Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

welcher eine allgemeine Einheit des Volkslebens durchführte,
u. s. w. Die fragliche Begriffsbestimmung schließt also einen
wesentlichen Theil der von ihr zu begreifenden Zustände aus.
Sodann aber ist in jedem Staate, welcher Art er immer sei,
weit mehr zu leisten, als bloßer Rechtsschutz. Jeder Blick
ins tägliche Leben zeigt, daß auch noch vielfache Hülfe und
Unterstützung in solchen Beziehungen gefordert und geleistet
wird, wo von einem Rechte gar die Rede nicht ist. So z. B.
Bewahrung gegen schädliche Einwirkung der Naturkräfte, Er-
leichterung von Verkehr, Förderung der gesammten geistigen
Ausbildung u. s. w. Selbst die vollkommenste, von Menschen
gar nie erreichbare, Herstellung der Rechtsordnung würde den
thatsächlich vorhandenen Bedürfnissen eines Volkes durchaus
nicht genügen; dieses also auf keiner Gesittigungsstufe eine
volle Berücksichtigung der Gründe finden, welche einen einheit-
lichen Organismus des Zusammenlebens nothwendig machen 4).

3. Der Staat wird erklärt als eine Gesellschaft zur
Herstellung des Menschheitszweckes. -- So gewiß nun
der Staat eines der Mittel ist, um die Erreichung menschlicher
Lebenszwecke zu fördern, so darf doch dieser allgemeinen Dienst-
leistung weder der beschränkte Sinn unterlegt werden, daß nur
ein einzelner bestimmter Zweck den Menschen gesetzt und erlaubt,
und also auch nur dieser die berechtigte Aufgabe des Staates
sei; noch ist es richtig, dem Staate die unmittelbare und eigene
Erreichung der menschlichen Zwecke zu übertragen. -- Die
Unzulässigkeit der ersteren Annahme ist bereits nachgewiesen
(s. § 2 und 11). Auf welche Weise denn also auch immer
der Eine Menschheitszweck bestimmt würde, immer wäre er
nur theilweise wahr, hinsichtlich aller andern Zustände aber
würde eine Ungerechtigkeit begangen oder eine Unmöglichkeit
verlangt. Und hieran wird nicht etwa dadurch etwas geändert,
daß der Zweck möglichst hoch und weit gesteckt würde, oder

welcher eine allgemeine Einheit des Volkslebens durchführte,
u. ſ. w. Die fragliche Begriffsbeſtimmung ſchließt alſo einen
weſentlichen Theil der von ihr zu begreifenden Zuſtände aus.
Sodann aber iſt in jedem Staate, welcher Art er immer ſei,
weit mehr zu leiſten, als bloßer Rechtsſchutz. Jeder Blick
ins tägliche Leben zeigt, daß auch noch vielfache Hülfe und
Unterſtützung in ſolchen Beziehungen gefordert und geleiſtet
wird, wo von einem Rechte gar die Rede nicht iſt. So z. B.
Bewahrung gegen ſchädliche Einwirkung der Naturkräfte, Er-
leichterung von Verkehr, Förderung der geſammten geiſtigen
Ausbildung u. ſ. w. Selbſt die vollkommenſte, von Menſchen
gar nie erreichbare, Herſtellung der Rechtsordnung würde den
thatſächlich vorhandenen Bedürfniſſen eines Volkes durchaus
nicht genügen; dieſes alſo auf keiner Geſittigungsſtufe eine
volle Berückſichtigung der Gründe finden, welche einen einheit-
lichen Organismus des Zuſammenlebens nothwendig machen 4).

3. Der Staat wird erklärt als eine Geſellſchaft zur
Herſtellung des Menſchheitszweckes. — So gewiß nun
der Staat eines der Mittel iſt, um die Erreichung menſchlicher
Lebenszwecke zu fördern, ſo darf doch dieſer allgemeinen Dienſt-
leiſtung weder der beſchränkte Sinn unterlegt werden, daß nur
ein einzelner beſtimmter Zweck den Menſchen geſetzt und erlaubt,
und alſo auch nur dieſer die berechtigte Aufgabe des Staates
ſei; noch iſt es richtig, dem Staate die unmittelbare und eigene
Erreichung der menſchlichen Zwecke zu übertragen. — Die
Unzuläſſigkeit der erſteren Annahme iſt bereits nachgewieſen
(ſ. § 2 und 11). Auf welche Weiſe denn alſo auch immer
der Eine Menſchheitszweck beſtimmt würde, immer wäre er
nur theilweiſe wahr, hinſichtlich aller andern Zuſtände aber
würde eine Ungerechtigkeit begangen oder eine Unmöglichkeit
verlangt. Und hieran wird nicht etwa dadurch etwas geändert,
daß der Zweck möglichſt hoch und weit geſteckt würde, oder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0090" n="76"/>
welcher eine allgemeine Einheit des Volkslebens durchführte,<lb/>
u. &#x017F;. w. Die fragliche Begriffsbe&#x017F;timmung &#x017F;chließt al&#x017F;o einen<lb/>
we&#x017F;entlichen Theil der von ihr zu begreifenden Zu&#x017F;tände aus.<lb/>
Sodann aber i&#x017F;t in jedem Staate, welcher Art er immer &#x017F;ei,<lb/>
weit mehr zu lei&#x017F;ten, als bloßer Rechts&#x017F;chutz. Jeder Blick<lb/>
ins tägliche Leben zeigt, daß auch noch vielfache Hülfe und<lb/>
Unter&#x017F;tützung in &#x017F;olchen Beziehungen gefordert und gelei&#x017F;tet<lb/>
wird, wo von einem Rechte gar die Rede nicht i&#x017F;t. So z. B.<lb/>
Bewahrung gegen &#x017F;chädliche Einwirkung der Naturkräfte, Er-<lb/>
leichterung von Verkehr, Förderung der ge&#x017F;ammten gei&#x017F;tigen<lb/>
Ausbildung u. &#x017F;. w. Selb&#x017F;t die vollkommen&#x017F;te, von Men&#x017F;chen<lb/>
gar nie erreichbare, Her&#x017F;tellung der Rechtsordnung würde den<lb/>
that&#x017F;ächlich vorhandenen Bedürfni&#x017F;&#x017F;en eines Volkes durchaus<lb/>
nicht genügen; die&#x017F;es al&#x017F;o auf keiner Ge&#x017F;ittigungs&#x017F;tufe eine<lb/>
volle Berück&#x017F;ichtigung der Gründe finden, welche einen einheit-<lb/>
lichen Organismus des Zu&#x017F;ammenlebens nothwendig machen <hi rendition="#sup">4</hi>).</p><lb/>
            <p>3. Der Staat wird erklärt als eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zur<lb/>
Her&#x017F;tellung <hi rendition="#g">des Men&#x017F;chheitszweckes</hi>. &#x2014; So gewiß nun<lb/>
der Staat eines der Mittel i&#x017F;t, um die Erreichung men&#x017F;chlicher<lb/>
Lebenszwecke zu fördern, &#x017F;o darf doch die&#x017F;er allgemeinen Dien&#x017F;t-<lb/>
lei&#x017F;tung weder der be&#x017F;chränkte Sinn unterlegt werden, daß nur<lb/>
ein einzelner be&#x017F;timmter Zweck den Men&#x017F;chen ge&#x017F;etzt und erlaubt,<lb/>
und al&#x017F;o auch nur die&#x017F;er die berechtigte Aufgabe des Staates<lb/>
&#x017F;ei; noch i&#x017F;t es richtig, dem Staate die unmittelbare und eigene<lb/>
Erreichung der men&#x017F;chlichen Zwecke zu übertragen. &#x2014; Die<lb/>
Unzulä&#x017F;&#x017F;igkeit der er&#x017F;teren Annahme i&#x017F;t bereits nachgewie&#x017F;en<lb/>
(&#x017F;. § 2 und 11). Auf welche Wei&#x017F;e denn al&#x017F;o auch immer<lb/>
der Eine Men&#x017F;chheitszweck be&#x017F;timmt würde, immer wäre er<lb/>
nur theilwei&#x017F;e wahr, hin&#x017F;ichtlich aller andern Zu&#x017F;tände aber<lb/>
würde eine Ungerechtigkeit begangen oder eine Unmöglichkeit<lb/>
verlangt. Und hieran wird nicht etwa dadurch etwas geändert,<lb/>
daß der Zweck möglich&#x017F;t hoch und weit ge&#x017F;teckt würde, oder<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0090] welcher eine allgemeine Einheit des Volkslebens durchführte, u. ſ. w. Die fragliche Begriffsbeſtimmung ſchließt alſo einen weſentlichen Theil der von ihr zu begreifenden Zuſtände aus. Sodann aber iſt in jedem Staate, welcher Art er immer ſei, weit mehr zu leiſten, als bloßer Rechtsſchutz. Jeder Blick ins tägliche Leben zeigt, daß auch noch vielfache Hülfe und Unterſtützung in ſolchen Beziehungen gefordert und geleiſtet wird, wo von einem Rechte gar die Rede nicht iſt. So z. B. Bewahrung gegen ſchädliche Einwirkung der Naturkräfte, Er- leichterung von Verkehr, Förderung der geſammten geiſtigen Ausbildung u. ſ. w. Selbſt die vollkommenſte, von Menſchen gar nie erreichbare, Herſtellung der Rechtsordnung würde den thatſächlich vorhandenen Bedürfniſſen eines Volkes durchaus nicht genügen; dieſes alſo auf keiner Geſittigungsſtufe eine volle Berückſichtigung der Gründe finden, welche einen einheit- lichen Organismus des Zuſammenlebens nothwendig machen 4). 3. Der Staat wird erklärt als eine Geſellſchaft zur Herſtellung des Menſchheitszweckes. — So gewiß nun der Staat eines der Mittel iſt, um die Erreichung menſchlicher Lebenszwecke zu fördern, ſo darf doch dieſer allgemeinen Dienſt- leiſtung weder der beſchränkte Sinn unterlegt werden, daß nur ein einzelner beſtimmter Zweck den Menſchen geſetzt und erlaubt, und alſo auch nur dieſer die berechtigte Aufgabe des Staates ſei; noch iſt es richtig, dem Staate die unmittelbare und eigene Erreichung der menſchlichen Zwecke zu übertragen. — Die Unzuläſſigkeit der erſteren Annahme iſt bereits nachgewieſen (ſ. § 2 und 11). Auf welche Weiſe denn alſo auch immer der Eine Menſchheitszweck beſtimmt würde, immer wäre er nur theilweiſe wahr, hinſichtlich aller andern Zuſtände aber würde eine Ungerechtigkeit begangen oder eine Unmöglichkeit verlangt. Und hieran wird nicht etwa dadurch etwas geändert, daß der Zweck möglichſt hoch und weit geſteckt würde, oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/90
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/90>, abgerufen am 24.11.2024.