Fußteppich ging in die künstlichen Muster von Blumenpar- terres und in das Dessin der Gänge über, welche mit Seemuscheln beschüttet oder mit farbigen Kieseln mosaik- artig ausgelegt waren. Man wußte nicht recht, wo das Gemach aufhörte und wo der Garten anfing; ob der Spring- brunnen im Zimmer rauschte oder ob man auf dem breiten Divan im Freien säße. Eine köstliche Kühle drang durch die Rohrgitter der offenen Fenster vom Bosphor herein und mischte sich mit dem balsamischen Duft des von der Sonne hell erleuchteten Gärtchens, und aus dem nebenlie- genden Harem erklangen die Accorde einer Romaika und einer Flöte, welche die Sclavinnen spielten.
Niemand mochte indeß der Zauber dieser Umgebung kälter lassen, als Mehmet Chosref, den rastlos thätigen Greis, der sich auf einmal von aller Wirksamkeit ausge- schlossen sah, verdrängt durch die, welche er aus dem Staube emporgehoben, bemitleidet von denen, welche vor ihm gezittert. Der gewohnte scherzende Ton verhehlte nicht ganz seinen innern Verdruß, als er von seiner jetzigen Ein- samkeit und Verlassenheit sprach; ich bezog dies absichtlich auf seine noch immer aus mehr als hundert Personen be- stehende Dienerschaft. "Herr", sagte ich, "ich sehe hier Aly Aga und Sayd Effendi, Mehmet Kawas und" -- "Meinst du", erwiderte Mehmet Chosref lebhaft und mit Bedeutung, "daß ich der Mann bin, einen alten Die- ner zu verabschieden, der mir viele Jahre treu gedient?"
Um seinen Feinden zu zeigen, daß er noch nicht so ganz von Kräften sei, läßt Mehmet Chosref neben sei- nem jetzigen Pallast eine Schule gründen und eine präch- tige Moschee bauen. Jch glaube, der alte Pascha hat sich dabei nicht über den Weg geirrt, der in die Gnade seines Herrn und in den Besitz der Gewalt zurück führt.
Fußteppich ging in die kuͤnſtlichen Muſter von Blumenpar- terres und in das Deſſin der Gaͤnge uͤber, welche mit Seemuſcheln beſchuͤttet oder mit farbigen Kieſeln moſaik- artig ausgelegt waren. Man wußte nicht recht, wo das Gemach aufhoͤrte und wo der Garten anfing; ob der Spring- brunnen im Zimmer rauſchte oder ob man auf dem breiten Divan im Freien ſaͤße. Eine koͤſtliche Kuͤhle drang durch die Rohrgitter der offenen Fenſter vom Bosphor herein und miſchte ſich mit dem balſamiſchen Duft des von der Sonne hell erleuchteten Gaͤrtchens, und aus dem nebenlie- genden Harem erklangen die Accorde einer Romaika und einer Floͤte, welche die Sclavinnen ſpielten.
Niemand mochte indeß der Zauber dieſer Umgebung kaͤlter laſſen, als Mehmet Chosref, den raſtlos thaͤtigen Greis, der ſich auf einmal von aller Wirkſamkeit ausge- ſchloſſen ſah, verdraͤngt durch die, welche er aus dem Staube emporgehoben, bemitleidet von denen, welche vor ihm gezittert. Der gewohnte ſcherzende Ton verhehlte nicht ganz ſeinen innern Verdruß, als er von ſeiner jetzigen Ein- ſamkeit und Verlaſſenheit ſprach; ich bezog dies abſichtlich auf ſeine noch immer aus mehr als hundert Perſonen be- ſtehende Dienerſchaft. „Herr“, ſagte ich, „ich ſehe hier Aly Aga und Sayd Effendi, Mehmet Kawas und“ — „Meinſt du“, erwiderte Mehmet Chosref lebhaft und mit Bedeutung, „daß ich der Mann bin, einen alten Die- ner zu verabſchieden, der mir viele Jahre treu gedient?“
Um ſeinen Feinden zu zeigen, daß er noch nicht ſo ganz von Kraͤften ſei, laͤßt Mehmet Chosref neben ſei- nem jetzigen Pallaſt eine Schule gruͤnden und eine praͤch- tige Moſchee bauen. Jch glaube, der alte Paſcha hat ſich dabei nicht uͤber den Weg geirrt, der in die Gnade ſeines Herrn und in den Beſitz der Gewalt zuruͤck fuͤhrt.
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Fußteppich ging in die kuͤnſtlichen Muſter von Blumenpar-
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Seemuſcheln beſchuͤttet oder mit farbigen Kieſeln moſaik-
artig ausgelegt waren. Man wußte nicht recht, wo das
Gemach aufhoͤrte und wo der Garten anfing; ob der Spring-
brunnen im Zimmer rauſchte oder ob man auf dem breiten
Divan im Freien ſaͤße. Eine koͤſtliche Kuͤhle drang durch
die Rohrgitter der offenen Fenſter vom Bosphor herein
und miſchte ſich mit dem balſamiſchen Duft des von der
Sonne hell erleuchteten Gaͤrtchens, und aus dem nebenlie-
genden Harem erklangen die Accorde einer Romaika und
einer Floͤte, welche die Sclavinnen ſpielten.
Niemand mochte indeß der Zauber dieſer Umgebung
kaͤlter laſſen, als Mehmet Chosref, den raſtlos thaͤtigen
Greis, der ſich auf einmal von aller Wirkſamkeit ausge-
ſchloſſen ſah, verdraͤngt durch die, welche er aus dem
Staube emporgehoben, bemitleidet von denen, welche vor
ihm gezittert. Der gewohnte ſcherzende Ton verhehlte nicht
ganz ſeinen innern Verdruß, als er von ſeiner jetzigen Ein-
ſamkeit und Verlaſſenheit ſprach; ich bezog dies abſichtlich
auf ſeine noch immer aus mehr als hundert Perſonen be-
ſtehende Dienerſchaft. „Herr“, ſagte ich, „ich ſehe hier
Aly Aga und Sayd Effendi, Mehmet Kawas und“ —
„Meinſt du“, erwiderte Mehmet Chosref lebhaft und
mit Bedeutung, „daß ich der Mann bin, einen alten Die-
ner zu verabſchieden, der mir viele Jahre treu gedient?“
Um ſeinen Feinden zu zeigen, daß er noch nicht ſo
ganz von Kraͤften ſei, laͤßt Mehmet Chosref neben ſei-
nem jetzigen Pallaſt eine Schule gruͤnden und eine praͤch-
tige Moſchee bauen. Jch glaube, der alte Paſcha hat ſich
dabei nicht uͤber den Weg geirrt, der in die Gnade ſeines
Herrn und in den Beſitz der Gewalt zuruͤck fuͤhrt.
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/112>, abgerufen am 21.11.2024.
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