und somit ist nicht einmal dem Wortlaute nach unzweifelhaft, was denn über das Wesen des Staates ausgesagt werden will. -- Zweitens aber ist jedes der beiden möglichen Glieder der Alternative unrichtig. Versteht man nämlich unter Glück subjectives Wohlbefinden, so besteht jenes in einem individuellen Urtheile und Gefühle der Staatstheilnehmer. Nach aller Kennt- niß von den Menschen aber ist es geradezu eine Unmöglichkeit, alle und jede einzelnen Individuen durch dieselbe Handlungs- weise, durch denselben Zustand zufrieden zu stellen. Ueberdies besteht gar keine Sicherheit dafür, daß gerade die dem Staate möglichen Maßregeln ein solches Gefühl der Zufriedenheit hervorrufen können; ja nicht einmal dafür, daß die Vernunft- mäßigkeit eines Zustandes diese Wirkung unter allen Umständen hervorbringt. In dieser Voraussetzung also wird dem Staate eine unmögliche Aufgabe gesetzt. Wird aber Glück im objectiven Sinne gewonnen, so müßte vor Allem angegeben sein, welches denn der Zustand sei, mit welchem Alle zufrieden zu sein die Verpflichtung haben. Dies geschieht nun aber nicht; und so ist über Aufgabe und Wesen des Staates gar nichts gesagt. -- Drittens ist es eine falsche Auffassung von der Berechtigung des Menschen hinsichtlich seines irdischen Lebens. Derselbe hat in seinem gegenwärtigen Dasein unzweifelhaft bestimmte Aufgaben zu erfüllen; und zu den hierzu nothwendigen Mitteln ist er allerdings berechtigt. Unter Aufgaben und Mitteln ist nun aber Glück weder aus den geistigen noch aus den körper- lichen Eigenschaften des Menschen, und eben so wenig aus seiner wahrscheinlichen künftigen Bestimmung nachweisbar. Wenn also die Erreichung der Lebensaufgabe und der Besitz der dazu dienlichen Mittel den Einzelnen glücklich macht: so ist dies zwar ein angenehmer Zufall und braucht nicht von der Hand gewiesen zu werden; allein nicht dadurch erfüllt er seinen Lebenszweck, und nicht dazu werden ihm die für letzteren
und ſomit iſt nicht einmal dem Wortlaute nach unzweifelhaft, was denn über das Weſen des Staates ausgeſagt werden will. — Zweitens aber iſt jedes der beiden möglichen Glieder der Alternative unrichtig. Verſteht man nämlich unter Glück ſubjectives Wohlbefinden, ſo beſteht jenes in einem individuellen Urtheile und Gefühle der Staatstheilnehmer. Nach aller Kennt- niß von den Menſchen aber iſt es geradezu eine Unmöglichkeit, alle und jede einzelnen Individuen durch dieſelbe Handlungs- weiſe, durch denſelben Zuſtand zufrieden zu ſtellen. Ueberdies beſteht gar keine Sicherheit dafür, daß gerade die dem Staate möglichen Maßregeln ein ſolches Gefühl der Zufriedenheit hervorrufen können; ja nicht einmal dafür, daß die Vernunft- mäßigkeit eines Zuſtandes dieſe Wirkung unter allen Umſtänden hervorbringt. In dieſer Vorausſetzung alſo wird dem Staate eine unmögliche Aufgabe geſetzt. Wird aber Glück im objectiven Sinne gewonnen, ſo müßte vor Allem angegeben ſein, welches denn der Zuſtand ſei, mit welchem Alle zufrieden zu ſein die Verpflichtung haben. Dies geſchieht nun aber nicht; und ſo iſt über Aufgabe und Weſen des Staates gar nichts geſagt. — Drittens iſt es eine falſche Auffaſſung von der Berechtigung des Menſchen hinſichtlich ſeines irdiſchen Lebens. Derſelbe hat in ſeinem gegenwärtigen Daſein unzweifelhaft beſtimmte Aufgaben zu erfüllen; und zu den hierzu nothwendigen Mitteln iſt er allerdings berechtigt. Unter Aufgaben und Mitteln iſt nun aber Glück weder aus den geiſtigen noch aus den körper- lichen Eigenſchaften des Menſchen, und eben ſo wenig aus ſeiner wahrſcheinlichen künftigen Beſtimmung nachweisbar. Wenn alſo die Erreichung der Lebensaufgabe und der Beſitz der dazu dienlichen Mittel den Einzelnen glücklich macht: ſo iſt dies zwar ein angenehmer Zufall und braucht nicht von der Hand gewieſen zu werden; allein nicht dadurch erfüllt er ſeinen Lebenszweck, und nicht dazu werden ihm die für letzteren
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0088"n="74"/>
und ſomit iſt nicht einmal dem Wortlaute nach unzweifelhaft,<lb/>
was denn über das Weſen des Staates ausgeſagt werden will.<lb/>— Zweitens aber iſt jedes der beiden möglichen Glieder der<lb/>
Alternative unrichtig. Verſteht man nämlich unter Glück<lb/>ſubjectives Wohlbefinden, ſo beſteht jenes in einem individuellen<lb/>
Urtheile und Gefühle der Staatstheilnehmer. Nach aller Kennt-<lb/>
niß von den Menſchen aber iſt es geradezu eine Unmöglichkeit,<lb/>
alle und jede einzelnen Individuen durch dieſelbe Handlungs-<lb/>
weiſe, durch denſelben Zuſtand zufrieden zu ſtellen. Ueberdies<lb/>
beſteht gar keine Sicherheit dafür, daß gerade die dem Staate<lb/>
möglichen Maßregeln ein ſolches Gefühl der Zufriedenheit<lb/>
hervorrufen können; ja nicht einmal dafür, daß die Vernunft-<lb/>
mäßigkeit eines Zuſtandes dieſe Wirkung unter allen Umſtänden<lb/>
hervorbringt. In dieſer Vorausſetzung alſo wird dem Staate<lb/>
eine unmögliche Aufgabe geſetzt. Wird aber Glück im objectiven<lb/>
Sinne gewonnen, ſo müßte vor Allem angegeben ſein, welches<lb/>
denn der Zuſtand ſei, mit welchem Alle zufrieden zu ſein die<lb/>
Verpflichtung haben. Dies geſchieht nun aber nicht; und ſo<lb/>
iſt über Aufgabe und Weſen des Staates gar nichts geſagt. —<lb/>
Drittens iſt es eine falſche Auffaſſung von der Berechtigung<lb/>
des Menſchen hinſichtlich ſeines irdiſchen Lebens. Derſelbe<lb/>
hat in ſeinem gegenwärtigen Daſein unzweifelhaft beſtimmte<lb/>
Aufgaben zu erfüllen; und zu den hierzu nothwendigen Mitteln<lb/>
iſt er allerdings berechtigt. Unter Aufgaben und Mitteln iſt<lb/>
nun aber Glück weder aus den geiſtigen noch aus den körper-<lb/>
lichen Eigenſchaften des Menſchen, und eben ſo wenig aus<lb/>ſeiner wahrſcheinlichen künftigen Beſtimmung nachweisbar. Wenn<lb/>
alſo die Erreichung der Lebensaufgabe und der Beſitz der dazu<lb/>
dienlichen Mittel den Einzelnen glücklich macht: ſo iſt dies<lb/>
zwar ein angenehmer Zufall und braucht nicht von der Hand<lb/>
gewieſen zu werden; allein nicht dadurch erfüllt er ſeinen<lb/>
Lebenszweck, und nicht dazu werden ihm die für letzteren<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[74/0088]
und ſomit iſt nicht einmal dem Wortlaute nach unzweifelhaft,
was denn über das Weſen des Staates ausgeſagt werden will.
— Zweitens aber iſt jedes der beiden möglichen Glieder der
Alternative unrichtig. Verſteht man nämlich unter Glück
ſubjectives Wohlbefinden, ſo beſteht jenes in einem individuellen
Urtheile und Gefühle der Staatstheilnehmer. Nach aller Kennt-
niß von den Menſchen aber iſt es geradezu eine Unmöglichkeit,
alle und jede einzelnen Individuen durch dieſelbe Handlungs-
weiſe, durch denſelben Zuſtand zufrieden zu ſtellen. Ueberdies
beſteht gar keine Sicherheit dafür, daß gerade die dem Staate
möglichen Maßregeln ein ſolches Gefühl der Zufriedenheit
hervorrufen können; ja nicht einmal dafür, daß die Vernunft-
mäßigkeit eines Zuſtandes dieſe Wirkung unter allen Umſtänden
hervorbringt. In dieſer Vorausſetzung alſo wird dem Staate
eine unmögliche Aufgabe geſetzt. Wird aber Glück im objectiven
Sinne gewonnen, ſo müßte vor Allem angegeben ſein, welches
denn der Zuſtand ſei, mit welchem Alle zufrieden zu ſein die
Verpflichtung haben. Dies geſchieht nun aber nicht; und ſo
iſt über Aufgabe und Weſen des Staates gar nichts geſagt. —
Drittens iſt es eine falſche Auffaſſung von der Berechtigung
des Menſchen hinſichtlich ſeines irdiſchen Lebens. Derſelbe
hat in ſeinem gegenwärtigen Daſein unzweifelhaft beſtimmte
Aufgaben zu erfüllen; und zu den hierzu nothwendigen Mitteln
iſt er allerdings berechtigt. Unter Aufgaben und Mitteln iſt
nun aber Glück weder aus den geiſtigen noch aus den körper-
lichen Eigenſchaften des Menſchen, und eben ſo wenig aus
ſeiner wahrſcheinlichen künftigen Beſtimmung nachweisbar. Wenn
alſo die Erreichung der Lebensaufgabe und der Beſitz der dazu
dienlichen Mittel den Einzelnen glücklich macht: ſo iſt dies
zwar ein angenehmer Zufall und braucht nicht von der Hand
gewieſen zu werden; allein nicht dadurch erfüllt er ſeinen
Lebenszweck, und nicht dazu werden ihm die für letzteren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/88>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.