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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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25.
Audienz beim Großherrn.

Vorgestern erhielt ich den Befehl, zu einer Privat-Au-
dienz beim Großherrn zu erscheinen. Es ist bekannt, wie
früher die Repräsentanten der mächtigsten Monarchen stun-
denlang im Vorhofe des Serajs warten mußten. Dort
befindet sich ein Portal mit zwei Thüren hinter einander.
Da die äußere hinter dem Eintretenden eher geschlossen,
als die innere wieder geöffnet wird, so war dies der Ort,
wo den Vezieren und den Großen überhaupt gelegentlich
die Köpfe abgeschlagen wurden. Diese freundliche Lokalität
hatte man benutzt, um die zur Audienz gelassenen Fremden
in der Tugend der Geduld zu üben. Es wurden Rechts-
händel geschlichtet und Urtheil gesprochen; dann wurden
die Janitscharen gespeiset und ihre Löhnung aus großen
Säcken klirrend auf das Steinpflaster geworfen; endlich
die Gesandten selbst bewirthet und mit Pelzen beschenkt
und bekleidet. Erst nachdem sie so eine Vorstellung von
der Gerechtigkeit und Milde, von dem Reichthum und der
Macht, hauptsächlich wohl von dem Hochmuth des Padi-
schahs erhalten, wurden sie durch das Thor der Glückselig-
keit, "Bab seadet", in einen halbdunkeln Kiosk vor das
Antlitz des Großtürken gelassen. Der Beglückte wurde von
zwei Kapitschi-Baschi oder Ober-Thürstehern geführt, die
ihm die Arme fest hielten und zu tiefen Verbeugungen zwan-
gen. Die Gesandten richteten ihre Reden an den Groß-
herrn, dem jedoch nur einige wenige Worte übersetzt wur-
den, und sodann durften sie ihre Geschenke überreichen.
Se. Hoheit gaben dem Vezier einen Wink, irgend Etwas
zu sagen, und damit war die Sache zu Ende. So, oder
doch mit wenig geänderten Formen bestanden die Audienzen
fort bis vor zehn Jahren. Nach der Vernichtung der Ja-
nitscharen, oder vielmehr seit die Russen den Türken etwas

25.
Audienz beim Großherrn.

Vorgeſtern erhielt ich den Befehl, zu einer Privat-Au-
dienz beim Großherrn zu erſcheinen. Es iſt bekannt, wie
fruͤher die Repraͤſentanten der maͤchtigſten Monarchen ſtun-
denlang im Vorhofe des Serajs warten mußten. Dort
befindet ſich ein Portal mit zwei Thuͤren hinter einander.
Da die aͤußere hinter dem Eintretenden eher geſchloſſen,
als die innere wieder geoͤffnet wird, ſo war dies der Ort,
wo den Vezieren und den Großen uͤberhaupt gelegentlich
die Koͤpfe abgeſchlagen wurden. Dieſe freundliche Lokalitaͤt
hatte man benutzt, um die zur Audienz gelaſſenen Fremden
in der Tugend der Geduld zu uͤben. Es wurden Rechts-
haͤndel geſchlichtet und Urtheil geſprochen; dann wurden
die Janitſcharen geſpeiſet und ihre Loͤhnung aus großen
Saͤcken klirrend auf das Steinpflaſter geworfen; endlich
die Geſandten ſelbſt bewirthet und mit Pelzen beſchenkt
und bekleidet. Erſt nachdem ſie ſo eine Vorſtellung von
der Gerechtigkeit und Milde, von dem Reichthum und der
Macht, hauptſaͤchlich wohl von dem Hochmuth des Padi-
ſchahs erhalten, wurden ſie durch das Thor der Gluͤckſelig-
keit, „Bab ſeadet“, in einen halbdunkeln Kiosk vor das
Antlitz des Großtuͤrken gelaſſen. Der Begluͤckte wurde von
zwei Kapitſchi-Baſchi oder Ober-Thuͤrſtehern gefuͤhrt, die
ihm die Arme feſt hielten und zu tiefen Verbeugungen zwan-
gen. Die Geſandten richteten ihre Reden an den Groß-
herrn, dem jedoch nur einige wenige Worte uͤberſetzt wur-
den, und ſodann durften ſie ihre Geſchenke uͤberreichen.
Se. Hoheit gaben dem Vezier einen Wink, irgend Etwas
zu ſagen, und damit war die Sache zu Ende. So, oder
doch mit wenig geaͤnderten Formen beſtanden die Audienzen
fort bis vor zehn Jahren. Nach der Vernichtung der Ja-
nitſcharen, oder vielmehr ſeit die Ruſſen den Tuͤrken etwas

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[108/0118] 25. Audienz beim Großherrn. Pera, den 21. Januar 1837. Vorgeſtern erhielt ich den Befehl, zu einer Privat-Au- dienz beim Großherrn zu erſcheinen. Es iſt bekannt, wie fruͤher die Repraͤſentanten der maͤchtigſten Monarchen ſtun- denlang im Vorhofe des Serajs warten mußten. Dort befindet ſich ein Portal mit zwei Thuͤren hinter einander. Da die aͤußere hinter dem Eintretenden eher geſchloſſen, als die innere wieder geoͤffnet wird, ſo war dies der Ort, wo den Vezieren und den Großen uͤberhaupt gelegentlich die Koͤpfe abgeſchlagen wurden. Dieſe freundliche Lokalitaͤt hatte man benutzt, um die zur Audienz gelaſſenen Fremden in der Tugend der Geduld zu uͤben. Es wurden Rechts- haͤndel geſchlichtet und Urtheil geſprochen; dann wurden die Janitſcharen geſpeiſet und ihre Loͤhnung aus großen Saͤcken klirrend auf das Steinpflaſter geworfen; endlich die Geſandten ſelbſt bewirthet und mit Pelzen beſchenkt und bekleidet. Erſt nachdem ſie ſo eine Vorſtellung von der Gerechtigkeit und Milde, von dem Reichthum und der Macht, hauptſaͤchlich wohl von dem Hochmuth des Padi- ſchahs erhalten, wurden ſie durch das Thor der Gluͤckſelig- keit, „Bab ſeadet“, in einen halbdunkeln Kiosk vor das Antlitz des Großtuͤrken gelaſſen. Der Begluͤckte wurde von zwei Kapitſchi-Baſchi oder Ober-Thuͤrſtehern gefuͤhrt, die ihm die Arme feſt hielten und zu tiefen Verbeugungen zwan- gen. Die Geſandten richteten ihre Reden an den Groß- herrn, dem jedoch nur einige wenige Worte uͤberſetzt wur- den, und ſodann durften ſie ihre Geſchenke uͤberreichen. Se. Hoheit gaben dem Vezier einen Wink, irgend Etwas zu ſagen, und damit war die Sache zu Ende. So, oder doch mit wenig geaͤnderten Formen beſtanden die Audienzen fort bis vor zehn Jahren. Nach der Vernichtung der Ja- nitſcharen, oder vielmehr ſeit die Ruſſen den Tuͤrken etwas

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/118>, abgerufen am 25.11.2024.