Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.3) Die sogenannte Exterritorialität des positiven europäischen Völker- rechtes ist eine bloße Rechtsfiction, welche nicht einmal zur Verdeutlichung des Verhältnisses beiträgt. Nicht weil von einem Gesandten angenommen werden muß, daß er sich gar nicht im Gebiete des beschickten Staates auf- halte und gleichsam eine Enclave seines eigenen Staates im fremden Ter- ritorium bewohne, ist er von jeder staatlichen Einwirkung der beschickten Gewalt auf seine Person frei zu erklären; sondern weil eine Unterordnung unter den fremden Staat die Absendung von Gesandschaften bedenklich erscheinen lassen und die Erreichung ihres Zweckes in Frage stellen, somit eines der wirksamsten Mittel zur Herstellung und Erhaltung eines friedlichen und rechtlichen Verhältnisses unter den Staaten schwer anwendbar machen würde. -- Deßhalb kann denn auch ein Asylrecht des Gesandten für seine Wohnung aus Gründen des philosophischen Rechtes nicht in Anspruch ge- nommen werden, wennschon allerdings die Betretung derselben zur Nach- forschung nach einem Verbrecher mit großer Vorsicht und ohne Beeinträch- tigung der Person, des Gefolges und des Besitzes des Gesandten vorge- nommen werden muß. 4) Mit Recht wird ein Gesandter der Gesetzgebung über Gesundheits-, Feuer-, Eisenbahn-Polizei u. s. w. gleich jedem andern Bewohner des Landes unterworfen; nicht aber den Conscriptionsgesetzen, der Schulpflicht für die Kinder, den Anordnungen über die Landesreligion u. dgl. § 62. bb. Staatsverträge. Wenn sich auch die gegenseitigen Rechte der Staaten in 3) Die ſogenannte Exterritorialität des poſitiven europäiſchen Völker- rechtes iſt eine bloße Rechtsfiction, welche nicht einmal zur Verdeutlichung des Verhältniſſes beiträgt. Nicht weil von einem Geſandten angenommen werden muß, daß er ſich gar nicht im Gebiete des beſchickten Staates auf- halte und gleichſam eine Enclave ſeines eigenen Staates im fremden Ter- ritorium bewohne, iſt er von jeder ſtaatlichen Einwirkung der beſchickten Gewalt auf ſeine Perſon frei zu erklären; ſondern weil eine Unterordnung unter den fremden Staat die Abſendung von Geſandſchaften bedenklich erſcheinen laſſen und die Erreichung ihres Zweckes in Frage ſtellen, ſomit eines der wirkſamſten Mittel zur Herſtellung und Erhaltung eines friedlichen und rechtlichen Verhältniſſes unter den Staaten ſchwer anwendbar machen würde. — Deßhalb kann denn auch ein Aſylrecht des Geſandten für ſeine Wohnung aus Gründen des philoſophiſchen Rechtes nicht in Anſpruch ge- nommen werden, wennſchon allerdings die Betretung derſelben zur Nach- forſchung nach einem Verbrecher mit großer Vorſicht und ohne Beeinträch- tigung der Perſon, des Gefolges und des Beſitzes des Geſandten vorge- nommen werden muß. 4) Mit Recht wird ein Geſandter der Geſetzgebung über Geſundheits-, Feuer-, Eiſenbahn-Polizei u. ſ. w. gleich jedem andern Bewohner des Landes unterworfen; nicht aber den Conſcriptionsgeſetzen, der Schulpflicht für die Kinder, den Anordnungen über die Landesreligion u. dgl. § 62. bb. Staatsverträge. Wenn ſich auch die gegenſeitigen Rechte der Staaten in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <pb facs="#f0452" n="438"/> <note place="end" n="3)">Die ſogenannte Exterritorialität des poſitiven europäiſchen Völker-<lb/> rechtes iſt eine bloße Rechtsfiction, welche nicht einmal zur Verdeutlichung<lb/> des Verhältniſſes beiträgt. 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³⁾ Die ſogenannte Exterritorialität des poſitiven europäiſchen Völker-
rechtes iſt eine bloße Rechtsfiction, welche nicht einmal zur Verdeutlichung
des Verhältniſſes beiträgt. Nicht weil von einem Geſandten angenommen
werden muß, daß er ſich gar nicht im Gebiete des beſchickten Staates auf-
halte und gleichſam eine Enclave ſeines eigenen Staates im fremden Ter-
ritorium bewohne, iſt er von jeder ſtaatlichen Einwirkung der beſchickten
Gewalt auf ſeine Perſon frei zu erklären; ſondern weil eine Unterordnung
unter den fremden Staat die Abſendung von Geſandſchaften bedenklich
erſcheinen laſſen und die Erreichung ihres Zweckes in Frage ſtellen, ſomit
eines der wirkſamſten Mittel zur Herſtellung und Erhaltung eines friedlichen
und rechtlichen Verhältniſſes unter den Staaten ſchwer anwendbar machen
würde. — Deßhalb kann denn auch ein Aſylrecht des Geſandten für ſeine
Wohnung aus Gründen des philoſophiſchen Rechtes nicht in Anſpruch ge-
nommen werden, wennſchon allerdings die Betretung derſelben zur Nach-
forſchung nach einem Verbrecher mit großer Vorſicht und ohne Beeinträch-
tigung der Perſon, des Gefolges und des Beſitzes des Geſandten vorge-
nommen werden muß.
⁴⁾ Mit Recht wird ein Geſandter der Geſetzgebung über Geſundheits-,
Feuer-, Eiſenbahn-Polizei u. ſ. w. gleich jedem andern Bewohner des
Landes unterworfen; nicht aber den Conſcriptionsgeſetzen, der Schulpflicht
für die Kinder, den Anordnungen über die Landesreligion u. dgl.
§ 62.
bb. Staatsverträge.
Wenn ſich auch die gegenſeitigen Rechte der Staaten in
ihren Grundlagen aus dem Weſen der Verhältniſſe entwickeln
laſſen, ſo bleibt doch bei ſolch allgemeiner Ableitung vieles
unbeſtimmt, und es mag auch die Beweisführung von anderer
Seite in Abrede gezogen werden. Schon bei gutem Glauben,
noch mehr aber bei bewußt ſchlimmer Abſicht können daher
leicht Streitigkeiten entſtehen. Ein weſentliches Mittel zur Be-
ſeitigung derſelben iſt die Abſchließung von Verträgen,
durch welche Rechte und Verbindlichkeiten klar feſtgeſtellt, in
allen ihren Einzelheiten verfolgt und von allen Betheiligten
ausdrücklich anerkannt werden. Enthält eine Verabredung auch
noch keine Gewährleiſtung ehrlicher Einhaltung; ſo erſchwert
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