sittlich sei, sind auf verschiedenen Gesittigungsstufen der Ein- zelnen und ganzer Völker sehr verschieden, sowohl dem Gegen- stande als dem Umfange nach. Offenbar muß, wenn dem Begriffe des Staates ein Inhalt und seinem Handeln ein bestimmtes, beurtheilbares Ziel gesetzt werden will, auch die gegen- ständliche Aufgabe des organisirten Zusammenlebens bestimmt werden. Geschieht dieß aber, dann laufen auch bald die Forderungen auseinander je nach den subjectiven Auffassungen und den äußeren Verhältnissen; und es bleibt also nichts übrig, als -- wie in der oben, § 11, aufgestellten Begriffsbestimmung geschehen ist -- die Förderung sämmtlicher nicht unvernünftiger Lebenszwecke als Aufgabe zu erklären. Wollte aber etwa nur ein einzelner positiver Zustand als der ausschließlich sittliche und somit erlaubte anerkannt werden, so entstünde daraus dieselbe ungerechtfertigte Beschränkung, wie sie durch einen ausschließlich religiösen Glauben erzeugt würde. Der verküm- mernde und ungerechte Zwang weltlicher Philosophie ist ebenso unerträglich, als der eines religiösen Dogma's. Auch darf nicht übersehen werden, daß eine große Menge ganz und gar nicht unvernünftiger Lebenszwecke mit der Sittlichkeit un- mittelbar gar nichts zu thun haben, (so namentlich alle Be- mühungen um eine Herrschaft über die Naturkräfte,) und doch unzweifelhaft Gegenstand der staatlichen Fürsorge sind. Ent- weder müßte also in Beziehung auf diese der Umfang der staatlichen Aufgabe in unerlaubter und unnützlicher Weise beschränkt, oder ihre Einbeziehung auf erkünstelte und unwahre Art erschlichen werden. Ersteres ist practisch, dieses aber wissenschaftlich unzulässig.
Noch ist es übrigens nicht überflüssig, auch noch solche in der Feststellung des Staatsbegriffes begangene Fehler bemerk- lich zu machen, welche zwar nur einzelne Merkmale betreffen und somit auf den Kern der Sache nicht eingehen, aber doch,
ſittlich ſei, ſind auf verſchiedenen Geſittigungsſtufen der Ein- zelnen und ganzer Völker ſehr verſchieden, ſowohl dem Gegen- ſtande als dem Umfange nach. Offenbar muß, wenn dem Begriffe des Staates ein Inhalt und ſeinem Handeln ein beſtimmtes, beurtheilbares Ziel geſetzt werden will, auch die gegen- ſtändliche Aufgabe des organiſirten Zuſammenlebens beſtimmt werden. Geſchieht dieß aber, dann laufen auch bald die Forderungen auseinander je nach den ſubjectiven Auffaſſungen und den äußeren Verhältniſſen; und es bleibt alſo nichts übrig, als — wie in der oben, § 11, aufgeſtellten Begriffsbeſtimmung geſchehen iſt — die Förderung ſämmtlicher nicht unvernünftiger Lebenszwecke als Aufgabe zu erklären. Wollte aber etwa nur ein einzelner poſitiver Zuſtand als der ausſchließlich ſittliche und ſomit erlaubte anerkannt werden, ſo entſtünde daraus dieſelbe ungerechtfertigte Beſchränkung, wie ſie durch einen ausſchließlich religiöſen Glauben erzeugt würde. Der verküm- mernde und ungerechte Zwang weltlicher Philoſophie iſt ebenſo unerträglich, als der eines religiöſen Dogma’s. Auch darf nicht überſehen werden, daß eine große Menge ganz und gar nicht unvernünftiger Lebenszwecke mit der Sittlichkeit un- mittelbar gar nichts zu thun haben, (ſo namentlich alle Be- mühungen um eine Herrſchaft über die Naturkräfte,) und doch unzweifelhaft Gegenſtand der ſtaatlichen Fürſorge ſind. Ent- weder müßte alſo in Beziehung auf dieſe der Umfang der ſtaatlichen Aufgabe in unerlaubter und unnützlicher Weiſe beſchränkt, oder ihre Einbeziehung auf erkünſtelte und unwahre Art erſchlichen werden. Erſteres iſt practiſch, dieſes aber wiſſenſchaftlich unzuläſſig.
Noch iſt es übrigens nicht überflüſſig, auch noch ſolche in der Feſtſtellung des Staatsbegriffes begangene Fehler bemerk- lich zu machen, welche zwar nur einzelne Merkmale betreffen und ſomit auf den Kern der Sache nicht eingehen, aber doch,
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ſittlich ſei, ſind auf verſchiedenen Geſittigungsſtufen der Ein-
zelnen und ganzer Völker ſehr verſchieden, ſowohl dem Gegen-
ſtande als dem Umfange nach. Offenbar muß, wenn dem
Begriffe des Staates ein Inhalt und ſeinem Handeln ein
beſtimmtes, beurtheilbares Ziel geſetzt werden will, auch die gegen-
ſtändliche Aufgabe des organiſirten Zuſammenlebens beſtimmt
werden. Geſchieht dieß aber, dann laufen auch bald die
Forderungen auseinander je nach den ſubjectiven Auffaſſungen
und den äußeren Verhältniſſen; und es bleibt alſo nichts übrig,
als — wie in der oben, § 11, aufgeſtellten Begriffsbeſtimmung
geſchehen iſt — die Förderung ſämmtlicher nicht unvernünftiger
Lebenszwecke als Aufgabe zu erklären. Wollte aber etwa nur
ein einzelner poſitiver Zuſtand als der ausſchließlich ſittliche
und ſomit erlaubte anerkannt werden, ſo entſtünde daraus
dieſelbe ungerechtfertigte Beſchränkung, wie ſie durch einen
ausſchließlich religiöſen Glauben erzeugt würde. Der verküm-
mernde und ungerechte Zwang weltlicher Philoſophie iſt ebenſo
unerträglich, als der eines religiöſen Dogma’s. Auch darf
nicht überſehen werden, daß eine große Menge ganz und gar
nicht unvernünftiger Lebenszwecke mit der Sittlichkeit un-
mittelbar gar nichts zu thun haben, (ſo namentlich alle Be-
mühungen um eine Herrſchaft über die Naturkräfte,) und doch
unzweifelhaft Gegenſtand der ſtaatlichen Fürſorge ſind. Ent-
weder müßte alſo in Beziehung auf dieſe der Umfang der
ſtaatlichen Aufgabe in unerlaubter und unnützlicher Weiſe
beſchränkt, oder ihre Einbeziehung auf erkünſtelte und unwahre
Art erſchlichen werden. Erſteres iſt practiſch, dieſes aber
wiſſenſchaftlich unzuläſſig.
Noch iſt es übrigens nicht überflüſſig, auch noch ſolche
in der Feſtſtellung des Staatsbegriffes begangene Fehler bemerk-
lich zu machen, welche zwar nur einzelne Merkmale betreffen
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/93>, abgerufen am 27.11.2024.
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