Straßen zum Verkauf herumträgt, und als solchen suchten die Kinder Freundschaft mit mir zu machen. Am neugie- rigsten sind die Frauen (nämlich hier in der Türkei); diese wollten durchaus wissen, was auf dem Papier stände, wo- zu der Padischah das brauchte, da er ja schon hier gewe- sen, ob ich nicht türkisch spräche, oder wenigstens römisch (nämlich griechisch). Da meine Bedeckungstruppe dies ver- neinte, so betrachteten sie mich wie eine Art Halbwilden, mit dem man sich nur durch Zeichen verständigen könne. Großes Vergnügen machte es ihnen, vielleicht nur, weil es verboten ist, wenn man sie abzeichnete; nun ist nichts leich- ter als das: ein großer weißer Schleier, aus dem zwei schwarze Augen, ein Endchen Nase und breite zusammenstoßende Au- genbraunen herausschauen, -- hätte ich eine Lithographie davon gehabt, so hätte ich es jeder Einzelnen als ihr Por- trait überreichen können, und alle würden es sehr ähnlich gefunden haben. Etwas zudringlicher als die Türken, wa- ren die Griechen und Juden, aber ein bloßes "Jassak dir" -- es ist verboten -- von meinem Tschausch war ge- nug, um sie wie einen Schwarm von Sperlingen zu ver- scheuchen.
Jn der letzten Zeit freilich mußte ich das Terrain un- ter dem Schnee hervorsuchen, aber außerordentlich bleibt es immer, bis Anfang Januars so ununterbrochen schö- nes warmes Wetter gehabt zu haben, daß man mit dem Meßtisch im Freien arbeiten konnte. Jetzt brechen die Früh- lingsstürme über uns herein, der Weißdorn, der Kirsch- und Mandelbaum steht in Blüthe, die Krokos und Pri- meln drängen sich aus der Erde hervor, und ich würde Dir gern ein Konstantinopolitanisches Veilchen schicken, wenn selbiges nicht an der Grenze von Kaiserlich Königlichen Sa- nitätsbehörden als pestfangender Gegenstand inhaftirt wer- den würde. Da gegenwärtig die Pest beinahe erloschen, oder die Gefahr doch nicht größer ist, als die, in welcher jeder Mensch jeden Tag schwebt, muß ich Dir doch ganz aufrichtig über diesen Gegenstand ein paar Worte schreiben,
Straßen zum Verkauf herumtraͤgt, und als ſolchen ſuchten die Kinder Freundſchaft mit mir zu machen. Am neugie- rigſten ſind die Frauen (naͤmlich hier in der Tuͤrkei); dieſe wollten durchaus wiſſen, was auf dem Papier ſtaͤnde, wo- zu der Padiſchah das brauchte, da er ja ſchon hier gewe- ſen, ob ich nicht tuͤrkiſch ſpraͤche, oder wenigſtens roͤmiſch (naͤmlich griechiſch). Da meine Bedeckungstruppe dies ver- neinte, ſo betrachteten ſie mich wie eine Art Halbwilden, mit dem man ſich nur durch Zeichen verſtaͤndigen koͤnne. Großes Vergnuͤgen machte es ihnen, vielleicht nur, weil es verboten iſt, wenn man ſie abzeichnete; nun iſt nichts leich- ter als das: ein großer weißer Schleier, aus dem zwei ſchwarze Augen, ein Endchen Naſe und breite zuſammenſtoßende Au- genbraunen herausſchauen, — haͤtte ich eine Lithographie davon gehabt, ſo haͤtte ich es jeder Einzelnen als ihr Por- trait uͤberreichen koͤnnen, und alle wuͤrden es ſehr aͤhnlich gefunden haben. Etwas zudringlicher als die Tuͤrken, wa- ren die Griechen und Juden, aber ein bloßes „Jassak dir“ — es iſt verboten — von meinem Tſchauſch war ge- nug, um ſie wie einen Schwarm von Sperlingen zu ver- ſcheuchen.
Jn der letzten Zeit freilich mußte ich das Terrain un- ter dem Schnee hervorſuchen, aber außerordentlich bleibt es immer, bis Anfang Januars ſo ununterbrochen ſchoͤ- nes warmes Wetter gehabt zu haben, daß man mit dem Meßtiſch im Freien arbeiten konnte. Jetzt brechen die Fruͤh- lingsſtuͤrme uͤber uns herein, der Weißdorn, der Kirſch- und Mandelbaum ſteht in Bluͤthe, die Krokos und Pri- meln draͤngen ſich aus der Erde hervor, und ich wuͤrde Dir gern ein Konſtantinopolitaniſches Veilchen ſchicken, wenn ſelbiges nicht an der Grenze von Kaiſerlich Koͤniglichen Sa- nitaͤtsbehoͤrden als peſtfangender Gegenſtand inhaftirt wer- den wuͤrde. Da gegenwaͤrtig die Peſt beinahe erloſchen, oder die Gefahr doch nicht groͤßer iſt, als die, in welcher jeder Menſch jeden Tag ſchwebt, muß ich Dir doch ganz aufrichtig uͤber dieſen Gegenſtand ein paar Worte ſchreiben,
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Straßen zum Verkauf herumtraͤgt, und als ſolchen ſuchten
die Kinder Freundſchaft mit mir zu machen. Am neugie-
rigſten ſind die Frauen (naͤmlich hier in der Tuͤrkei); dieſe
wollten durchaus wiſſen, was auf dem Papier ſtaͤnde, wo-
zu der Padiſchah das brauchte, da er ja ſchon hier gewe-
ſen, ob ich nicht tuͤrkiſch ſpraͤche, oder wenigſtens roͤmiſch
(naͤmlich griechiſch). Da meine Bedeckungstruppe dies ver-
neinte, ſo betrachteten ſie mich wie eine Art Halbwilden,
mit dem man ſich nur durch Zeichen verſtaͤndigen koͤnne.
Großes Vergnuͤgen machte es ihnen, vielleicht nur, weil es
verboten iſt, wenn man ſie abzeichnete; nun iſt nichts leich-
ter als das: ein großer weißer Schleier, aus dem zwei ſchwarze
Augen, ein Endchen Naſe und breite zuſammenſtoßende Au-
genbraunen herausſchauen, — haͤtte ich eine Lithographie
davon gehabt, ſo haͤtte ich es jeder Einzelnen als ihr Por-
trait uͤberreichen koͤnnen, und alle wuͤrden es ſehr aͤhnlich
gefunden haben. Etwas zudringlicher als die Tuͤrken, wa-
ren die Griechen und Juden, aber ein bloßes „Jassak
dir“ — es iſt verboten — von meinem Tſchauſch war ge-
nug, um ſie wie einen Schwarm von Sperlingen zu ver-
ſcheuchen.
Jn der letzten Zeit freilich mußte ich das Terrain un-
ter dem Schnee hervorſuchen, aber außerordentlich bleibt
es immer, bis Anfang Januars ſo ununterbrochen ſchoͤ-
nes warmes Wetter gehabt zu haben, daß man mit dem
Meßtiſch im Freien arbeiten konnte. Jetzt brechen die Fruͤh-
lingsſtuͤrme uͤber uns herein, der Weißdorn, der Kirſch-
und Mandelbaum ſteht in Bluͤthe, die Krokos und Pri-
meln draͤngen ſich aus der Erde hervor, und ich wuͤrde
Dir gern ein Konſtantinopolitaniſches Veilchen ſchicken, wenn
ſelbiges nicht an der Grenze von Kaiſerlich Koͤniglichen Sa-
nitaͤtsbehoͤrden als peſtfangender Gegenſtand inhaftirt wer-
den wuͤrde. Da gegenwaͤrtig die Peſt beinahe erloſchen,
oder die Gefahr doch nicht groͤßer iſt, als die, in welcher
jeder Menſch jeden Tag ſchwebt, muß ich Dir doch ganz
aufrichtig uͤber dieſen Gegenſtand ein paar Worte ſchreiben,
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/122>, abgerufen am 21.11.2024.
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