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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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namentlich durch ein in einem Vertrage gegebenes Versprechen
kein Recht zur Begehung einer Handlung, welche ihm an und
für sich nach der Verfassung des Staates nicht zusteht. Sein
eigener einseitiger Wille vermag diese nicht zu ändern, und der
Inhaber einer fremden Staatsgewalt hat gar keine Zustän-
digkeit noch Einräumungsbefugniß. So ist also nach Grund-
sätzen des philosophischen Völkerrechtes namentlich ein Offensiv-
bündniß rechtlich ungültig, d. h. ein Vertrag zu gemeinschaftlicher
kriegerischer Bekämpfung eines Dritten, wobei der Zweck nicht
blos Vertheidigung des eigenen Rechtes, sondern ein freiwilliger
und selbstständiger Angriff auf dessen Dasein oder Selbststän-
digkeit wäre. Ebenso ein Vertrag auf gemeinschaftlichen Wider-
stand gegen eine gerechte Forderung eines dritten Staates.
Ferner kann ein Staatsoberhaupt durch einen Vertrag mit
einem Auswärtigen kein Recht zur Nichtberücksichtigung eines
verfassungsmäßigen Mitwirkungsrechtes der Stände oder zur
Beseitigung eines Rechtes der Unterthanen erwerben 4).

Die Dauer der völkerrechtlichen Verträge ist nicht an
die Person der abschließenden Staatsoberhäupter gebunden,
welche nicht als Individuen, sondern als Träger der fort-
dauernden Staatsgewalt gehandelt, und nicht ihren eigenen
Willen, sondern den des ganzen Staates gebunden haben.
Weder der Tod eines der abschließenden Regenten, noch selbst
eine in einem der vertragenden Staaten vorgefallene Ver-
fassungsveränderung hebt die Gültigkeit der für den Staat
geschlossenen Verträge auf; sondern es gehen die daraus ent-
standenen Rechte und Verbindlichkeiten auch auf den Nachfolger
oder auf die neue Regierung über, wie immer sie entstanden
sein mag. Dagegen ist es möglich, einen Vertrag nur auf
eine bestimmte Zeit abzuschließen, wo denn, falls keine rechts-
zeitige Verlängerung erfolgt, die ganze Verabredung mit Ablauf
der Frist erlischt und das ursprüngliche Verhältniß, wie es vor

namentlich durch ein in einem Vertrage gegebenes Verſprechen
kein Recht zur Begehung einer Handlung, welche ihm an und
für ſich nach der Verfaſſung des Staates nicht zuſteht. Sein
eigener einſeitiger Wille vermag dieſe nicht zu ändern, und der
Inhaber einer fremden Staatsgewalt hat gar keine Zuſtän-
digkeit noch Einräumungsbefugniß. So iſt alſo nach Grund-
ſätzen des philoſophiſchen Völkerrechtes namentlich ein Offenſiv-
bündniß rechtlich ungültig, d. h. ein Vertrag zu gemeinſchaftlicher
kriegeriſcher Bekämpfung eines Dritten, wobei der Zweck nicht
blos Vertheidigung des eigenen Rechtes, ſondern ein freiwilliger
und ſelbſtſtändiger Angriff auf deſſen Daſein oder Selbſtſtän-
digkeit wäre. Ebenſo ein Vertrag auf gemeinſchaftlichen Wider-
ſtand gegen eine gerechte Forderung eines dritten Staates.
Ferner kann ein Staatsoberhaupt durch einen Vertrag mit
einem Auswärtigen kein Recht zur Nichtberückſichtigung eines
verfaſſungsmäßigen Mitwirkungsrechtes der Stände oder zur
Beſeitigung eines Rechtes der Unterthanen erwerben 4).

Die Dauer der völkerrechtlichen Verträge iſt nicht an
die Perſon der abſchließenden Staatsoberhäupter gebunden,
welche nicht als Individuen, ſondern als Träger der fort-
dauernden Staatsgewalt gehandelt, und nicht ihren eigenen
Willen, ſondern den des ganzen Staates gebunden haben.
Weder der Tod eines der abſchließenden Regenten, noch ſelbſt
eine in einem der vertragenden Staaten vorgefallene Ver-
faſſungsveränderung hebt die Gültigkeit der für den Staat
geſchloſſenen Verträge auf; ſondern es gehen die daraus ent-
ſtandenen Rechte und Verbindlichkeiten auch auf den Nachfolger
oder auf die neue Regierung über, wie immer ſie entſtanden
ſein mag. Dagegen iſt es möglich, einen Vertrag nur auf
eine beſtimmte Zeit abzuſchließen, wo denn, falls keine rechts-
zeitige Verlängerung erfolgt, die ganze Verabredung mit Ablauf
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[441/0455] namentlich durch ein in einem Vertrage gegebenes Verſprechen kein Recht zur Begehung einer Handlung, welche ihm an und für ſich nach der Verfaſſung des Staates nicht zuſteht. Sein eigener einſeitiger Wille vermag dieſe nicht zu ändern, und der Inhaber einer fremden Staatsgewalt hat gar keine Zuſtän- digkeit noch Einräumungsbefugniß. So iſt alſo nach Grund- ſätzen des philoſophiſchen Völkerrechtes namentlich ein Offenſiv- bündniß rechtlich ungültig, d. h. ein Vertrag zu gemeinſchaftlicher kriegeriſcher Bekämpfung eines Dritten, wobei der Zweck nicht blos Vertheidigung des eigenen Rechtes, ſondern ein freiwilliger und ſelbſtſtändiger Angriff auf deſſen Daſein oder Selbſtſtän- digkeit wäre. Ebenſo ein Vertrag auf gemeinſchaftlichen Wider- ſtand gegen eine gerechte Forderung eines dritten Staates. Ferner kann ein Staatsoberhaupt durch einen Vertrag mit einem Auswärtigen kein Recht zur Nichtberückſichtigung eines verfaſſungsmäßigen Mitwirkungsrechtes der Stände oder zur Beſeitigung eines Rechtes der Unterthanen erwerben 4). Die Dauer der völkerrechtlichen Verträge iſt nicht an die Perſon der abſchließenden Staatsoberhäupter gebunden, welche nicht als Individuen, ſondern als Träger der fort- dauernden Staatsgewalt gehandelt, und nicht ihren eigenen Willen, ſondern den des ganzen Staates gebunden haben. Weder der Tod eines der abſchließenden Regenten, noch ſelbſt eine in einem der vertragenden Staaten vorgefallene Ver- faſſungsveränderung hebt die Gültigkeit der für den Staat geſchloſſenen Verträge auf; ſondern es gehen die daraus ent- ſtandenen Rechte und Verbindlichkeiten auch auf den Nachfolger oder auf die neue Regierung über, wie immer ſie entſtanden ſein mag. Dagegen iſt es möglich, einen Vertrag nur auf eine beſtimmte Zeit abzuſchließen, wo denn, falls keine rechts- zeitige Verlängerung erfolgt, die ganze Verabredung mit Ablauf der Friſt erliſcht und das urſprüngliche Verhältniß, wie es vor

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/455>, abgerufen am 27.11.2024.