überwiegender Stamm als Mittelpunkt vorhanden ist, wo ganze große Völkerschaften neben einander und in geschiedenen Pro- vinzen wohnen, wo ein Stamm, dessen Umwandlung wün- schenswerth wäre, schon einen hohen Grad von Gesittigung erreicht hat und auf diesen stolz ist, endlich wo nicht blos ver- schiedene Stämme, sondern verschiedene Racen sind, muß selbst diese entfernte Hoffnung aufgegeben werden 8). Die einzige Staatsform, welche sich zu diesen auf die Natur des Menschen selbst gegründeten Verhältnissen anders verhält, ist diejenige, in welcher erbliche Kasten bestehen; im Zweifel also Theokratieen. Hier nämlich ist Stamm- und selbst Race-Verschiedenheit so wenig ein unbesiegbares Hinderniß, daß sie vielmehr eine natür- liche Veranlassung und feste Aufrechterhaltung abgibt.
Die Zersplitterung Eines Volkes unter verschiedene Staaten ist ein an sich unnatürlicher Zustand und zieht daher auch viele üble Folgen nach sich. Es leidet die Kraft und die Höhe der geistigen Entwickelung; die Ausbildung einer bestimmten und gleichförmigen Sitte ist nicht wohl möglich; hauptsäch- lich aber ist schlimm, daß das Bewußtsein der Nationalität und das der Staatsangehörigkeit nicht zusammenfällt. Leicht entsteht bei einem solchen zersplitterten Volke eine größere An- hänglichkeit an die Nationalität, als an den besonderen Staat; ja es mögen dann die einzelnen Regierungen, welche die ver- schiedenen Bruchstücke beherrschen, Gegenstand tiefer und unheil- barer Abneigung sein, weil zunächst sie der Vereinigung im Wege stehen. Hieraus entstehen denn aber wieder, sowohl in den innern als in den äußeren Verhältnissen, unabsehbare und schwer durch irgend eine Staatskunst zu heilende Gefahren und sonstige Uebelstände 9). Eine der wichtigsten, freilich aber auch der schwierigsten Aufgaben ist daher eine Beseitigung einer solchen Trennung; eines der hauptsächlichsten Mittel aber da, wo eine einfache Vereinigung nicht möglich ist, besteht in der
überwiegender Stamm als Mittelpunkt vorhanden iſt, wo ganze große Völkerſchaften neben einander und in geſchiedenen Pro- vinzen wohnen, wo ein Stamm, deſſen Umwandlung wün- ſchenswerth wäre, ſchon einen hohen Grad von Geſittigung erreicht hat und auf dieſen ſtolz iſt, endlich wo nicht blos ver- ſchiedene Stämme, ſondern verſchiedene Racen ſind, muß ſelbſt dieſe entfernte Hoffnung aufgegeben werden 8). Die einzige Staatsform, welche ſich zu dieſen auf die Natur des Menſchen ſelbſt gegründeten Verhältniſſen anders verhält, iſt diejenige, in welcher erbliche Kaſten beſtehen; im Zweifel alſo Theokratieen. Hier nämlich iſt Stamm- und ſelbſt Race-Verſchiedenheit ſo wenig ein unbeſiegbares Hinderniß, daß ſie vielmehr eine natür- liche Veranlaſſung und feſte Aufrechterhaltung abgibt.
Die Zerſplitterung Eines Volkes unter verſchiedene Staaten iſt ein an ſich unnatürlicher Zuſtand und zieht daher auch viele üble Folgen nach ſich. Es leidet die Kraft und die Höhe der geiſtigen Entwickelung; die Ausbildung einer beſtimmten und gleichförmigen Sitte iſt nicht wohl möglich; hauptſäch- lich aber iſt ſchlimm, daß das Bewußtſein der Nationalität und das der Staatsangehörigkeit nicht zuſammenfällt. Leicht entſteht bei einem ſolchen zerſplitterten Volke eine größere An- hänglichkeit an die Nationalität, als an den beſonderen Staat; ja es mögen dann die einzelnen Regierungen, welche die ver- ſchiedenen Bruchſtücke beherrſchen, Gegenſtand tiefer und unheil- barer Abneigung ſein, weil zunächſt ſie der Vereinigung im Wege ſtehen. Hieraus entſtehen denn aber wieder, ſowohl in den innern als in den äußeren Verhältniſſen, unabſehbare und ſchwer durch irgend eine Staatskunſt zu heilende Gefahren und ſonſtige Uebelſtände 9). Eine der wichtigſten, freilich aber auch der ſchwierigſten Aufgaben iſt daher eine Beſeitigung einer ſolchen Trennung; eines der hauptſächlichſten Mittel aber da, wo eine einfache Vereinigung nicht möglich iſt, beſteht in der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0592"n="578"/>
überwiegender Stamm als Mittelpunkt vorhanden iſt, wo ganze<lb/>
große Völkerſchaften neben einander und in geſchiedenen Pro-<lb/>
vinzen wohnen, wo ein Stamm, deſſen Umwandlung wün-<lb/>ſchenswerth wäre, ſchon einen hohen Grad von Geſittigung<lb/>
erreicht hat und auf dieſen ſtolz iſt, endlich wo nicht blos ver-<lb/>ſchiedene Stämme, ſondern verſchiedene Racen ſind, muß ſelbſt<lb/>
dieſe entfernte Hoffnung aufgegeben werden <hirendition="#sup">8</hi>). Die einzige<lb/>
Staatsform, welche ſich zu dieſen auf die Natur des Menſchen<lb/>ſelbſt gegründeten Verhältniſſen anders verhält, iſt diejenige,<lb/>
in welcher erbliche Kaſten beſtehen; im Zweifel alſo Theokratieen.<lb/>
Hier nämlich iſt Stamm- und ſelbſt Race-Verſchiedenheit ſo<lb/>
wenig ein unbeſiegbares Hinderniß, daß ſie vielmehr eine natür-<lb/>
liche Veranlaſſung und feſte Aufrechterhaltung abgibt.</p><lb/><p>Die Zerſplitterung Eines Volkes unter verſchiedene Staaten<lb/>
iſt ein an ſich unnatürlicher Zuſtand und zieht daher auch<lb/>
viele üble Folgen nach ſich. Es leidet die Kraft und die Höhe<lb/>
der geiſtigen Entwickelung; die Ausbildung einer beſtimmten<lb/>
und gleichförmigen Sitte iſt nicht wohl möglich; hauptſäch-<lb/>
lich aber iſt ſchlimm, daß das Bewußtſein der Nationalität<lb/>
und das der Staatsangehörigkeit nicht zuſammenfällt. Leicht<lb/>
entſteht bei einem ſolchen zerſplitterten Volke eine größere An-<lb/>
hänglichkeit an die Nationalität, als an den beſonderen Staat;<lb/>
ja es mögen dann die einzelnen Regierungen, welche die ver-<lb/>ſchiedenen Bruchſtücke beherrſchen, Gegenſtand tiefer und unheil-<lb/>
barer Abneigung ſein, weil zunächſt ſie der Vereinigung im<lb/>
Wege ſtehen. Hieraus entſtehen denn aber wieder, ſowohl in<lb/>
den innern als in den äußeren Verhältniſſen, unabſehbare und<lb/>ſchwer durch irgend eine Staatskunſt zu heilende Gefahren und<lb/>ſonſtige Uebelſtände <hirendition="#sup">9</hi>). Eine der wichtigſten, freilich aber auch<lb/>
der ſchwierigſten Aufgaben iſt daher eine Beſeitigung einer<lb/>ſolchen Trennung; eines der hauptſächlichſten Mittel aber da,<lb/>
wo eine einfache Vereinigung nicht möglich iſt, beſteht in der<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[578/0592]
überwiegender Stamm als Mittelpunkt vorhanden iſt, wo ganze
große Völkerſchaften neben einander und in geſchiedenen Pro-
vinzen wohnen, wo ein Stamm, deſſen Umwandlung wün-
ſchenswerth wäre, ſchon einen hohen Grad von Geſittigung
erreicht hat und auf dieſen ſtolz iſt, endlich wo nicht blos ver-
ſchiedene Stämme, ſondern verſchiedene Racen ſind, muß ſelbſt
dieſe entfernte Hoffnung aufgegeben werden 8). Die einzige
Staatsform, welche ſich zu dieſen auf die Natur des Menſchen
ſelbſt gegründeten Verhältniſſen anders verhält, iſt diejenige,
in welcher erbliche Kaſten beſtehen; im Zweifel alſo Theokratieen.
Hier nämlich iſt Stamm- und ſelbſt Race-Verſchiedenheit ſo
wenig ein unbeſiegbares Hinderniß, daß ſie vielmehr eine natür-
liche Veranlaſſung und feſte Aufrechterhaltung abgibt.
Die Zerſplitterung Eines Volkes unter verſchiedene Staaten
iſt ein an ſich unnatürlicher Zuſtand und zieht daher auch
viele üble Folgen nach ſich. Es leidet die Kraft und die Höhe
der geiſtigen Entwickelung; die Ausbildung einer beſtimmten
und gleichförmigen Sitte iſt nicht wohl möglich; hauptſäch-
lich aber iſt ſchlimm, daß das Bewußtſein der Nationalität
und das der Staatsangehörigkeit nicht zuſammenfällt. Leicht
entſteht bei einem ſolchen zerſplitterten Volke eine größere An-
hänglichkeit an die Nationalität, als an den beſonderen Staat;
ja es mögen dann die einzelnen Regierungen, welche die ver-
ſchiedenen Bruchſtücke beherrſchen, Gegenſtand tiefer und unheil-
barer Abneigung ſein, weil zunächſt ſie der Vereinigung im
Wege ſtehen. Hieraus entſtehen denn aber wieder, ſowohl in
den innern als in den äußeren Verhältniſſen, unabſehbare und
ſchwer durch irgend eine Staatskunſt zu heilende Gefahren und
ſonſtige Uebelſtände 9). Eine der wichtigſten, freilich aber auch
der ſchwierigſten Aufgaben iſt daher eine Beſeitigung einer
ſolchen Trennung; eines der hauptſächlichſten Mittel aber da,
wo eine einfache Vereinigung nicht möglich iſt, beſteht in der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/592>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.