Die Tour von hier nach Konstantinopel (über drei deutsche Meilen) legt man in anderthalb Stunden zurück, und ein Reiter am Ufer müßte schon sehr scharf traben, um mitzukommen; da hilft nun freilich die Strömung, denn umgekehrt, von Konstantinopel nach Bujukdere, braucht man mindestens drittehalb Stunden. Hiernach läßt sich berech- nen, daß die Strömung im Bosphor in der Stunde drei Viertel einer deutschen Meile beträgt; mit einem schwer- fälligern Fahrzeuge käme man an den reißendsten Stellen gar nicht fort.
Der wohlhabende Effendi fährt in einem dreiruderigen Kaik, er sitzt auf einem Teppich, in zwei oder drei Pelze gehüllt, einen persischen Shawl um den Leib gewickelt; vor ihm kauern die Pfeifenstopfer, und der Kaffeeschenker hin- ter ihm; ein oder zwei Diener von geringerem Rang halten ihrem Herrn einen großen Regenschirm gegen die Sonne über den Kopf. Der Schirm darf jedoch nicht roth sein (das steht nur dem Großherrn selbst zu), und wird über- haupt zusammengefaltet, sobald ein Pascha vorüberfährt oder das Kaik an einem der Schlösser des Padischah vor- beikommt. Die Kaikschi oder Ruderer, große prächtige Leute, sind gleichmäßig gekleidet: ein weites baumwollenes Beinkleid, ein halbseidenes Hemd und ein kleines rothes Käppchen auf dem kahl geschorenen Kopfe bilden die ganze Toilette selbst im Winter. Die Leute rudern ihre 7 bis 8 Meilen hinter einander weg.
Bei ruhigem Wetter sieht man wegen der großen Klar- heit des Wassers den Grund des Meeres mit überraschen- der Deutlichkeit, und das Fahrzeug scheint über einem Ab- grund zu schweben. Ein völlig glatter Spiegel ist auf dem Bosphorus selten, zuweilen aber ist die Fläche scheinbar eben, dennoch ziehen sehr große breite Wellen, die aus dem Schwarzen Meere kommen, hinein. Auf der Wasserfläche bemerkt man sie kaum, aber am Ufer verursachen sie eine starke Brandung; dann ist es überraschend, bei ganz stiller Luft und spiegelblanker Oberfläche des blauen Wassers den
Die Tour von hier nach Konſtantinopel (uͤber drei deutſche Meilen) legt man in anderthalb Stunden zuruͤck, und ein Reiter am Ufer muͤßte ſchon ſehr ſcharf traben, um mitzukommen; da hilft nun freilich die Stroͤmung, denn umgekehrt, von Konſtantinopel nach Bujukdere, braucht man mindeſtens drittehalb Stunden. Hiernach laͤßt ſich berech- nen, daß die Stroͤmung im Bosphor in der Stunde drei Viertel einer deutſchen Meile betraͤgt; mit einem ſchwer- faͤlligern Fahrzeuge kaͤme man an den reißendſten Stellen gar nicht fort.
Der wohlhabende Effendi faͤhrt in einem dreiruderigen Kaik, er ſitzt auf einem Teppich, in zwei oder drei Pelze gehuͤllt, einen perſiſchen Shawl um den Leib gewickelt; vor ihm kauern die Pfeifenſtopfer, und der Kaffeeſchenker hin- ter ihm; ein oder zwei Diener von geringerem Rang halten ihrem Herrn einen großen Regenſchirm gegen die Sonne uͤber den Kopf. Der Schirm darf jedoch nicht roth ſein (das ſteht nur dem Großherrn ſelbſt zu), und wird uͤber- haupt zuſammengefaltet, ſobald ein Paſcha voruͤberfaͤhrt oder das Kaik an einem der Schloͤſſer des Padiſchah vor- beikommt. Die Kaikſchi oder Ruderer, große praͤchtige Leute, ſind gleichmaͤßig gekleidet: ein weites baumwollenes Beinkleid, ein halbſeidenes Hemd und ein kleines rothes Kaͤppchen auf dem kahl geſchorenen Kopfe bilden die ganze Toilette ſelbſt im Winter. Die Leute rudern ihre 7 bis 8 Meilen hinter einander weg.
Bei ruhigem Wetter ſieht man wegen der großen Klar- heit des Waſſers den Grund des Meeres mit uͤberraſchen- der Deutlichkeit, und das Fahrzeug ſcheint uͤber einem Ab- grund zu ſchweben. Ein voͤllig glatter Spiegel iſt auf dem Bosphorus ſelten, zuweilen aber iſt die Flaͤche ſcheinbar eben, dennoch ziehen ſehr große breite Wellen, die aus dem Schwarzen Meere kommen, hinein. Auf der Waſſerflaͤche bemerkt man ſie kaum, aber am Ufer verurſachen ſie eine ſtarke Brandung; dann iſt es uͤberraſchend, bei ganz ſtiller Luft und ſpiegelblanker Oberflaͤche des blauen Waſſers den
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0105"n="95"/><p>Die Tour von hier nach Konſtantinopel (uͤber drei<lb/>
deutſche Meilen) legt man in anderthalb Stunden zuruͤck,<lb/>
und ein Reiter am Ufer muͤßte ſchon ſehr ſcharf traben,<lb/>
um mitzukommen; da hilft nun freilich die Stroͤmung, denn<lb/>
umgekehrt, von Konſtantinopel nach Bujukdere, braucht man<lb/>
mindeſtens drittehalb Stunden. Hiernach laͤßt ſich berech-<lb/>
nen, daß die Stroͤmung im Bosphor in der Stunde drei<lb/>
Viertel einer deutſchen Meile betraͤgt; mit einem ſchwer-<lb/>
faͤlligern Fahrzeuge kaͤme man an den reißendſten Stellen<lb/>
gar nicht fort.</p><lb/><p>Der wohlhabende Effendi faͤhrt in einem dreiruderigen<lb/>
Kaik, er ſitzt auf einem Teppich, in zwei oder drei Pelze<lb/>
gehuͤllt, einen perſiſchen Shawl um den Leib gewickelt; vor<lb/>
ihm kauern die Pfeifenſtopfer, und der Kaffeeſchenker hin-<lb/>
ter ihm; ein oder zwei Diener von geringerem Rang halten<lb/>
ihrem Herrn einen großen Regenſchirm gegen die Sonne<lb/>
uͤber den Kopf. Der Schirm darf jedoch nicht roth ſein<lb/>
(das ſteht nur dem Großherrn ſelbſt zu), und wird uͤber-<lb/>
haupt zuſammengefaltet, ſobald ein Paſcha voruͤberfaͤhrt<lb/>
oder das Kaik an einem der Schloͤſſer des Padiſchah vor-<lb/>
beikommt. Die Kaikſchi oder Ruderer, große praͤchtige<lb/>
Leute, ſind gleichmaͤßig gekleidet: ein weites baumwollenes<lb/>
Beinkleid, ein halbſeidenes Hemd und ein kleines rothes<lb/>
Kaͤppchen auf dem kahl geſchorenen Kopfe bilden die ganze<lb/>
Toilette ſelbſt im Winter. Die Leute rudern ihre 7 bis<lb/>
8 Meilen hinter einander weg.</p><lb/><p>Bei ruhigem Wetter ſieht man wegen der großen Klar-<lb/>
heit des Waſſers den Grund des Meeres mit uͤberraſchen-<lb/>
der Deutlichkeit, und das Fahrzeug ſcheint uͤber einem Ab-<lb/>
grund zu ſchweben. Ein voͤllig glatter Spiegel iſt auf dem<lb/>
Bosphorus ſelten, zuweilen aber iſt die Flaͤche ſcheinbar<lb/>
eben, dennoch ziehen ſehr große breite Wellen, die aus dem<lb/>
Schwarzen Meere kommen, hinein. Auf der Waſſerflaͤche<lb/>
bemerkt man ſie kaum, aber am Ufer verurſachen ſie eine<lb/>ſtarke Brandung; dann iſt es uͤberraſchend, bei ganz ſtiller<lb/>
Luft und ſpiegelblanker Oberflaͤche des blauen Waſſers den<lb/></p></div></body></text></TEI>
[95/0105]
Die Tour von hier nach Konſtantinopel (uͤber drei
deutſche Meilen) legt man in anderthalb Stunden zuruͤck,
und ein Reiter am Ufer muͤßte ſchon ſehr ſcharf traben,
um mitzukommen; da hilft nun freilich die Stroͤmung, denn
umgekehrt, von Konſtantinopel nach Bujukdere, braucht man
mindeſtens drittehalb Stunden. Hiernach laͤßt ſich berech-
nen, daß die Stroͤmung im Bosphor in der Stunde drei
Viertel einer deutſchen Meile betraͤgt; mit einem ſchwer-
faͤlligern Fahrzeuge kaͤme man an den reißendſten Stellen
gar nicht fort.
Der wohlhabende Effendi faͤhrt in einem dreiruderigen
Kaik, er ſitzt auf einem Teppich, in zwei oder drei Pelze
gehuͤllt, einen perſiſchen Shawl um den Leib gewickelt; vor
ihm kauern die Pfeifenſtopfer, und der Kaffeeſchenker hin-
ter ihm; ein oder zwei Diener von geringerem Rang halten
ihrem Herrn einen großen Regenſchirm gegen die Sonne
uͤber den Kopf. Der Schirm darf jedoch nicht roth ſein
(das ſteht nur dem Großherrn ſelbſt zu), und wird uͤber-
haupt zuſammengefaltet, ſobald ein Paſcha voruͤberfaͤhrt
oder das Kaik an einem der Schloͤſſer des Padiſchah vor-
beikommt. Die Kaikſchi oder Ruderer, große praͤchtige
Leute, ſind gleichmaͤßig gekleidet: ein weites baumwollenes
Beinkleid, ein halbſeidenes Hemd und ein kleines rothes
Kaͤppchen auf dem kahl geſchorenen Kopfe bilden die ganze
Toilette ſelbſt im Winter. Die Leute rudern ihre 7 bis
8 Meilen hinter einander weg.
Bei ruhigem Wetter ſieht man wegen der großen Klar-
heit des Waſſers den Grund des Meeres mit uͤberraſchen-
der Deutlichkeit, und das Fahrzeug ſcheint uͤber einem Ab-
grund zu ſchweben. Ein voͤllig glatter Spiegel iſt auf dem
Bosphorus ſelten, zuweilen aber iſt die Flaͤche ſcheinbar
eben, dennoch ziehen ſehr große breite Wellen, die aus dem
Schwarzen Meere kommen, hinein. Auf der Waſſerflaͤche
bemerkt man ſie kaum, aber am Ufer verurſachen ſie eine
ſtarke Brandung; dann iſt es uͤberraſchend, bei ganz ſtiller
Luft und ſpiegelblanker Oberflaͤche des blauen Waſſers den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/105>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.