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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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§ 83.
5. Das Sittengesetz in den auswärtigen Verhältnissen.

Es ist ein häßlicher Flecken in der europäischen Gesitti-
gung, daß das Sittengesetz in den Verhältnissen von Staat
zu Staat so wenig beachtet wird, und daß man sich sogar der
Verletzung öffentlich rühmt als eines Beweises von Staatsklug-
heit. Nur allzu oft sind hier Mittel und Zwecke gleich schlecht,
und zwar selbst bei Solchen, welche sich in ihrem Privatleben
einer unehrenhaften Handlung niemals schuldig machen würden,
und die selbst im innern Staatsleben vor einer offenbaren Im-
moralität zurückträten. Um so entschiedener ist die Aufgabe der
Wissenschaft; und allmälig kann sie doch wohl der bessern Ge-
sinnung einen Weg bahnen 1).

Als die gewöhnlichen Unsittlichkeiten im Völkerverkehre er-
scheinen hauptsächlich nachstehende Handlungen:

1. Unterdrückung der Schwächeren; entweder völ-
lige Vernichtung derselben durch Eroberung, oder doch Dienst-
barmachung derselben zu fremden Zwecken, Nichtbeachtung ihrer
gerechten Forderungen u. dgl. -- Forderung der Sittlichkeit ist
aber nicht blos die gleiche Achtung der Rechte Mächtiger und
Unmächtiger, sondern selbst Unterstützung und Forthülfe der
Schwächeren und nöthigen Falles Vertheidigung gegen unge-
rechte Angriffe Dritter.

2. Neidische und eifersüchtige Verhinderung
der inneren Entwickelung
anderer Staaten, namentlich
in Beziehung auf Verfassung, auf Beilegung von kirchlichen
und staatlichen Streitigkeiten, auf Handel und Gewerbe. Der
Fehler ist ein um so größerer, als die Mittel nicht weniger
schlecht sind, wie die Zwecke, da nur zu oft außer offener und
roher Gewalt auch Bestechung von Beamten, Ränke mit Partei-
häuptern, Aufmunterung und Unterstützung von Anführern,

§ 83.
5. Das Sittengeſetz in den auswärtigen Verhältniſſen.

Es iſt ein häßlicher Flecken in der europäiſchen Geſitti-
gung, daß das Sittengeſetz in den Verhältniſſen von Staat
zu Staat ſo wenig beachtet wird, und daß man ſich ſogar der
Verletzung öffentlich rühmt als eines Beweiſes von Staatsklug-
heit. Nur allzu oft ſind hier Mittel und Zwecke gleich ſchlecht,
und zwar ſelbſt bei Solchen, welche ſich in ihrem Privatleben
einer unehrenhaften Handlung niemals ſchuldig machen würden,
und die ſelbſt im innern Staatsleben vor einer offenbaren Im-
moralität zurückträten. Um ſo entſchiedener iſt die Aufgabe der
Wiſſenſchaft; und allmälig kann ſie doch wohl der beſſern Ge-
ſinnung einen Weg bahnen 1).

Als die gewöhnlichen Unſittlichkeiten im Völkerverkehre er-
ſcheinen hauptſächlich nachſtehende Handlungen:

1. Unterdrückung der Schwächeren; entweder völ-
lige Vernichtung derſelben durch Eroberung, oder doch Dienſt-
barmachung derſelben zu fremden Zwecken, Nichtbeachtung ihrer
gerechten Forderungen u. dgl. — Forderung der Sittlichkeit iſt
aber nicht blos die gleiche Achtung der Rechte Mächtiger und
Unmächtiger, ſondern ſelbſt Unterſtützung und Forthülfe der
Schwächeren und nöthigen Falles Vertheidigung gegen unge-
rechte Angriffe Dritter.

2. Neidiſche und eiferſüchtige Verhinderung
der inneren Entwickelung
anderer Staaten, namentlich
in Beziehung auf Verfaſſung, auf Beilegung von kirchlichen
und ſtaatlichen Streitigkeiten, auf Handel und Gewerbe. Der
Fehler iſt ein um ſo größerer, als die Mittel nicht weniger
ſchlecht ſind, wie die Zwecke, da nur zu oft außer offener und
roher Gewalt auch Beſtechung von Beamten, Ränke mit Partei-
häuptern, Aufmunterung und Unterſtützung von Anführern,

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[535/0549] § 83. 5. Das Sittengeſetz in den auswärtigen Verhältniſſen. Es iſt ein häßlicher Flecken in der europäiſchen Geſitti- gung, daß das Sittengeſetz in den Verhältniſſen von Staat zu Staat ſo wenig beachtet wird, und daß man ſich ſogar der Verletzung öffentlich rühmt als eines Beweiſes von Staatsklug- heit. Nur allzu oft ſind hier Mittel und Zwecke gleich ſchlecht, und zwar ſelbſt bei Solchen, welche ſich in ihrem Privatleben einer unehrenhaften Handlung niemals ſchuldig machen würden, und die ſelbſt im innern Staatsleben vor einer offenbaren Im- moralität zurückträten. Um ſo entſchiedener iſt die Aufgabe der Wiſſenſchaft; und allmälig kann ſie doch wohl der beſſern Ge- ſinnung einen Weg bahnen 1). Als die gewöhnlichen Unſittlichkeiten im Völkerverkehre er- ſcheinen hauptſächlich nachſtehende Handlungen: 1. Unterdrückung der Schwächeren; entweder völ- lige Vernichtung derſelben durch Eroberung, oder doch Dienſt- barmachung derſelben zu fremden Zwecken, Nichtbeachtung ihrer gerechten Forderungen u. dgl. — Forderung der Sittlichkeit iſt aber nicht blos die gleiche Achtung der Rechte Mächtiger und Unmächtiger, ſondern ſelbſt Unterſtützung und Forthülfe der Schwächeren und nöthigen Falles Vertheidigung gegen unge- rechte Angriffe Dritter. 2. Neidiſche und eiferſüchtige Verhinderung der inneren Entwickelung anderer Staaten, namentlich in Beziehung auf Verfaſſung, auf Beilegung von kirchlichen und ſtaatlichen Streitigkeiten, auf Handel und Gewerbe. Der Fehler iſt ein um ſo größerer, als die Mittel nicht weniger ſchlecht ſind, wie die Zwecke, da nur zu oft außer offener und roher Gewalt auch Beſtechung von Beamten, Ränke mit Partei- häuptern, Aufmunterung und Unterſtützung von Anführern,

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/549>, abgerufen am 24.11.2024.