staatsrechtlichen Einordnung in ein einheitliches Ganzes verstehen. Vgl. oben, § 7, Seite 34. Als Kriegsanstalt ist natürlich von diesen beiden Bundesarten die letztere die entschieden kräf- tigere und schützendere; auch mag sie außer der Vertheidigung gegen Fremde noch eine Menge von Bedürfnissen befriedigen, welche von den vereinzelten Mitgliedern nicht bewältigt werden könnten: aber sie fordert die Aufopferung eines beträchtlichen Theiles der Selbstständigkeit sogar in inneren Dingen. Die Gründung eines Bundesstaates ist daher selbst in Republiken nur nach schweren Erfahrungen über die heimischen und äußeren Nachtheile einer Kleinstaaterei zu erwarten; Fürstenthümer gar bewegt erst die äußerste Gefahr von Außen oder im Innern dazu, weil hier zu der überall vorhandenen Abneigung einer Aufgebung voller staatlicher Persönlichkeit auch noch ein Abscheu der Regierenden und ihrer gesammten Familien gegen ein herabsteigen in ein Verhältniß des staatlichen Gehorsams kommt 3).
1) Die Weltgeschichte ist voll von Beweisen der Unzuverlässigkeit und Wandelbarkeit der Bündnisse. Die Schwierigkeiten, eine zahlreiche Verbin- dung zusammenzuhalten und zu gutem Ende zu führen, sind gewöhnlich selbst in solchen Fällen kaum überwindlich gewesen, wo die höchste Gefahr durch einen übermächtigen Feind vor Augen lag. Wie belehrend sind in dieser Beziehung z. B. die Erfahrungen der großen Allianzen gegen Lud- wig XIV, der Verbindung gegen Friedrich den Großen, der ganze Hergang der europäischen Coalitionen und Kriegführungen gegen die französische Re- volution von 1792 bis zum zweiten Sturze Napoleons; endlich selbst wieder die Begebenheiten in deren jüngsten großen Berbündungskriege gegen Rußland!
2) Wenn es eines Beleges für die behauptete Unzuträglichkeit einer Absendung von Bevollmächtigten zum Hauptquartiere eines Oberfeldherrn bedürfte, so würden ihn namentlich die unberechenbaren Nachtheile liefern, welchen die zur Ueberwachung Marlborough's abgeordneten holländischen Commissäre der gemeinschaftlichen Sache zufügten. Es ist nicht zu viel ge- sagt, wenn vor Allem ihrer Stumpfheit, ihrem Neide und ihrem Eigen- sinne die Rettung Ludwig's XIV. zugeschrieben wird. -- Schwerlich kann es daher als ein glücklicher Gedanke erkannt werden, wenn in der Kriegs-
ſtaatsrechtlichen Einordnung in ein einheitliches Ganzes verſtehen. Vgl. oben, § 7, Seite 34. Als Kriegsanſtalt iſt natürlich von dieſen beiden Bundesarten die letztere die entſchieden kräf- tigere und ſchützendere; auch mag ſie außer der Vertheidigung gegen Fremde noch eine Menge von Bedürfniſſen befriedigen, welche von den vereinzelten Mitgliedern nicht bewältigt werden könnten: aber ſie fordert die Aufopferung eines beträchtlichen Theiles der Selbſtſtändigkeit ſogar in inneren Dingen. Die Gründung eines Bundesſtaates iſt daher ſelbſt in Republiken nur nach ſchweren Erfahrungen über die heimiſchen und äußeren Nachtheile einer Kleinſtaaterei zu erwarten; Fürſtenthümer gar bewegt erſt die äußerſte Gefahr von Außen oder im Innern dazu, weil hier zu der überall vorhandenen Abneigung einer Aufgebung voller ſtaatlicher Perſönlichkeit auch noch ein Abſcheu der Regierenden und ihrer geſammten Familien gegen ein herabſteigen in ein Verhältniß des ſtaatlichen Gehorſams kommt 3).
1) Die Weltgeſchichte iſt voll von Beweiſen der Unzuverläſſigkeit und Wandelbarkeit der Bündniſſe. Die Schwierigkeiten, eine zahlreiche Verbin- dung zuſammenzuhalten und zu gutem Ende zu führen, ſind gewöhnlich ſelbſt in ſolchen Fällen kaum überwindlich geweſen, wo die höchſte Gefahr durch einen übermächtigen Feind vor Augen lag. Wie belehrend ſind in dieſer Beziehung z. B. die Erfahrungen der großen Allianzen gegen Lud- wig XIV, der Verbindung gegen Friedrich den Großen, der ganze Hergang der europäiſchen Coalitionen und Kriegführungen gegen die franzöſiſche Re- volution von 1792 bis zum zweiten Sturze Napoleons; endlich ſelbſt wieder die Begebenheiten in deren jüngſten großen Berbündungskriege gegen Rußland!
2) Wenn es eines Beleges für die behauptete Unzuträglichkeit einer Abſendung von Bevollmächtigten zum Hauptquartiere eines Oberfeldherrn bedürfte, ſo würden ihn namentlich die unberechenbaren Nachtheile liefern, welchen die zur Ueberwachung Marlborough’s abgeordneten holländiſchen Commiſſäre der gemeinſchaftlichen Sache zufügten. Es iſt nicht zu viel ge- ſagt, wenn vor Allem ihrer Stumpfheit, ihrem Neide und ihrem Eigen- ſinne die Rettung Ludwig’s XIV. zugeſchrieben wird. — Schwerlich kann es daher als ein glücklicher Gedanke erkannt werden, wenn in der Kriegs-
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ſtaatsrechtlichen Einordnung in ein einheitliches Ganzes verſtehen.
Vgl. oben, § 7, Seite 34. Als Kriegsanſtalt iſt natürlich
von dieſen beiden Bundesarten die letztere die entſchieden kräf-
tigere und ſchützendere; auch mag ſie außer der Vertheidigung
gegen Fremde noch eine Menge von Bedürfniſſen befriedigen,
welche von den vereinzelten Mitgliedern nicht bewältigt werden
könnten: aber ſie fordert die Aufopferung eines beträchtlichen
Theiles der Selbſtſtändigkeit ſogar in inneren Dingen. Die
Gründung eines Bundesſtaates iſt daher ſelbſt in Republiken
nur nach ſchweren Erfahrungen über die heimiſchen und äußeren
Nachtheile einer Kleinſtaaterei zu erwarten; Fürſtenthümer gar
bewegt erſt die äußerſte Gefahr von Außen oder im Innern
dazu, weil hier zu der überall vorhandenen Abneigung einer
Aufgebung voller ſtaatlicher Perſönlichkeit auch noch ein Abſcheu
der Regierenden und ihrer geſammten Familien gegen ein
herabſteigen in ein Verhältniß des ſtaatlichen Gehorſams
kommt 3).
¹⁾ Die Weltgeſchichte iſt voll von Beweiſen der Unzuverläſſigkeit und
Wandelbarkeit der Bündniſſe. Die Schwierigkeiten, eine zahlreiche Verbin-
dung zuſammenzuhalten und zu gutem Ende zu führen, ſind gewöhnlich
ſelbſt in ſolchen Fällen kaum überwindlich geweſen, wo die höchſte Gefahr
durch einen übermächtigen Feind vor Augen lag. Wie belehrend ſind in
dieſer Beziehung z. B. die Erfahrungen der großen Allianzen gegen Lud-
wig XIV, der Verbindung gegen Friedrich den Großen, der ganze Hergang
der europäiſchen Coalitionen und Kriegführungen gegen die franzöſiſche Re-
volution von 1792 bis zum zweiten Sturze Napoleons; endlich ſelbſt wieder
die Begebenheiten in deren jüngſten großen Berbündungskriege gegen
Rußland!
²⁾ Wenn es eines Beleges für die behauptete Unzuträglichkeit einer
Abſendung von Bevollmächtigten zum Hauptquartiere eines Oberfeldherrn
bedürfte, ſo würden ihn namentlich die unberechenbaren Nachtheile liefern,
welchen die zur Ueberwachung Marlborough’s abgeordneten holländiſchen
Commiſſäre der gemeinſchaftlichen Sache zufügten. Es iſt nicht zu viel ge-
ſagt, wenn vor Allem ihrer Stumpfheit, ihrem Neide und ihrem Eigen-
ſinne die Rettung Ludwig’s XIV. zugeſchrieben wird. — Schwerlich kann
es daher als ein glücklicher Gedanke erkannt werden, wenn in der Kriegs-
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 697. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/711>, abgerufen am 24.11.2024.
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