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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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5) Unmöglich kann man mit Stahl, Rechts- und Staatslehre, Buch II,
Kap. 2, den Unterschied zwischen Recht und Moral im letzten Grunde darin
finden, daß das Recht das sittliche Handeln der Menschen in Beziehung
auf die Norm und Ordnung des Gemeinlebens sei, die Moral dagegen
der sittlich vollendete Wille des Einzelnen in Beziehung auf Einzelne.
Einer Seits ist eine äußerlich bestimmte und erzwingbare Feststellung der
gegenseitigen Verhältnisse unter Einzelnen auch ohne alle Beziehung auf den
Staat und ohne Vermittlung durch denselben denkbar und nothwendig.
Unrecht zwischen Einzelnen soll schon an und für sich und wegen der Er-
reichung der individuellen Lebenszwecke nicht sein, keineswegs blos weil da-
durch die Ordnung des Zusammenlebens gestört würde. Anderer Seits
aber ist gar nicht einzusehen, warum der sittlich vollendete Wille des Men-
schen nur für die verhältnißmäßig weniger wichtigen Beziehungen zu Ein-
zelnen in Anspruch genommen werden sollte, nicht aber auch zur bestmöglichen
Beschaffenheit und Wirksamkeit des Allen gemeinschaftlichen Lebensverhältnisses
des Staates. Auch wenn man die Sittlichkeit als vollendete Persönlichkeit
auffaßt, ist doch offenbar die Vollendung erst dann erreicht, wenn auch
gegenüber von der Gesammtheit das Richtige geleistet wird. Zwar kann,
bei der allgemeinen Unvollkommenheit und sittlichen Mangelhaftigkeit der
Menschen, der Staat nicht blos auf Moral gestellt sein; es bedarf vor Allem
äußere, im Nothfalle erzwingbare Ordnung durch das Recht: allein dieß
hindert nicht, daß das Höhere auf die itzt gesicherte Grundlage gebaut, das
Feinere der zuerst aufgestellten gröberen Stütze beigefügt werde.
6) Die Bezeichnung "Nationalökonomie," "Staatswirthschaftslehre," "eco-
nomie politique,
" darf nicht zur Aufnahme der Wirthschaftslehre unter
die Zahl der Staatswissenschaften verführen. Wenn, selbstredend, eine Staats-
wissenschaft nur eine solche Lehre ist, welche sich mit dem Staate beschäftigt:
so ist einleuchtend, daß die Nationalökonomie, welchen Namen man ihr auch
immer geben mag, nur zu ihrem geringeren Theile diesem Kreise angehört.
Die sämmtlichen allgemeinen Lehren derselben, also über Gut, Werth, Preis,
Kapital, Arbeitskräfte und Arbeitstheilung, Erzeugung und Verzehrung der
Güter, Kredit, Verhältniß der verschiedenen Beschäftigungsarten unter einander
u. s. w., haben mit dem Staate gar nichts besonderes zu thun, und gelten
für jeden menschlichen Lebenskreis, von dem der einzelnen Persönlichkeit an
aufwärts. Nur also da, wo es sich von Forderungen an den Staat zur
Unterstützung in wirthschaftlichen Dingen mittelst der Gesammtkraft oder
von dem eigenen Haushalte des Staates handelt, gehören die Lehren der
Wirthschaftswissenschaft in den Kreis der staatlichen Disciplinen, wo sie denn,
je nach Zweck und System des Einzelnen, als eigene und besonders bezeich-
nete Wissenschaften (ökonomische Politik und Finanzwissenschaft), oder nur
als Theile der gesammten innern Staatskunst behandelt werden mögen.
5) Unmöglich kann man mit Stahl, Rechts- und Staatslehre, Buch II,
Kap. 2, den Unterſchied zwiſchen Recht und Moral im letzten Grunde darin
finden, daß das Recht das ſittliche Handeln der Menſchen in Beziehung
auf die Norm und Ordnung des Gemeinlebens ſei, die Moral dagegen
der ſittlich vollendete Wille des Einzelnen in Beziehung auf Einzelne.
Einer Seits iſt eine äußerlich beſtimmte und erzwingbare Feſtſtellung der
gegenſeitigen Verhältniſſe unter Einzelnen auch ohne alle Beziehung auf den
Staat und ohne Vermittlung durch denſelben denkbar und nothwendig.
Unrecht zwiſchen Einzelnen ſoll ſchon an und für ſich und wegen der Er-
reichung der individuellen Lebenszwecke nicht ſein, keineswegs blos weil da-
durch die Ordnung des Zuſammenlebens geſtört würde. Anderer Seits
aber iſt gar nicht einzuſehen, warum der ſittlich vollendete Wille des Men-
ſchen nur für die verhältnißmäßig weniger wichtigen Beziehungen zu Ein-
zelnen in Anſpruch genommen werden ſollte, nicht aber auch zur beſtmöglichen
Beſchaffenheit und Wirkſamkeit des Allen gemeinſchaftlichen Lebensverhältniſſes
des Staates. Auch wenn man die Sittlichkeit als vollendete Perſönlichkeit
auffaßt, iſt doch offenbar die Vollendung erſt dann erreicht, wenn auch
gegenüber von der Geſammtheit das Richtige geleiſtet wird. Zwar kann,
bei der allgemeinen Unvollkommenheit und ſittlichen Mangelhaftigkeit der
Menſchen, der Staat nicht blos auf Moral geſtellt ſein; es bedarf vor Allem
äußere, im Nothfalle erzwingbare Ordnung durch das Recht: allein dieß
hindert nicht, daß das Höhere auf die itzt geſicherte Grundlage gebaut, das
Feinere der zuerſt aufgeſtellten gröberen Stütze beigefügt werde.
6) Die Bezeichnung „Nationalökonomie,“ „Staatswirthſchaftslehre,“ »éco-
nomie politique,
» darf nicht zur Aufnahme der Wirthſchaftslehre unter
die Zahl der Staatswiſſenſchaften verführen. Wenn, ſelbſtredend, eine Staats-
wiſſenſchaft nur eine ſolche Lehre iſt, welche ſich mit dem Staate beſchäftigt:
ſo iſt einleuchtend, daß die Nationalökonomie, welchen Namen man ihr auch
immer geben mag, nur zu ihrem geringeren Theile dieſem Kreiſe angehört.
Die ſämmtlichen allgemeinen Lehren derſelben, alſo über Gut, Werth, Preis,
Kapital, Arbeitskräfte und Arbeitstheilung, Erzeugung und Verzehrung der
Güter, Kredit, Verhältniß der verſchiedenen Beſchäftigungsarten unter einander
u. ſ. w., haben mit dem Staate gar nichts beſonderes zu thun, und gelten
für jeden menſchlichen Lebenskreis, von dem der einzelnen Perſönlichkeit an
aufwärts. Nur alſo da, wo es ſich von Forderungen an den Staat zur
Unterſtützung in wirthſchaftlichen Dingen mittelſt der Geſammtkraft oder
von dem eigenen Haushalte des Staates handelt, gehören die Lehren der
Wirthſchaftswiſſenſchaft in den Kreis der ſtaatlichen Disciplinen, wo ſie denn,
je nach Zweck und Syſtem des Einzelnen, als eigene und beſonders bezeich-
nete Wiſſenſchaften (ökonomiſche Politik und Finanzwiſſenſchaft), oder nur
als Theile der geſammten innern Staatskunſt behandelt werden mögen.
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[55/0069] ⁵⁾ Unmöglich kann man mit Stahl, Rechts- und Staatslehre, Buch II, Kap. 2, den Unterſchied zwiſchen Recht und Moral im letzten Grunde darin finden, daß das Recht das ſittliche Handeln der Menſchen in Beziehung auf die Norm und Ordnung des Gemeinlebens ſei, die Moral dagegen der ſittlich vollendete Wille des Einzelnen in Beziehung auf Einzelne. Einer Seits iſt eine äußerlich beſtimmte und erzwingbare Feſtſtellung der gegenſeitigen Verhältniſſe unter Einzelnen auch ohne alle Beziehung auf den Staat und ohne Vermittlung durch denſelben denkbar und nothwendig. Unrecht zwiſchen Einzelnen ſoll ſchon an und für ſich und wegen der Er- reichung der individuellen Lebenszwecke nicht ſein, keineswegs blos weil da- durch die Ordnung des Zuſammenlebens geſtört würde. Anderer Seits aber iſt gar nicht einzuſehen, warum der ſittlich vollendete Wille des Men- ſchen nur für die verhältnißmäßig weniger wichtigen Beziehungen zu Ein- zelnen in Anſpruch genommen werden ſollte, nicht aber auch zur beſtmöglichen Beſchaffenheit und Wirkſamkeit des Allen gemeinſchaftlichen Lebensverhältniſſes des Staates. Auch wenn man die Sittlichkeit als vollendete Perſönlichkeit auffaßt, iſt doch offenbar die Vollendung erſt dann erreicht, wenn auch gegenüber von der Geſammtheit das Richtige geleiſtet wird. Zwar kann, bei der allgemeinen Unvollkommenheit und ſittlichen Mangelhaftigkeit der Menſchen, der Staat nicht blos auf Moral geſtellt ſein; es bedarf vor Allem äußere, im Nothfalle erzwingbare Ordnung durch das Recht: allein dieß hindert nicht, daß das Höhere auf die itzt geſicherte Grundlage gebaut, das Feinere der zuerſt aufgeſtellten gröberen Stütze beigefügt werde. ⁶⁾ Die Bezeichnung „Nationalökonomie,“ „Staatswirthſchaftslehre,“ »éco- nomie politique,» darf nicht zur Aufnahme der Wirthſchaftslehre unter die Zahl der Staatswiſſenſchaften verführen. Wenn, ſelbſtredend, eine Staats- wiſſenſchaft nur eine ſolche Lehre iſt, welche ſich mit dem Staate beſchäftigt: ſo iſt einleuchtend, daß die Nationalökonomie, welchen Namen man ihr auch immer geben mag, nur zu ihrem geringeren Theile dieſem Kreiſe angehört. Die ſämmtlichen allgemeinen Lehren derſelben, alſo über Gut, Werth, Preis, Kapital, Arbeitskräfte und Arbeitstheilung, Erzeugung und Verzehrung der Güter, Kredit, Verhältniß der verſchiedenen Beſchäftigungsarten unter einander u. ſ. w., haben mit dem Staate gar nichts beſonderes zu thun, und gelten für jeden menſchlichen Lebenskreis, von dem der einzelnen Perſönlichkeit an aufwärts. Nur alſo da, wo es ſich von Forderungen an den Staat zur Unterſtützung in wirthſchaftlichen Dingen mittelſt der Geſammtkraft oder von dem eigenen Haushalte des Staates handelt, gehören die Lehren der Wirthſchaftswiſſenſchaft in den Kreis der ſtaatlichen Disciplinen, wo ſie denn, je nach Zweck und Syſtem des Einzelnen, als eigene und beſonders bezeich- nete Wiſſenſchaften (ökonomiſche Politik und Finanzwiſſenſchaft), oder nur als Theile der geſammten innern Staatskunſt behandelt werden mögen.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/69>, abgerufen am 27.11.2024.