Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.nöthigen Zahl der befähigten Männer nicht fehle; verbreiteter 1) Zu jeder Zeit sind einzelne Fälle vorgekommen, in welchen un- passende Verfassungen aufgedrungen wurden und mißglückten; allein seit dem Ausbruche der großen französischen Umwälzung ist dieser Fehler be- sonders häufig in Europa und Amerika gemacht worden. Die Folgen liegen aber auch zu Tage. Nicht nur sind Hunderte von Verfassungen, weil es ihnen an den günstigen Bedingungen der Lebensfähigkeit fehlte, in kürzester Zeit wieder zu Grunde gegangen, wo nicht gleich von Anfang an ein todter Buchstabe geblieben; sondern es ist auch unabsehbares Elend durch dieses Gebaren über zahlreiche Länder gekommen, weil sie nicht nur die, unter allen Umständen unvermeidlichen, Verluste der Aufhebung gewohnter Zustände und die Uebel der Uebergangszeiten zu tragen hatten, sondern sie sich in die neuen Gestaltungen gar nicht einzuleben, noch dieselben zu be- festigen wußten. Bei manchen läßt sich gar nicht absehen, wie für die völlig zerrütteten und verstörten Verhältnisse je wieder eine Ordnung ge- funden werden soll. So z. B. in den mittel- und südamerikanischen Staaten, welchen eine unglückliche Gedankenlosigkeit die repräsentative Demokratie aufdrang, für welche auch nicht eine einzige geistige Bedingung vorhanden war. Ist es doch selbst sehr zweifelhaft, ob die europäischen Völker roma- nischer Art genugsamen Sinn für rechtliche Freiheit besitzen, um diese Re- gierungsform, ja selbst um die Volksvertretung in der Monarchie, zu er- tragen. § 92. b. Durchführung des Grundgedankens der Verfassung. Geht man von den zwei an sich klaren Sätzen aus, daß nöthigen Zahl der befähigten Männer nicht fehle; verbreiteter 1) Zu jeder Zeit ſind einzelne Fälle vorgekommen, in welchen un- paſſende Verfaſſungen aufgedrungen wurden und mißglückten; allein ſeit dem Ausbruche der großen franzöſiſchen Umwälzung iſt dieſer Fehler be- ſonders häufig in Europa und Amerika gemacht worden. Die Folgen liegen aber auch zu Tage. Nicht nur ſind Hunderte von Verfaſſungen, weil es ihnen an den günſtigen Bedingungen der Lebensfähigkeit fehlte, in kürzeſter Zeit wieder zu Grunde gegangen, wo nicht gleich von Anfang an ein todter Buchſtabe geblieben; ſondern es iſt auch unabſehbares Elend durch dieſes Gebaren über zahlreiche Länder gekommen, weil ſie nicht nur die, unter allen Umſtänden unvermeidlichen, Verluſte der Aufhebung gewohnter Zuſtände und die Uebel der Uebergangszeiten zu tragen hatten, ſondern ſie ſich in die neuen Geſtaltungen gar nicht einzuleben, noch dieſelben zu be- feſtigen wußten. Bei manchen läßt ſich gar nicht abſehen, wie für die völlig zerrütteten und verſtörten Verhältniſſe je wieder eine Ordnung ge- funden werden ſoll. So z. B. in den mittel- und ſüdamerikaniſchen Staaten, welchen eine unglückliche Gedankenloſigkeit die repräſentative Demokratie aufdrang, für welche auch nicht eine einzige geiſtige Bedingung vorhanden war. Iſt es doch ſelbſt ſehr zweifelhaft, ob die europäiſchen Völker roma- niſcher Art genugſamen Sinn für rechtliche Freiheit beſitzen, um dieſe Re- gierungsform, ja ſelbſt um die Volksvertretung in der Monarchie, zu er- tragen. § 92. b. Durchführung des Grundgedankens der Verfaſſung. Geht man von den zwei an ſich klaren Sätzen aus, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0614" n="600"/> nöthigen Zahl der befähigten Männer nicht fehle; verbreiteter<lb/> Wohlſtand zur Gründung von unabhängigen Stellungen;<lb/> Mäßigung und ehrenhafte Geſinnung. — Eine <hi rendition="#g">Despotie</hi> iſt<lb/> nur bei einem Volke möglich, welches entweder ſehr roh oder<lb/> ſittlich ganz verkommen iſt; freilich erzeugt, in trauriger Wech-<lb/> ſelwirkung, ſie ſelbſt ſolche Zuſtände weiter, und trägt ſie daher<lb/> auch, erfahrungsgemäß, die Bedingungen einer langen Dauer<lb/> in ſich ſelbſt, ſo beklagenswerth und für die Menſchenwürde<lb/> demüthigend dies auch iſt.</p><lb/> <note place="end" n="1)">Zu jeder Zeit ſind einzelne Fälle vorgekommen, in welchen un-<lb/> paſſende Verfaſſungen aufgedrungen wurden und mißglückten; allein ſeit<lb/> dem Ausbruche der großen franzöſiſchen Umwälzung iſt dieſer Fehler be-<lb/> ſonders häufig in Europa und Amerika gemacht worden. Die Folgen liegen<lb/> aber auch zu Tage. Nicht nur ſind Hunderte von Verfaſſungen, weil es<lb/> ihnen an den günſtigen Bedingungen der Lebensfähigkeit fehlte, in kürzeſter<lb/> Zeit wieder zu Grunde gegangen, wo nicht gleich von Anfang an ein<lb/> todter Buchſtabe geblieben; ſondern es iſt auch unabſehbares Elend durch<lb/> dieſes Gebaren über zahlreiche Länder gekommen, weil ſie nicht nur die,<lb/> unter allen Umſtänden unvermeidlichen, Verluſte der Aufhebung gewohnter<lb/> Zuſtände und die Uebel der Uebergangszeiten zu tragen hatten, ſondern ſie<lb/> ſich in die neuen Geſtaltungen gar nicht einzuleben, noch dieſelben zu be-<lb/> feſtigen wußten. Bei manchen läßt ſich gar nicht abſehen, wie für die<lb/> völlig zerrütteten und verſtörten Verhältniſſe je wieder eine Ordnung ge-<lb/> funden werden ſoll. So z. B. in den mittel- und ſüdamerikaniſchen Staaten,<lb/> welchen eine unglückliche Gedankenloſigkeit die repräſentative Demokratie<lb/> aufdrang, für welche auch nicht eine einzige geiſtige Bedingung vorhanden<lb/> war. Iſt es doch ſelbſt ſehr zweifelhaft, ob die europäiſchen Völker roma-<lb/> niſcher Art genugſamen Sinn für rechtliche Freiheit beſitzen, um dieſe Re-<lb/> gierungsform, ja ſelbſt um die Volksvertretung in der Monarchie, zu er-<lb/> tragen.</note> </div><lb/> <div n="5"> <head>§ 92.<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">b.</hi> Durchführung des Grundgedankens der Verfaſſung.</hi></head><lb/> <p>Geht man von den zwei an ſich klaren Sätzen aus, daß<lb/> die einzelnen Theile eines Organismus unter ſich und mit dem<lb/> Ganzen nicht im Widerſpruche ſein dürfen, wenn nicht Ver-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [600/0614]
nöthigen Zahl der befähigten Männer nicht fehle; verbreiteter
Wohlſtand zur Gründung von unabhängigen Stellungen;
Mäßigung und ehrenhafte Geſinnung. — Eine Despotie iſt
nur bei einem Volke möglich, welches entweder ſehr roh oder
ſittlich ganz verkommen iſt; freilich erzeugt, in trauriger Wech-
ſelwirkung, ſie ſelbſt ſolche Zuſtände weiter, und trägt ſie daher
auch, erfahrungsgemäß, die Bedingungen einer langen Dauer
in ſich ſelbſt, ſo beklagenswerth und für die Menſchenwürde
demüthigend dies auch iſt.
¹⁾ Zu jeder Zeit ſind einzelne Fälle vorgekommen, in welchen un-
paſſende Verfaſſungen aufgedrungen wurden und mißglückten; allein ſeit
dem Ausbruche der großen franzöſiſchen Umwälzung iſt dieſer Fehler be-
ſonders häufig in Europa und Amerika gemacht worden. Die Folgen liegen
aber auch zu Tage. Nicht nur ſind Hunderte von Verfaſſungen, weil es
ihnen an den günſtigen Bedingungen der Lebensfähigkeit fehlte, in kürzeſter
Zeit wieder zu Grunde gegangen, wo nicht gleich von Anfang an ein
todter Buchſtabe geblieben; ſondern es iſt auch unabſehbares Elend durch
dieſes Gebaren über zahlreiche Länder gekommen, weil ſie nicht nur die,
unter allen Umſtänden unvermeidlichen, Verluſte der Aufhebung gewohnter
Zuſtände und die Uebel der Uebergangszeiten zu tragen hatten, ſondern ſie
ſich in die neuen Geſtaltungen gar nicht einzuleben, noch dieſelben zu be-
feſtigen wußten. Bei manchen läßt ſich gar nicht abſehen, wie für die
völlig zerrütteten und verſtörten Verhältniſſe je wieder eine Ordnung ge-
funden werden ſoll. So z. B. in den mittel- und ſüdamerikaniſchen Staaten,
welchen eine unglückliche Gedankenloſigkeit die repräſentative Demokratie
aufdrang, für welche auch nicht eine einzige geiſtige Bedingung vorhanden
war. Iſt es doch ſelbſt ſehr zweifelhaft, ob die europäiſchen Völker roma-
niſcher Art genugſamen Sinn für rechtliche Freiheit beſitzen, um dieſe Re-
gierungsform, ja ſelbſt um die Volksvertretung in der Monarchie, zu er-
tragen.
§ 92.
b. Durchführung des Grundgedankens der Verfaſſung.
Geht man von den zwei an ſich klaren Sätzen aus, daß
die einzelnen Theile eines Organismus unter ſich und mit dem
Ganzen nicht im Widerſpruche ſein dürfen, wenn nicht Ver-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |