erlangt werden könnte, ist so wenig eine Rechtfertigung einer solchen Handlungsweise, daß vielmehr die Ueberwindung der Versuchung gerade um so entschiedener verlangt werden muß. Es bedarf also nicht einmal der Beiziehung des an sich übri- gens ganz richtigen Grundes, daß ehrliches Benehmen, wenig- stens auf die Dauer, auch die richtigste Politik sei 4). -- Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist jedoch hierbei noch eine doppelte Bemerkung nöthig:
a. Die Benützung objectiver Thatsachen zu Erreichung eines an sich erlaubten Zweckes widerspricht dem sittlichen Ge- setze nicht. Ob Diejenigen, welche die in Frage stehen- den Thatsachen erzeugt haben, hierbei ihrer Seits sittlich verfahren sind, oder nicht, macht für das diesseitige Han- deln keinen Unterschied. Die Pflicht des Staatsmannes, wie überhaupt des Menschen, besteht nicht darin, alle und namentlich auch die seiner Besorgung gar nicht zustehende Verhältnisse in der Außenwelt erst nach dem Sittengesetze zu regeln, ehe er sie als existirend annehmen darf; sondern er hat nur seiner Seits und bei dem, was er vornimmt, das Sittengesetz zu achten. Die Verantwortlichkeit für fremdes Thun bleibt dem Fremden überlassen; und wenn ein Mangel an Sittlichkeit bei Andern die Erreichung unserer, an sich erlaubten, Zwecke erleichtert, so wäre es thöricht, und in Beziehung auf die eigenen Lebensaufgaben sogar tadelnswerth, hiervon keinen Gebrauch zu machen, oder eine solche Thatsache nicht in Berechnung zu nehmen. Erst da beginnt eigene Unsittlichkeit, wo ein fremder Fehler nicht blos als eine Thatsache betrachtet und be- handelt, sondern wo er von diesseits angeregt und befördert wird 5).
b. Die Verpflichtung, das Sittengesetz nicht dem Vortheile zu opfern, hebt die Grundsätze über die sog. Collision
erlangt werden könnte, iſt ſo wenig eine Rechtfertigung einer ſolchen Handlungsweiſe, daß vielmehr die Ueberwindung der Verſuchung gerade um ſo entſchiedener verlangt werden muß. Es bedarf alſo nicht einmal der Beiziehung des an ſich übri- gens ganz richtigen Grundes, daß ehrliches Benehmen, wenig- ſtens auf die Dauer, auch die richtigſte Politik ſei 4). — Zur Vermeidung von Mißverſtändniſſen iſt jedoch hierbei noch eine doppelte Bemerkung nöthig:
a. Die Benützung objectiver Thatſachen zu Erreichung eines an ſich erlaubten Zweckes widerſpricht dem ſittlichen Ge- ſetze nicht. Ob Diejenigen, welche die in Frage ſtehen- den Thatſachen erzeugt haben, hierbei ihrer Seits ſittlich verfahren ſind, oder nicht, macht für das dieſſeitige Han- deln keinen Unterſchied. Die Pflicht des Staatsmannes, wie überhaupt des Menſchen, beſteht nicht darin, alle und namentlich auch die ſeiner Beſorgung gar nicht zuſtehende Verhältniſſe in der Außenwelt erſt nach dem Sittengeſetze zu regeln, ehe er ſie als exiſtirend annehmen darf; ſondern er hat nur ſeiner Seits und bei dem, was er vornimmt, das Sittengeſetz zu achten. Die Verantwortlichkeit für fremdes Thun bleibt dem Fremden überlaſſen; und wenn ein Mangel an Sittlichkeit bei Andern die Erreichung unſerer, an ſich erlaubten, Zwecke erleichtert, ſo wäre es thöricht, und in Beziehung auf die eigenen Lebensaufgaben ſogar tadelnswerth, hiervon keinen Gebrauch zu machen, oder eine ſolche Thatſache nicht in Berechnung zu nehmen. Erſt da beginnt eigene Unſittlichkeit, wo ein fremder Fehler nicht blos als eine Thatſache betrachtet und be- handelt, ſondern wo er von dieſſeits angeregt und befördert wird 5).
b. Die Verpflichtung, das Sittengeſetz nicht dem Vortheile zu opfern, hebt die Grundſätze über die ſog. Colliſion
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erlangt werden könnte, iſt ſo wenig eine Rechtfertigung einer
ſolchen Handlungsweiſe, daß vielmehr die Ueberwindung der
Verſuchung gerade um ſo entſchiedener verlangt werden muß.
Es bedarf alſo nicht einmal der Beiziehung des an ſich übri-
gens ganz richtigen Grundes, daß ehrliches Benehmen, wenig-
ſtens auf die Dauer, auch die richtigſte Politik ſei 4). — Zur
Vermeidung von Mißverſtändniſſen iſt jedoch hierbei noch eine
doppelte Bemerkung nöthig:
a. Die Benützung objectiver Thatſachen zu Erreichung eines
an ſich erlaubten Zweckes widerſpricht dem ſittlichen Ge-
ſetze nicht. Ob Diejenigen, welche die in Frage ſtehen-
den Thatſachen erzeugt haben, hierbei ihrer Seits ſittlich
verfahren ſind, oder nicht, macht für das dieſſeitige Han-
deln keinen Unterſchied. Die Pflicht des Staatsmannes,
wie überhaupt des Menſchen, beſteht nicht darin, alle und
namentlich auch die ſeiner Beſorgung gar nicht zuſtehende
Verhältniſſe in der Außenwelt erſt nach dem Sittengeſetze
zu regeln, ehe er ſie als exiſtirend annehmen darf; ſondern
er hat nur ſeiner Seits und bei dem, was er vornimmt,
das Sittengeſetz zu achten. Die Verantwortlichkeit für
fremdes Thun bleibt dem Fremden überlaſſen; und wenn
ein Mangel an Sittlichkeit bei Andern die Erreichung
unſerer, an ſich erlaubten, Zwecke erleichtert, ſo wäre es
thöricht, und in Beziehung auf die eigenen Lebensaufgaben
ſogar tadelnswerth, hiervon keinen Gebrauch zu machen,
oder eine ſolche Thatſache nicht in Berechnung zu nehmen.
Erſt da beginnt eigene Unſittlichkeit, wo ein fremder
Fehler nicht blos als eine Thatſache betrachtet und be-
handelt, ſondern wo er von dieſſeits angeregt und befördert
wird 5).
b. Die Verpflichtung, das Sittengeſetz nicht dem Vortheile
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/562>, abgerufen am 24.11.2024.
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