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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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sessen, muß aus der Pfeife des Türken rauchen, welcher
seinerseits keine Art von Vorsichtsmaaßregeln nimmt, und
bleibt in hundert Fällen neun und neunzig Mal gesund.
Wird aber einmal ein Franke getroffen, so macht das mehr
Lärm, als wenn hundert Türken ihrem Kismeth oder Schick-
sal unterliegen. Wo die Krankheit sich einmal manifestirt
hat, da müssen allerdings die ernsthaftesten Vorkehrungen
getroffen werden; alle Kleider, Betten und Teppiche müs-
sen gewaschen, alle Papiere durchräuchert, die Wände ge-
weißt, die Dielen gescheuert werden. Was das aber in
einem großen Hausstande sagen will, kannst Du Dir vor-
stellen; wer "compromittirt" ist, der ist so schlimm daran,
als wäre er abgebrannt.

Bei den Türken sieht nun das Ding ganz anders aus,
da fragt sich's nicht, ob man die Pest bekömmt, wenn man
Jemand anrührt, sondern ob überhaupt menschliche Vor-
sicht irgend einem irdischen Uebel vorbeugen könne. Es
ist bewundernswürdig, wie fest sie vom Gegentheil über-
zeugt sind.

Jn einer Batterie, nicht weit von hier, hatte man ein
Hospital für Pestkranke eingerichtet; fast zwei Drittel des
Bataillons der Besatzung sind gestorben. Mehr als ein-
mal begegnete ich den Soldaten, welche so eben einen Ka-
meraden eingescharrt, das Leichentuch über die Schulter ge-
schlagen, harmlos singend nach Hause schlenderten. Dort
theilten sie die Erbschaft des Verblichenen unter sich und
waren sehr vergnügt über eine Jacke oder eine Paar Bein-
kleider, die ihnen mit größter Wahrscheinlichkeit binnen drei
mal vier und zwanzig Stunden den Tod brachten. Die
furchtbare Sterblichkeit, die täglich sich erneuernden Bei-
spiele, die offen daliegenden Beweise der Ansteckung, nichts
entreißt diesen Leuten ihren Glauben: "Aallah kerim" --
Gott ist barmherzig -- und dem Kismeth ist nicht zu ent-
gehen. Der Bimbaschi des Bataillons, durch den Verkehr
mit den Gjaurs verdorben, hatte allerlei Vorsichtsmaaßregeln
eingeführt. Die Soldaten fügten sich mit dem äußersten

ſeſſen, muß aus der Pfeife des Tuͤrken rauchen, welcher
ſeinerſeits keine Art von Vorſichtsmaaßregeln nimmt, und
bleibt in hundert Faͤllen neun und neunzig Mal geſund.
Wird aber einmal ein Franke getroffen, ſo macht das mehr
Laͤrm, als wenn hundert Tuͤrken ihrem Kismeth oder Schick-
ſal unterliegen. Wo die Krankheit ſich einmal manifeſtirt
hat, da muͤſſen allerdings die ernſthafteſten Vorkehrungen
getroffen werden; alle Kleider, Betten und Teppiche muͤſ-
ſen gewaſchen, alle Papiere durchraͤuchert, die Waͤnde ge-
weißt, die Dielen geſcheuert werden. Was das aber in
einem großen Hausſtande ſagen will, kannſt Du Dir vor-
ſtellen; wer „compromittirt“ iſt, der iſt ſo ſchlimm daran,
als waͤre er abgebrannt.

Bei den Tuͤrken ſieht nun das Ding ganz anders aus,
da fragt ſich's nicht, ob man die Peſt bekoͤmmt, wenn man
Jemand anruͤhrt, ſondern ob uͤberhaupt menſchliche Vor-
ſicht irgend einem irdiſchen Uebel vorbeugen koͤnne. Es
iſt bewundernswuͤrdig, wie feſt ſie vom Gegentheil uͤber-
zeugt ſind.

Jn einer Batterie, nicht weit von hier, hatte man ein
Hoſpital fuͤr Peſtkranke eingerichtet; faſt zwei Drittel des
Bataillons der Beſatzung ſind geſtorben. Mehr als ein-
mal begegnete ich den Soldaten, welche ſo eben einen Ka-
meraden eingeſcharrt, das Leichentuch uͤber die Schulter ge-
ſchlagen, harmlos ſingend nach Hauſe ſchlenderten. Dort
theilten ſie die Erbſchaft des Verblichenen unter ſich und
waren ſehr vergnuͤgt uͤber eine Jacke oder eine Paar Bein-
kleider, die ihnen mit groͤßter Wahrſcheinlichkeit binnen drei
mal vier und zwanzig Stunden den Tod brachten. Die
furchtbare Sterblichkeit, die taͤglich ſich erneuernden Bei-
ſpiele, die offen daliegenden Beweiſe der Anſteckung, nichts
entreißt dieſen Leuten ihren Glauben: „Aallah kerim“ —
Gott iſt barmherzig — und dem Kismeth iſt nicht zu ent-
gehen. Der Bimbaſchi des Bataillons, durch den Verkehr
mit den Gjaurs verdorben, hatte allerlei Vorſichtsmaaßregeln
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[115/0125] ſeſſen, muß aus der Pfeife des Tuͤrken rauchen, welcher ſeinerſeits keine Art von Vorſichtsmaaßregeln nimmt, und bleibt in hundert Faͤllen neun und neunzig Mal geſund. Wird aber einmal ein Franke getroffen, ſo macht das mehr Laͤrm, als wenn hundert Tuͤrken ihrem Kismeth oder Schick- ſal unterliegen. Wo die Krankheit ſich einmal manifeſtirt hat, da muͤſſen allerdings die ernſthafteſten Vorkehrungen getroffen werden; alle Kleider, Betten und Teppiche muͤſ- ſen gewaſchen, alle Papiere durchraͤuchert, die Waͤnde ge- weißt, die Dielen geſcheuert werden. Was das aber in einem großen Hausſtande ſagen will, kannſt Du Dir vor- ſtellen; wer „compromittirt“ iſt, der iſt ſo ſchlimm daran, als waͤre er abgebrannt. Bei den Tuͤrken ſieht nun das Ding ganz anders aus, da fragt ſich's nicht, ob man die Peſt bekoͤmmt, wenn man Jemand anruͤhrt, ſondern ob uͤberhaupt menſchliche Vor- ſicht irgend einem irdiſchen Uebel vorbeugen koͤnne. Es iſt bewundernswuͤrdig, wie feſt ſie vom Gegentheil uͤber- zeugt ſind. Jn einer Batterie, nicht weit von hier, hatte man ein Hoſpital fuͤr Peſtkranke eingerichtet; faſt zwei Drittel des Bataillons der Beſatzung ſind geſtorben. Mehr als ein- mal begegnete ich den Soldaten, welche ſo eben einen Ka- meraden eingeſcharrt, das Leichentuch uͤber die Schulter ge- ſchlagen, harmlos ſingend nach Hauſe ſchlenderten. Dort theilten ſie die Erbſchaft des Verblichenen unter ſich und waren ſehr vergnuͤgt uͤber eine Jacke oder eine Paar Bein- kleider, die ihnen mit groͤßter Wahrſcheinlichkeit binnen drei mal vier und zwanzig Stunden den Tod brachten. Die furchtbare Sterblichkeit, die taͤglich ſich erneuernden Bei- ſpiele, die offen daliegenden Beweiſe der Anſteckung, nichts entreißt dieſen Leuten ihren Glauben: „Aallah kerim“ — Gott iſt barmherzig — und dem Kismeth iſt nicht zu ent- gehen. Der Bimbaſchi des Bataillons, durch den Verkehr mit den Gjaurs verdorben, hatte allerlei Vorſichtsmaaßregeln eingefuͤhrt. Die Soldaten fuͤgten ſich mit dem aͤußerſten

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/125>, abgerufen am 27.11.2024.