Befehlenden; wegen Mangels an Urtheil von seiner Seite; wegen Unkennntniß der thatsächlichen Zustände und Bedürfnisse; endlich wegen schlechter Form. -- Den drei ersten und haupt- sächlichsten Fehlern läßt sich, soweit das Staatsoberhaupt in Frage steht, auf ein und dieselbe Weise begegnen, nämlich durch Einrichtungen, welche dasselbe nöthigen, die Ansichten Anderer erst zu hören, ehe sein schließlicher Ausspruch erfolgt. In diesem Falle ist zu erwarten, daß Dritte nicht von gleicher Leidenschaft beseelt sind, welche doch gewöhnlich etwas Persönliches ist; jeden Falles tritt genauere Ueberlegung ein; und es ist wenigstens wahrscheinlich, daß durch die Theilnahme Mehrerer auch eine größere Sachkenntniß erzeugt wird, natürlich unter Voraussetzung einer richtigen Bezeichnung der Personen. Das Verfahren hierbei ist ein wesentlich verschiedenes, je nachdem die Staatsgewalt von einem Einzelnen (etwa auch ganz Wenigen) oder von einer größeren Versammlung gehand- habt wird. Im ersten Falle sind zahlreiche, von dem Staats- oberhaupte möglichst unabhängige Männer mit dem Rechte zu versehen, ein beabsichtigtes Gesetz vor dessen Erlassung colle- gialisch zu berathen und entsprechende Anträge zu stellen. Je nach der Gattung und Art des Staates werden diese Räthe verschieden sein, und wird auch, je nach der Ausdehnung ihres Einspracherechtes, der Erfolg sich verschieden stellen; allein an- wendbar an sich und mehr oder weniger nützlich ist die Anstalt in jeder Einherrschaft. In einem hausväterlichen Staate sind die Stammesältesten naturgemäß berufen; im hausherrlichen Staate die bedeutendsten Vasallen; der unbeschränkte Fürst mag einen Staatsrath bestellen; in der constitutionellen Mo- narchie sind die Mitberathenden vom Volke gewählt. Selbst ein Despot kann eine Versammlung seiner obersten Diener einberufen, wenn er guten Rath verlangt. Jene Staatsformen dagegen, in welchen die höchste Gewalt bei einer großen Ver-
Befehlenden; wegen Mangels an Urtheil von ſeiner Seite; wegen Unkennntniß der thatſächlichen Zuſtände und Bedürfniſſe; endlich wegen ſchlechter Form. — Den drei erſten und haupt- ſächlichſten Fehlern läßt ſich, ſoweit das Staatsoberhaupt in Frage ſteht, auf ein und dieſelbe Weiſe begegnen, nämlich durch Einrichtungen, welche daſſelbe nöthigen, die Anſichten Anderer erſt zu hören, ehe ſein ſchließlicher Ausſpruch erfolgt. In dieſem Falle iſt zu erwarten, daß Dritte nicht von gleicher Leidenſchaft beſeelt ſind, welche doch gewöhnlich etwas Perſönliches iſt; jeden Falles tritt genauere Ueberlegung ein; und es iſt wenigſtens wahrſcheinlich, daß durch die Theilnahme Mehrerer auch eine größere Sachkenntniß erzeugt wird, natürlich unter Vorausſetzung einer richtigen Bezeichnung der Perſonen. Das Verfahren hierbei iſt ein weſentlich verſchiedenes, je nachdem die Staatsgewalt von einem Einzelnen (etwa auch ganz Wenigen) oder von einer größeren Verſammlung gehand- habt wird. Im erſten Falle ſind zahlreiche, von dem Staats- oberhaupte möglichſt unabhängige Männer mit dem Rechte zu verſehen, ein beabſichtigtes Geſetz vor deſſen Erlaſſung colle- gialiſch zu berathen und entſprechende Anträge zu ſtellen. Je nach der Gattung und Art des Staates werden dieſe Räthe verſchieden ſein, und wird auch, je nach der Ausdehnung ihres Einſpracherechtes, der Erfolg ſich verſchieden ſtellen; allein an- wendbar an ſich und mehr oder weniger nützlich iſt die Anſtalt in jeder Einherrſchaft. In einem hausväterlichen Staate ſind die Stammesälteſten naturgemäß berufen; im hausherrlichen Staate die bedeutendſten Vaſallen; der unbeſchränkte Fürſt mag einen Staatsrath beſtellen; in der conſtitutionellen Mo- narchie ſind die Mitberathenden vom Volke gewählt. Selbſt ein Deſpot kann eine Verſammlung ſeiner oberſten Diener einberufen, wenn er guten Rath verlangt. Jene Staatsformen dagegen, in welchen die höchſte Gewalt bei einer großen Ver-
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Befehlenden; wegen Mangels an Urtheil von ſeiner Seite;
wegen Unkennntniß der thatſächlichen Zuſtände und Bedürfniſſe;
endlich wegen ſchlechter Form. — Den drei erſten und haupt-
ſächlichſten Fehlern läßt ſich, ſoweit das Staatsoberhaupt in
Frage ſteht, auf ein und dieſelbe Weiſe begegnen, nämlich
durch Einrichtungen, welche daſſelbe nöthigen, die Anſichten
Anderer erſt zu hören, ehe ſein ſchließlicher Ausſpruch erfolgt.
In dieſem Falle iſt zu erwarten, daß Dritte nicht von
gleicher Leidenſchaft beſeelt ſind, welche doch gewöhnlich etwas
Perſönliches iſt; jeden Falles tritt genauere Ueberlegung ein;
und es iſt wenigſtens wahrſcheinlich, daß durch die Theilnahme
Mehrerer auch eine größere Sachkenntniß erzeugt wird, natürlich
unter Vorausſetzung einer richtigen Bezeichnung der Perſonen.
Das Verfahren hierbei iſt ein weſentlich verſchiedenes, je
nachdem die Staatsgewalt von einem Einzelnen (etwa auch
ganz Wenigen) oder von einer größeren Verſammlung gehand-
habt wird. Im erſten Falle ſind zahlreiche, von dem Staats-
oberhaupte möglichſt unabhängige Männer mit dem Rechte zu
verſehen, ein beabſichtigtes Geſetz vor deſſen Erlaſſung colle-
gialiſch zu berathen und entſprechende Anträge zu ſtellen. Je
nach der Gattung und Art des Staates werden dieſe Räthe
verſchieden ſein, und wird auch, je nach der Ausdehnung ihres
Einſpracherechtes, der Erfolg ſich verſchieden ſtellen; allein an-
wendbar an ſich und mehr oder weniger nützlich iſt die Anſtalt
in jeder Einherrſchaft. In einem hausväterlichen Staate ſind
die Stammesälteſten naturgemäß berufen; im hausherrlichen
Staate die bedeutendſten Vaſallen; der unbeſchränkte Fürſt
mag einen Staatsrath beſtellen; in der conſtitutionellen Mo-
narchie ſind die Mitberathenden vom Volke gewählt. Selbſt
ein Deſpot kann eine Verſammlung ſeiner oberſten Diener
einberufen, wenn er guten Rath verlangt. Jene Staatsformen
dagegen, in welchen die höchſte Gewalt bei einer großen Ver-
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/642>, abgerufen am 24.11.2024.
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