Augen oͤffnen, und nun kann man befehlen, daß jeder Hausvater bei Strafe einen Peſtfall in ſeiner Familie oder in ſeiner Nachbarſchaft der Behoͤrde anzeigen muß.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/132>, abgerufen am 21.11.2024.