persönliche Anwesenheit des Staatsoberhauptes wünschenswerth ist; es ist ihr eine Einwirkung durch Persönlichkeit versagt; manche Aufgabe eines Staatsoberhauptes, wie z. B. den Befehl über Streitkräfte, kann sie unmittelbar gar nicht übernehmen. -- Es stehen somit die Wahrscheinlichkeiten der Unvollkommen- heit und die Möglichkeiten der völligen Unbrauchbarkeit eines Einzelnen der unbedingten Gewißheit mannchfacher und schwerer Nachtheile einer Geschäftsbesorgung durch Mehrere gegenüber. Leicht also mag man da, wo eine vollkommene freie Wahl zwischen beiden Besetzungsarten offen steht, zwischen ihnen schwanken; und es werden im einzelnen Falle eher Nebenum- stände die Entscheidung geben, als allgemein durchschlagende Gründe. Bei einem Volke z. B., dessen große Zahl, höhere Gesittigungsstufe, ausgedehnte Gewerbthätigkeit, vielfache und schwierige Beziehungen zum Auslande vorzugsweise eine thätige, schnell gefaßte und mit sich selbst einige Leitung verlangen, bietet die Regierung eines Einzelnen eine größere Wahrschein- lichkeit zufriedenstellender Führung. Dasselbe ist der Fall bei einem durch Parteien tief zerrissenen Volke, oder da, wo, aus welcher Ursache immer, eine große Gleichgültigkeit gegen das Allgemeine oder eine große Verderbniß stattfindet. Dagegen mag in einfachen Verhältnissen, bei einem staatlich angeregten Volke und etwa nach sehr schlechten Erfahrungen in Betreff von Einzelnregierungen die Uebertragung der Staatsgewalt an Mehrere immerhin das Richtigere sein 2).
Wo nun aber eine Regierung durch eine Mehrzahl besteht, sei es, daß sie durch den Grundgedanken des concreten Staates unvermeidlich gegeben ist, wie namentlich in einer Aristokratie und in einer reinen Demokratie, sei es daß sie unter mehreren Möglichkeiten gewählt wurde, da sind jeden Falles Vorkehrungen zu treffen, um die bei solcher Form mög- lichen Vortheile nach Thunlichkeit zu genießen, die eigenthüm-
perſönliche Anweſenheit des Staatsoberhauptes wünſchenswerth iſt; es iſt ihr eine Einwirkung durch Perſönlichkeit verſagt; manche Aufgabe eines Staatsoberhauptes, wie z. B. den Befehl über Streitkräfte, kann ſie unmittelbar gar nicht übernehmen. — Es ſtehen ſomit die Wahrſcheinlichkeiten der Unvollkommen- heit und die Möglichkeiten der völligen Unbrauchbarkeit eines Einzelnen der unbedingten Gewißheit mannchfacher und ſchwerer Nachtheile einer Geſchäftsbeſorgung durch Mehrere gegenüber. Leicht alſo mag man da, wo eine vollkommene freie Wahl zwiſchen beiden Beſetzungsarten offen ſteht, zwiſchen ihnen ſchwanken; und es werden im einzelnen Falle eher Nebenum- ſtände die Entſcheidung geben, als allgemein durchſchlagende Gründe. Bei einem Volke z. B., deſſen große Zahl, höhere Geſittigungsſtufe, ausgedehnte Gewerbthätigkeit, vielfache und ſchwierige Beziehungen zum Auslande vorzugsweiſe eine thätige, ſchnell gefaßte und mit ſich ſelbſt einige Leitung verlangen, bietet die Regierung eines Einzelnen eine größere Wahrſchein- lichkeit zufriedenſtellender Führung. Daſſelbe iſt der Fall bei einem durch Parteien tief zerriſſenen Volke, oder da, wo, aus welcher Urſache immer, eine große Gleichgültigkeit gegen das Allgemeine oder eine große Verderbniß ſtattfindet. Dagegen mag in einfachen Verhältniſſen, bei einem ſtaatlich angeregten Volke und etwa nach ſehr ſchlechten Erfahrungen in Betreff von Einzelnregierungen die Uebertragung der Staatsgewalt an Mehrere immerhin das Richtigere ſein 2).
Wo nun aber eine Regierung durch eine Mehrzahl beſteht, ſei es, daß ſie durch den Grundgedanken des concreten Staates unvermeidlich gegeben iſt, wie namentlich in einer Ariſtokratie und in einer reinen Demokratie, ſei es daß ſie unter mehreren Möglichkeiten gewählt wurde, da ſind jeden Falles Vorkehrungen zu treffen, um die bei ſolcher Form mög- lichen Vortheile nach Thunlichkeit zu genießen, die eigenthüm-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0630"n="616"/>
perſönliche Anweſenheit des Staatsoberhauptes wünſchenswerth<lb/>
iſt; es iſt ihr eine Einwirkung durch Perſönlichkeit verſagt;<lb/>
manche Aufgabe eines Staatsoberhauptes, wie z. B. den Befehl<lb/>
über Streitkräfte, kann ſie unmittelbar gar nicht übernehmen.<lb/>— Es ſtehen ſomit die Wahrſcheinlichkeiten der Unvollkommen-<lb/>
heit und die Möglichkeiten der völligen Unbrauchbarkeit eines<lb/>
Einzelnen der unbedingten Gewißheit mannchfacher und ſchwerer<lb/>
Nachtheile einer Geſchäftsbeſorgung durch Mehrere gegenüber.<lb/>
Leicht alſo mag man da, wo eine vollkommene freie Wahl<lb/>
zwiſchen beiden Beſetzungsarten offen ſteht, zwiſchen ihnen<lb/>ſchwanken; und es werden im einzelnen Falle eher Nebenum-<lb/>ſtände die Entſcheidung geben, als allgemein durchſchlagende<lb/>
Gründe. Bei einem Volke z. B., deſſen große Zahl, höhere<lb/>
Geſittigungsſtufe, ausgedehnte Gewerbthätigkeit, vielfache und<lb/>ſchwierige Beziehungen zum Auslande vorzugsweiſe eine thätige,<lb/>ſchnell gefaßte und mit ſich ſelbſt einige Leitung verlangen,<lb/>
bietet die Regierung eines Einzelnen eine größere Wahrſchein-<lb/>
lichkeit zufriedenſtellender Führung. Daſſelbe iſt der Fall bei<lb/>
einem durch Parteien tief zerriſſenen Volke, oder da, wo, aus<lb/>
welcher Urſache immer, eine große Gleichgültigkeit gegen das<lb/>
Allgemeine oder eine große Verderbniß ſtattfindet. Dagegen<lb/>
mag in einfachen Verhältniſſen, bei einem ſtaatlich angeregten<lb/>
Volke und etwa nach ſehr ſchlechten Erfahrungen in Betreff<lb/>
von Einzelnregierungen die Uebertragung der Staatsgewalt an<lb/>
Mehrere immerhin das Richtigere ſein <hirendition="#sup">2</hi>).</p><lb/><p>Wo nun aber eine Regierung durch eine Mehrzahl<lb/>
beſteht, ſei es, daß ſie durch den Grundgedanken des concreten<lb/>
Staates unvermeidlich gegeben iſt, wie namentlich in einer<lb/>
Ariſtokratie und in einer reinen Demokratie, ſei es daß ſie<lb/>
unter mehreren Möglichkeiten gewählt wurde, da ſind jeden<lb/>
Falles Vorkehrungen zu treffen, um die bei ſolcher Form mög-<lb/>
lichen Vortheile nach Thunlichkeit zu genießen, die eigenthüm-<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[616/0630]
perſönliche Anweſenheit des Staatsoberhauptes wünſchenswerth
iſt; es iſt ihr eine Einwirkung durch Perſönlichkeit verſagt;
manche Aufgabe eines Staatsoberhauptes, wie z. B. den Befehl
über Streitkräfte, kann ſie unmittelbar gar nicht übernehmen.
— Es ſtehen ſomit die Wahrſcheinlichkeiten der Unvollkommen-
heit und die Möglichkeiten der völligen Unbrauchbarkeit eines
Einzelnen der unbedingten Gewißheit mannchfacher und ſchwerer
Nachtheile einer Geſchäftsbeſorgung durch Mehrere gegenüber.
Leicht alſo mag man da, wo eine vollkommene freie Wahl
zwiſchen beiden Beſetzungsarten offen ſteht, zwiſchen ihnen
ſchwanken; und es werden im einzelnen Falle eher Nebenum-
ſtände die Entſcheidung geben, als allgemein durchſchlagende
Gründe. Bei einem Volke z. B., deſſen große Zahl, höhere
Geſittigungsſtufe, ausgedehnte Gewerbthätigkeit, vielfache und
ſchwierige Beziehungen zum Auslande vorzugsweiſe eine thätige,
ſchnell gefaßte und mit ſich ſelbſt einige Leitung verlangen,
bietet die Regierung eines Einzelnen eine größere Wahrſchein-
lichkeit zufriedenſtellender Führung. Daſſelbe iſt der Fall bei
einem durch Parteien tief zerriſſenen Volke, oder da, wo, aus
welcher Urſache immer, eine große Gleichgültigkeit gegen das
Allgemeine oder eine große Verderbniß ſtattfindet. Dagegen
mag in einfachen Verhältniſſen, bei einem ſtaatlich angeregten
Volke und etwa nach ſehr ſchlechten Erfahrungen in Betreff
von Einzelnregierungen die Uebertragung der Staatsgewalt an
Mehrere immerhin das Richtigere ſein 2).
Wo nun aber eine Regierung durch eine Mehrzahl
beſteht, ſei es, daß ſie durch den Grundgedanken des concreten
Staates unvermeidlich gegeben iſt, wie namentlich in einer
Ariſtokratie und in einer reinen Demokratie, ſei es daß ſie
unter mehreren Möglichkeiten gewählt wurde, da ſind jeden
Falles Vorkehrungen zu treffen, um die bei ſolcher Form mög-
lichen Vortheile nach Thunlichkeit zu genießen, die eigenthüm-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 616. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/630>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.