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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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III. Staatsromane.

Weniger von der ernsten und zunftmäßigen Wissenschaft
beachtet, als sie es in der That verdienen, sind jene Bücher,
welche ein frei ersonnenes Gemälde von einem in der Wirklich-
keit nicht bestehenden Staate geben und dadurch auch das wirk-
liche Leben zu belehren suchen. Ohne Zweifel ist diese Form
oft zu bloßer Spielerei und zu den thörichtesten Rath-
schlägen mißbraucht worden; allein an und für sich bietet sie
den nicht zu verachtenden Vortheil dar, die Folgen einer vor-
geschlagenen Einrichtung anschaulich und Eindruck machend
vorzuführen. Und da sie in der Regel nur von kühnen Neueren
gewählt wird, welche für ihre Aenderungsvorschläge so wenig
Anknüpfung in den bestehenden Verhältnissen finden, daß sie
sie nur in einem ganz erdichteten Zustande glauben vortragen
zu können: so ist das Erscheinen solcher Schriften immerhin
als ein Zeichen der Zeit und nicht selten als ein Vorbote von
ernstlichen Bewegungen zu betrachten. Manche Einrichtung
ist jetzt allerwärts eingeführt, welche sich vor einigen Jahr-
hunderten kaum in einem Gedichte zu zeigen wagte. -- Im
Uebrigen zerfallen die Staatsromane in zwei wesentlich ver-
schiedene Gattungen:

Die erste derselben begreift solche Schriften, welche be-
stehende Staatsformen idealisiren, dadurch aber auf die gewöhn-
lichen Fehler und Lücken des wirklichen Lebens aufmerksam
machen wollen. Es gehören hierher z. B. Xenophon's Cyro-
pädie, Fenelon's Telemach und mehrere Schriften A. von
Haller
's. Daß diese Abtheilung weniger ansprechend und
belehrend ist, liegt in der Natur der Sache.

Die andere, freiere, Gattung schildert lediglich durch Ein-
bildung geschaffene Staaten und Einrichtungen. Ihre Zahl ist
ziemlich beträchtlich, und es sind ebenso bekannte als merk-
würdige Bücher darunter. So namentlich die "Utopia" des

v. Mohl, Encyclopädie. 36
III. Staatsromane.

Weniger von der ernſten und zunftmäßigen Wiſſenſchaft
beachtet, als ſie es in der That verdienen, ſind jene Bücher,
welche ein frei erſonnenes Gemälde von einem in der Wirklich-
keit nicht beſtehenden Staate geben und dadurch auch das wirk-
liche Leben zu belehren ſuchen. Ohne Zweifel iſt dieſe Form
oft zu bloßer Spielerei und zu den thörichteſten Rath-
ſchlägen mißbraucht worden; allein an und für ſich bietet ſie
den nicht zu verachtenden Vortheil dar, die Folgen einer vor-
geſchlagenen Einrichtung anſchaulich und Eindruck machend
vorzuführen. Und da ſie in der Regel nur von kühnen Neueren
gewählt wird, welche für ihre Aenderungsvorſchläge ſo wenig
Anknüpfung in den beſtehenden Verhältniſſen finden, daß ſie
ſie nur in einem ganz erdichteten Zuſtande glauben vortragen
zu können: ſo iſt das Erſcheinen ſolcher Schriften immerhin
als ein Zeichen der Zeit und nicht ſelten als ein Vorbote von
ernſtlichen Bewegungen zu betrachten. Manche Einrichtung
iſt jetzt allerwärts eingeführt, welche ſich vor einigen Jahr-
hunderten kaum in einem Gedichte zu zeigen wagte. — Im
Uebrigen zerfallen die Staatsromane in zwei weſentlich ver-
ſchiedene Gattungen:

Die erſte derſelben begreift ſolche Schriften, welche be-
ſtehende Staatsformen idealiſiren, dadurch aber auf die gewöhn-
lichen Fehler und Lücken des wirklichen Lebens aufmerkſam
machen wollen. Es gehören hierher z. B. Xenophon’s Cyro-
pädie, Fénélon’s Telemach und mehrere Schriften A. von
Haller
’s. Daß dieſe Abtheilung weniger anſprechend und
belehrend iſt, liegt in der Natur der Sache.

Die andere, freiere, Gattung ſchildert lediglich durch Ein-
bildung geſchaffene Staaten und Einrichtungen. Ihre Zahl iſt
ziemlich beträchtlich, und es ſind ebenſo bekannte als merk-
würdige Bücher darunter. So namentlich die „Utopia“ des

v. Mohl, Encyclopädie. 36
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[561/0575] III. Staatsromane. Weniger von der ernſten und zunftmäßigen Wiſſenſchaft beachtet, als ſie es in der That verdienen, ſind jene Bücher, welche ein frei erſonnenes Gemälde von einem in der Wirklich- keit nicht beſtehenden Staate geben und dadurch auch das wirk- liche Leben zu belehren ſuchen. Ohne Zweifel iſt dieſe Form oft zu bloßer Spielerei und zu den thörichteſten Rath- ſchlägen mißbraucht worden; allein an und für ſich bietet ſie den nicht zu verachtenden Vortheil dar, die Folgen einer vor- geſchlagenen Einrichtung anſchaulich und Eindruck machend vorzuführen. Und da ſie in der Regel nur von kühnen Neueren gewählt wird, welche für ihre Aenderungsvorſchläge ſo wenig Anknüpfung in den beſtehenden Verhältniſſen finden, daß ſie ſie nur in einem ganz erdichteten Zuſtande glauben vortragen zu können: ſo iſt das Erſcheinen ſolcher Schriften immerhin als ein Zeichen der Zeit und nicht ſelten als ein Vorbote von ernſtlichen Bewegungen zu betrachten. Manche Einrichtung iſt jetzt allerwärts eingeführt, welche ſich vor einigen Jahr- hunderten kaum in einem Gedichte zu zeigen wagte. — Im Uebrigen zerfallen die Staatsromane in zwei weſentlich ver- ſchiedene Gattungen: Die erſte derſelben begreift ſolche Schriften, welche be- ſtehende Staatsformen idealiſiren, dadurch aber auf die gewöhn- lichen Fehler und Lücken des wirklichen Lebens aufmerkſam machen wollen. Es gehören hierher z. B. Xenophon’s Cyro- pädie, Fénélon’s Telemach und mehrere Schriften A. von Haller’s. Daß dieſe Abtheilung weniger anſprechend und belehrend iſt, liegt in der Natur der Sache. Die andere, freiere, Gattung ſchildert lediglich durch Ein- bildung geſchaffene Staaten und Einrichtungen. Ihre Zahl iſt ziemlich beträchtlich, und es ſind ebenſo bekannte als merk- würdige Bücher darunter. So namentlich die „Utopia“ des v. Mohl, Encyclopädie. 36

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/575>, abgerufen am 27.11.2024.