Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
sichere Mittel zur Kenntniß des Umfanges der vom Staate
zu besorgenden Aufgaben, der dazu vorhandenen Mittel,
nämlich der Kräfte des Landes an Menschen und Gütern,
endlich der thatsächlichen Folgen mancher Gesetze und Zu-
stände.
e. Vor der Einrichtung einer geheimen Polizei ist da-
gegen zu warnen, weil diese weit mehr Schaden als
Nutzen bringt. Die auf solche Weise erlangten Nachrichten
sind sehr häufig unrichtig, wohl absichtlich verfälscht; Be-
schuldigten wird keine Gelegenheit zur Vertheidigung und
Aufklärung gegeben; die hier unvermeidliche Verwendung
des Abschaumes der Bevölkerung zu vertrauten Dienst-
leistungen wirkt entsittlichend und setzt den Verwendenden
selbst in ein falsches Licht; die Kosten sind bedeutend;
hauptsächlich aber wird durch das bloße Dasein einer
solchen Späheanstalt das ganze Leben des Volkes ver-
giftet durch Erweckung eines allgemeinen Mißtrauens und
durch das Gefühl unverdienter Verdächtigung. Nur in
zwei Fällen mag eine Ausnahme stattfinden. Einmal, ist
in sehr großen Städten eine geheime Ueberwachung des
zahlreichen und gefährlichen Raub- und Diebsgesindels
kaum zu vermeiden. Zweitens aber kann weitverbreitetes
Verschwörungswesen eine Verfolgung der geheimen Plane
durch anscheinende Genossen erfordern. Letzterer Fall setzt
allerdings einen sehr kranken Zustand des Staates voraus,
und die Hauptsache wird eine gründliche Verbesserung des-
selben durch alle taugliche Mittel sein; allein bis zum
Gelingen einer dauernden Heilung hat das Bestehende ein
Recht auf Schutz 3).

2. Die Gesetzgebung. -- Eine befehlende Norm mag
(die Abwesenheit bewußt schlechter Absichten angenommen) aus
vier Gründen fehlerhaft ausfallen. Wegen Leidenschaft des

40*
ſichere Mittel zur Kenntniß des Umfanges der vom Staate
zu beſorgenden Aufgaben, der dazu vorhandenen Mittel,
nämlich der Kräfte des Landes an Menſchen und Gütern,
endlich der thatſächlichen Folgen mancher Geſetze und Zu-
ſtände.
e. Vor der Einrichtung einer geheimen Polizei iſt da-
gegen zu warnen, weil dieſe weit mehr Schaden als
Nutzen bringt. Die auf ſolche Weiſe erlangten Nachrichten
ſind ſehr häufig unrichtig, wohl abſichtlich verfälſcht; Be-
ſchuldigten wird keine Gelegenheit zur Vertheidigung und
Aufklärung gegeben; die hier unvermeidliche Verwendung
des Abſchaumes der Bevölkerung zu vertrauten Dienſt-
leiſtungen wirkt entſittlichend und ſetzt den Verwendenden
ſelbſt in ein falſches Licht; die Koſten ſind bedeutend;
hauptſächlich aber wird durch das bloße Daſein einer
ſolchen Späheanſtalt das ganze Leben des Volkes ver-
giftet durch Erweckung eines allgemeinen Mißtrauens und
durch das Gefühl unverdienter Verdächtigung. Nur in
zwei Fällen mag eine Ausnahme ſtattfinden. Einmal, iſt
in ſehr großen Städten eine geheime Ueberwachung des
zahlreichen und gefährlichen Raub- und Diebsgeſindels
kaum zu vermeiden. Zweitens aber kann weitverbreitetes
Verſchwörungsweſen eine Verfolgung der geheimen Plane
durch anſcheinende Genoſſen erfordern. Letzterer Fall ſetzt
allerdings einen ſehr kranken Zuſtand des Staates voraus,
und die Hauptſache wird eine gründliche Verbeſſerung des-
ſelben durch alle taugliche Mittel ſein; allein bis zum
Gelingen einer dauernden Heilung hat das Beſtehende ein
Recht auf Schutz 3).

2. Die Geſetzgebung. — Eine befehlende Norm mag
(die Abweſenheit bewußt ſchlechter Abſichten angenommen) aus
vier Gründen fehlerhaft ausfallen. Wegen Leidenſchaft des

40*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <list>
                    <item><pb facs="#f0641" n="627"/>
&#x017F;ichere Mittel zur Kenntniß des Umfanges der vom Staate<lb/>
zu be&#x017F;orgenden Aufgaben, der dazu vorhandenen Mittel,<lb/>
nämlich der Kräfte des Landes an Men&#x017F;chen und Gütern,<lb/>
endlich der that&#x017F;ächlichen Folgen mancher Ge&#x017F;etze und Zu-<lb/>
&#x017F;tände.</item><lb/>
                    <item><hi rendition="#aq">e.</hi> Vor der Einrichtung einer <hi rendition="#g">geheimen Polizei</hi> i&#x017F;t da-<lb/>
gegen zu warnen, weil die&#x017F;e weit mehr Schaden als<lb/>
Nutzen bringt. Die auf &#x017F;olche Wei&#x017F;e erlangten Nachrichten<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;ehr häufig unrichtig, wohl ab&#x017F;ichtlich verfäl&#x017F;cht; Be-<lb/>
&#x017F;chuldigten wird keine Gelegenheit zur Vertheidigung und<lb/>
Aufklärung gegeben; die hier unvermeidliche Verwendung<lb/>
des Ab&#x017F;chaumes der Bevölkerung zu vertrauten Dien&#x017F;t-<lb/>
lei&#x017F;tungen wirkt ent&#x017F;ittlichend und &#x017F;etzt den Verwendenden<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in ein fal&#x017F;ches Licht; die Ko&#x017F;ten &#x017F;ind bedeutend;<lb/>
haupt&#x017F;ächlich aber wird durch das bloße Da&#x017F;ein einer<lb/>
&#x017F;olchen Spähean&#x017F;talt das ganze Leben des Volkes ver-<lb/>
giftet durch Erweckung eines allgemeinen Mißtrauens und<lb/>
durch das Gefühl unverdienter Verdächtigung. Nur in<lb/>
zwei Fällen mag eine Ausnahme &#x017F;tattfinden. Einmal, i&#x017F;t<lb/>
in &#x017F;ehr großen Städten eine geheime Ueberwachung des<lb/>
zahlreichen und gefährlichen Raub- und Diebsge&#x017F;indels<lb/>
kaum zu vermeiden. Zweitens aber kann weitverbreitetes<lb/>
Ver&#x017F;chwörungswe&#x017F;en eine Verfolgung der geheimen Plane<lb/>
durch an&#x017F;cheinende Geno&#x017F;&#x017F;en erfordern. Letzterer Fall &#x017F;etzt<lb/>
allerdings einen &#x017F;ehr kranken Zu&#x017F;tand des Staates voraus,<lb/>
und die Haupt&#x017F;ache wird eine gründliche Verbe&#x017F;&#x017F;erung des-<lb/>
&#x017F;elben durch alle taugliche Mittel &#x017F;ein; allein bis zum<lb/>
Gelingen einer dauernden Heilung hat das Be&#x017F;tehende ein<lb/>
Recht auf Schutz <hi rendition="#sup">3</hi>).</item>
                  </list><lb/>
                  <p>2. Die <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etzgebung</hi>. &#x2014; Eine befehlende Norm mag<lb/>
(die Abwe&#x017F;enheit bewußt &#x017F;chlechter Ab&#x017F;ichten angenommen) aus<lb/>
vier Gründen fehlerhaft ausfallen. Wegen Leiden&#x017F;chaft des<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">40*</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[627/0641] ſichere Mittel zur Kenntniß des Umfanges der vom Staate zu beſorgenden Aufgaben, der dazu vorhandenen Mittel, nämlich der Kräfte des Landes an Menſchen und Gütern, endlich der thatſächlichen Folgen mancher Geſetze und Zu- ſtände. e. Vor der Einrichtung einer geheimen Polizei iſt da- gegen zu warnen, weil dieſe weit mehr Schaden als Nutzen bringt. Die auf ſolche Weiſe erlangten Nachrichten ſind ſehr häufig unrichtig, wohl abſichtlich verfälſcht; Be- ſchuldigten wird keine Gelegenheit zur Vertheidigung und Aufklärung gegeben; die hier unvermeidliche Verwendung des Abſchaumes der Bevölkerung zu vertrauten Dienſt- leiſtungen wirkt entſittlichend und ſetzt den Verwendenden ſelbſt in ein falſches Licht; die Koſten ſind bedeutend; hauptſächlich aber wird durch das bloße Daſein einer ſolchen Späheanſtalt das ganze Leben des Volkes ver- giftet durch Erweckung eines allgemeinen Mißtrauens und durch das Gefühl unverdienter Verdächtigung. Nur in zwei Fällen mag eine Ausnahme ſtattfinden. Einmal, iſt in ſehr großen Städten eine geheime Ueberwachung des zahlreichen und gefährlichen Raub- und Diebsgeſindels kaum zu vermeiden. Zweitens aber kann weitverbreitetes Verſchwörungsweſen eine Verfolgung der geheimen Plane durch anſcheinende Genoſſen erfordern. Letzterer Fall ſetzt allerdings einen ſehr kranken Zuſtand des Staates voraus, und die Hauptſache wird eine gründliche Verbeſſerung des- ſelben durch alle taugliche Mittel ſein; allein bis zum Gelingen einer dauernden Heilung hat das Beſtehende ein Recht auf Schutz 3). 2. Die Geſetzgebung. — Eine befehlende Norm mag (die Abweſenheit bewußt ſchlechter Abſichten angenommen) aus vier Gründen fehlerhaft ausfallen. Wegen Leidenſchaft des 40*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/641
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/641>, abgerufen am 27.11.2024.