nicht damit, den Lebenden die Köpfe abzuschlagen, sondern man hieb auch den Verstorbenen die Turbane herunter, und noch heute sieht man eine Menge dieser geköpften Grab- steine. Gegenwärtig ist die Kopfbedeckung für Alle gleich, und der leidigrothe Feß mit dem blauen Quaste sieht eben nicht geschmackvoller auf den Gräbern, als auf den Köpfen der Lebendigen aus.
Die Grabsteine der Frauen sind mit Blumen geschmückt, die der Unverheiratheten durch eine Rosenknospe bezeichnet. Das Grab eines Moslems darf nie gestört werden, und man würde es für eine Ruchlosigkeit halten, den Friedhof nach einer Reihe von Jahren umzugraben, wie bei uns. Wenn man die mittlere Lebensdauer hier höchstens auf 25 Jahre, die Zahl der Moslems in Konstantinopel auf 300,000 anschlagen kann, so sind während der 400 Jahre seit der türkischen Besitznahme nahe an fünf Millionen Türken in Konstantinopel gestorben. Du kannst Dir hier- nach eine Vorstellung von der Menge der Grabsteine ma- chen, man könnte eine große Stadt daraus erbauen, und wirklich errichten die Armenier jetzt eben eine schöne Kirche aus lauter gehauenen Grabsteinen, meist von Marmor. Die Grabsteine der Rajah liegen an der Erde, die der Türken aber stehen aufrecht. Die Türbeh oder Mausoleen der Gro- ßen sind oft sehr prachtvoll, aus dem schönsten Marmor und Jaspis erbaut, mit einer Kuppel überwölbt, von ho- hen Lorbeeren oder Platanen überschattet und von Rosen- hecken umgeben. Der Sarkophag in der Mitte dieses Ge- wölbes ist mit einem kostbaren Kaschemir-Shawl bedeckt. Neben den Türbehs findet sich oft ein Jmaret, oder eine Armenküche, ein Spital oder wenigstens eine Fontaine. Aber auch der arme Moslem sucht das Grab eines Hin- geschiedenen zu einer Wohlthat für Lebende zu machen. Viele der Grabsteine sind unten in Form eines Troges aus- gehöhlt, in welchem das Regenwasser sich sammelt, eine Art Armenküche im Kleinen, wo an heißen Sommertagen die Hunde und Vögel ihren Durst löschen. Die Moslems
nicht damit, den Lebenden die Koͤpfe abzuſchlagen, ſondern man hieb auch den Verſtorbenen die Turbane herunter, und noch heute ſieht man eine Menge dieſer gekoͤpften Grab- ſteine. Gegenwaͤrtig iſt die Kopfbedeckung fuͤr Alle gleich, und der leidigrothe Feß mit dem blauen Quaſte ſieht eben nicht geſchmackvoller auf den Graͤbern, als auf den Koͤpfen der Lebendigen aus.
Die Grabſteine der Frauen ſind mit Blumen geſchmuͤckt, die der Unverheiratheten durch eine Roſenknospe bezeichnet. Das Grab eines Moslems darf nie geſtoͤrt werden, und man wuͤrde es fuͤr eine Ruchloſigkeit halten, den Friedhof nach einer Reihe von Jahren umzugraben, wie bei uns. Wenn man die mittlere Lebensdauer hier hoͤchſtens auf 25 Jahre, die Zahl der Moslems in Konſtantinopel auf 300,000 anſchlagen kann, ſo ſind waͤhrend der 400 Jahre ſeit der tuͤrkiſchen Beſitznahme nahe an fuͤnf Millionen Tuͤrken in Konſtantinopel geſtorben. Du kannſt Dir hier- nach eine Vorſtellung von der Menge der Grabſteine ma- chen, man koͤnnte eine große Stadt daraus erbauen, und wirklich errichten die Armenier jetzt eben eine ſchoͤne Kirche aus lauter gehauenen Grabſteinen, meiſt von Marmor. Die Grabſteine der Rajah liegen an der Erde, die der Tuͤrken aber ſtehen aufrecht. Die Tuͤrbeh oder Mauſoleen der Gro- ßen ſind oft ſehr prachtvoll, aus dem ſchoͤnſten Marmor und Jaspis erbaut, mit einer Kuppel uͤberwoͤlbt, von ho- hen Lorbeeren oder Platanen uͤberſchattet und von Roſen- hecken umgeben. Der Sarkophag in der Mitte dieſes Ge- woͤlbes iſt mit einem koſtbaren Kaſchemir-Shawl bedeckt. Neben den Tuͤrbehs findet ſich oft ein Jmaret, oder eine Armenkuͤche, ein Spital oder wenigſtens eine Fontaine. Aber auch der arme Moslem ſucht das Grab eines Hin- geſchiedenen zu einer Wohlthat fuͤr Lebende zu machen. Viele der Grabſteine ſind unten in Form eines Troges aus- gehoͤhlt, in welchem das Regenwaſſer ſich ſammelt, eine Art Armenkuͤche im Kleinen, wo an heißen Sommertagen die Hunde und Voͤgel ihren Durſt loͤſchen. Die Moslems
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nicht damit, den Lebenden die Koͤpfe abzuſchlagen, ſondern
man hieb auch den Verſtorbenen die Turbane herunter, und
noch heute ſieht man eine Menge dieſer gekoͤpften Grab-
ſteine. Gegenwaͤrtig iſt die Kopfbedeckung fuͤr Alle gleich,
und der leidigrothe Feß mit dem blauen Quaſte ſieht eben
nicht geſchmackvoller auf den Graͤbern, als auf den Koͤpfen
der Lebendigen aus.
Die Grabſteine der Frauen ſind mit Blumen geſchmuͤckt,
die der Unverheiratheten durch eine Roſenknospe bezeichnet.
Das Grab eines Moslems darf nie geſtoͤrt werden, und
man wuͤrde es fuͤr eine Ruchloſigkeit halten, den Friedhof
nach einer Reihe von Jahren umzugraben, wie bei uns.
Wenn man die mittlere Lebensdauer hier hoͤchſtens auf
25 Jahre, die Zahl der Moslems in Konſtantinopel auf
300,000 anſchlagen kann, ſo ſind waͤhrend der 400 Jahre
ſeit der tuͤrkiſchen Beſitznahme nahe an fuͤnf Millionen
Tuͤrken in Konſtantinopel geſtorben. Du kannſt Dir hier-
nach eine Vorſtellung von der Menge der Grabſteine ma-
chen, man koͤnnte eine große Stadt daraus erbauen, und
wirklich errichten die Armenier jetzt eben eine ſchoͤne Kirche
aus lauter gehauenen Grabſteinen, meiſt von Marmor. Die
Grabſteine der Rajah liegen an der Erde, die der Tuͤrken
aber ſtehen aufrecht. Die Tuͤrbeh oder Mauſoleen der Gro-
ßen ſind oft ſehr prachtvoll, aus dem ſchoͤnſten Marmor
und Jaspis erbaut, mit einer Kuppel uͤberwoͤlbt, von ho-
hen Lorbeeren oder Platanen uͤberſchattet und von Roſen-
hecken umgeben. Der Sarkophag in der Mitte dieſes Ge-
woͤlbes iſt mit einem koſtbaren Kaſchemir-Shawl bedeckt.
Neben den Tuͤrbehs findet ſich oft ein Jmaret, oder eine
Armenkuͤche, ein Spital oder wenigſtens eine Fontaine.
Aber auch der arme Moslem ſucht das Grab eines Hin-
geſchiedenen zu einer Wohlthat fuͤr Lebende zu machen.
Viele der Grabſteine ſind unten in Form eines Troges aus-
gehoͤhlt, in welchem das Regenwaſſer ſich ſammelt, eine
Art Armenkuͤche im Kleinen, wo an heißen Sommertagen
die Hunde und Voͤgel ihren Durſt loͤſchen. Die Moslems
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/116>, abgerufen am 22.11.2024.
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